Politik
Eine modifizierte Arzneimittelpreisverordnung und Erfolge bei der
Weiterentwicklung des elektronischen Rezeptes, umstrittene Bonusverträge
und ein EuGH-Urteil, dessen Auswirkungen noch unbekannt sind: In seiner
Rede zur politischen Lage anläßlich des Wirtschaftsforums des Deutschen
Apothekerverbandes (DAV) bilanzierte der DAV-Vorsitzende Hermann
Stefan Keller die gesundheitspolitische Entwicklung der vergangenen zwölf
Monate.
Der Schlüssel zum Erfolg der Apotheker im Gesundheitswesen liege in deren
kommunikativen Fähigkeiten. Sowohl bei Verhandlungen mit den Marktpartnern als
auch im Beratungsgespräch mit den Kunden und Patienten komme es auf die richtige
Gesprächstrategie und profundes Fachwissen an, sagte Keller. "Was den
Heilberufler Apotheker vom Distributeur unterscheidet, ist seine ganz besondere
kommunikative Kompetenz als Pharmazeut, die sich aus seiner pharmazeutischen
Ausbildung ergibt."
Wie wichtig diese Fähigkeiten sind, konnten die Apotheker im vergangenen Jahr vor
allem nach der Zuzahlungserhöhung unter Beweis stellen. Diese Regelung der
Neuordnungsgesetze habe für die Patientinnen und Patienten den größten Einschnitt
der gesamten Reformstufe dargestellt, sagte der DAV-Vorsitzende. Als Berater der
Patienten hätten die Apotheker versucht, das Gesetz und seine Ausnahmen zu
vermitteln. Diese Informationskampagne sei sehr erfolgreich verlaufen. "Es ist unsere
kommunikative Leistung, daß die Patienten die Neuregelung in diesem Maße
angenommen haben."
Trotzdem sei die Zuzahlungserhöhung aus gesundheitspolitischer Sicht fragwürdig. In
einer Emnid-Umfrage habe etwa die Hälfte aller Befragten angegeben, nicht mehr
alle verordneten Medikamente in der Apotheke abholen zu wollen. Langfristig führe
dies zu höheren Gesundheitsausgaben, befürchtet Keller, denn der Verzicht auf eine
notwendige Arzneimitteltherapie erhöhe die Wahrscheinlichkeit einer chronischen
Erkrankung, die wesentlich höhere Behandlungskosten verursache.
Als gute kommunikative Leistung auf Verbandsebene bezeichnete der
DAV-Vorsitzende die Verhandlungstaktik bei der Novellierung der
Arzneimittelpreisverordnung. Die von Krankenkassen, Großhandel und Apothekern
beschlossene Modifizierung erfülle zwar nicht alle Wünsche der Apothekerschaft, sie
sei aber ein tragbarer Kompromiß, "bei dem es weder Sieger noch Besiegte gibt".
Für eine große Lösung seien die Positionen der Verhandlungspartner zu
unterschiedlich.
Die neue Arzneimittelpreisverordnung, die zum 1. Juli 1998 in Kraft tritt, sieht eine
Kappung der Handelsspanne im hochpreisigen Bereich vor, die durch eine Erhöhung
der Notdienstgebühr und eine Verdoppelung der Rezepturarbeitspreise kompensiert
werden soll. Keller bedauerte, daß der Wirtschaftsausschuß des Bundesrates
lediglich einer Erhöhung der Nachttaxe auf 3 DM anstelle der ursprünglich
vereinbarten 5 DM zugestimmt habe. Der Deutsche Apothekerverband habe der
Verordnung dennoch zugestimmt, damit die Novellierung noch vor Ende der
Legislaturperiode abgeschlossen werden konnte.
Wenn die Verordnung in Kraft tritt, wird sich auch die Vergütung von
Spezialrezepturen ändern, denn die Novelle ermöglicht es Krankenkassen und
Apothekerverbänden, die Preise künftig frei auszuhandeln. Keller hält dies für
dringend erforderlich, denn die heutige Situation sei praxisfern. In einigen Fällen
führe die Berechnung nach der Arzneimittelpreisverordnung zu extrem niedrigen
Vergütungen, in anderen Fällen steige der Preis durch den 90prozentigen
Stoffkostenaufschlag in ungerechtfertigte Höhen. Die neue Verhandlungslösung
ermögliche dagegen eine maßgeschneiderte Vergütung. Angesichts einer Zunahme
der Spezialrezepturen sie dieser Schritt dringend notwendig gewesen.
Kritik an Bonusregelungen
Kein gutes Haar ließ Keller an den Bonusverträgen, die einige Krankenkassen und
Kassenärztliche Vereinigungen abgeschlossen haben. Ziel dieser Regelungen ist es,
Ärzte zu einem zurückhaltenden Verordnungsverhalten zu bewegen und sie an den
so erzielten Einsparungen zu beteiligen. Zumeist geschieht dies über eine Vergütung
des angeblich anfallenden Mehraufwandes für Ärzte, die an solchen Projekten
teilnehmen. Der DAV-Vorsitzende hält diese Vereinbarungen für fatal. Zum einen sei
es fragwürdig, Ärzte zu belohnen, wenn sie auf eine Verordnung verzichten, zum
anderenbewirke eine reduzierte ambulante Arzneimitteltherapie eine Verlagerung in
den stationären Bereich.
Dies sei steuerungspolitisch unsinnig, denn "der Grundsatz ambulant vor stationär ist
seit Jahren anerkanntermaßen der einzige Weg für die Verbesserung von Qualität
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen". Es sei völlig unverständlich warum nun
der Versuch unternommen werde, über Bonusverträge Anreize für eine Verlagerung
in den stationären Bereich zu schaffen. Keller: "Solche Bonusregelungen gehören in
den gesundheitspolitischen Mülleimer."
An Modellen, die eine Verbesserung der Arzneimittelversorgung zum Ziel haben,
sollten grundsätzlich Apotheker beteiligt sein, forderte Keller. Eine fundierte
Bewertung von Arzneimitteln sei weder in rein ärztlichen Qualitätszirkeln noch mit
Hilfe von Krankenkassensoftware wie pharmpro möglich. Eine ökonomischere
Arzneimitteltherapie sei nur mit pharmazeutischem Fachwissen zu erreichen.
Technologische Vorreiter
Sehr zufrieden zeigte sich Keller gegenüber der Arbeit der Apothekenrechenzentren
(ARZ). Mittlerweile müßten sogar die Vertreter der Krankenkassen eingestehen,
daß die Rechenzentren die Daten und die Abrechnung nach § 300 SGB V wie
vereinbart liefern und somit ihren Teil des Vertrages erfüllen. Auch in der Politik
habe es sich mittlerweile herumgesprochen, wie weit die Pharmazeuten
technologisch sind. So stellte auch Bundesgesundheitsminister Seehofer bei einem
Besuch am 17. März im ARZ Darmstadt fest, daß die Apotheker im Bereich
Telematik allen anderen Marktpartnern deutlich voraus seien.
Fortschritte sieht Keller auch bei der Entwicklung des elektronischen Rezeptes, daß
nach der Jahrtausendwende das konventionelle Rezept ablösen soll. Die ABDA
habe eine Arbeitsgruppe Telematik aufgebaut, die auch die notwendigen Module,
wie multifunktionale Terminals, elektronische Berufsausweise und Smart-Karten
entwickelt.
Das ABDA-Projekt für das elektronische Rezept stoße bei Politikern und Behörden
auf große Akzeptanz, sagte Keller. Und Staatssekretär Baldur Wagner habe auf
dem diesjährigen Euromed-Forum festgestellt, daß dieses Konzept die bisherigen
Schwachstellen bei der Rezepterstellung und der Abrechnung beseitigen könne.
Gelassene Reaktion auf EuGH-Urteil
Von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) erwartet Keller
kurzfristig keine größeren Auswirkungen auf die deutschen Apotheken. Die
Luxemburger Institution hatte Ende April entschieden, daß Krankenkassen ihren
Versicherten Leistungen, die im EU-Ausland erbracht wurden, grundsätzlich
erstatten müssen. Trotzdem werden nach Meinung des DAV-Vorsitzenden die
Deutschen ihre Medikamente auch weiterhin in den heimischen Apotheken kaufen.
Der Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln stehe ebenfalls nicht zur
Diskussion.
Zum Abschluß seines Vortrages stellte Keller das im Govi-Verlag erschienene Buch
über die 125jährige Geschichte des Deutschen Apotheker Verbandes vor und
überreichte die ersten Exemplare an die beiden Autoren, den Marburger
Universitätsprofessor Dr. Peter Dilg und Elmar Esser, Leiter der Abteilung
Öffentlichkeitsarbeit bei der ABDA.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Baden-Baden
© 1997 GOVI-Verlag
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