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Das hat mit Rationalität nicht viel zu tun

22.03.2004  00:00 Uhr
Ausnahmeliste

Das hat mit Rationalität nicht viel zu tun

von Daniel Rücker, Bonn

Regierungspolitiker haben die Ausnahmeliste für verordnungsfähige rezeptfreie Arzneimittel begrüßt. Das ist kein Wunder, denn sie haben die Inhalte stark beeinflusst. Bei Opposition, Ärzten, Apothekern und Industrie hält sich die Begeisterung denn auch in Grenzen.

Wohl selten haben sich die Repräsentanten des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) derart deutlich über die Einflussnahme der Regierung auf ihre Arbeit beschwert wie am Dienstag vor einer Woche. „Man muss darauf achten, dass der Bundessauschuss nicht zu viele Vorgaben erhält, die ihn daran hindern seine Arbeit zu tun,“ stellte Hans-Jürgen Ahrens, Chef des AOK-Bundesverbandes während der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Ausnahmeliste fest.

Auslöser für den Unmut war der Druck den Bundesregierung auf den Ausschuss ausgeübt hatte. Ulla Schmidt hatte darauf bestanden, dass auch Anthroposophika und Homöopathika auf die Liste kommen. Mit Hinweis auf die in §2 SGB V festgelegte Therapievielfalt sollten Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen nicht vollständig aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen werden.

Der Bundesausschuss hatte mit dieser Vorgabe ein Problem: Bei den allopathischen Arzneimitteln sei die Auswahl der erstattungsfähigen OTC-Arzneimittel nach den Kriterien der evidenz-basierten Medizin erfolgt, erklärte GBA-Vorsitzender Dr. Rainer Hess. Die Anwendung dieser Kriterien auf Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen hätte jedoch den vollständigen Ausschluss dieser Präparate bedeutet. Das sei jedoch politisch nicht gewollt. Deshalb haben man eine Entscheidung getroffen, die nicht logisch nachvollziehbar sei.

Allenthalben Unzufriedenheit

Mit dem Resultat sind die Mitglieder des Bundesausschusses selbst nicht zufrieden. Neben 36 nicht verschreibungspflichtigen Wirkstoffen, die bei klar definierten schwerwiegenden Erkrankungen zur Standardtherapie gehören, dürfen Ärzte auch eine Reihe von Homöopathika und Anthroposophika zu Lasten der GKV verordnen. Die Auswahl der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen erfolgte allerdings nach mehr als zweifelhaften Kriterien. Sie dürfen nämlich nur bei den für OTC-Arzneimittel festgeschrieben schwerwiegenden Erkrankungen verordnet werden, also etwa zur Nachsorge nach Schlaganfall und Herzinfarkt, in der Malariatherapie, bei mittelschweren Depressionen und verschiedenen physiologischen Mangelzuständen.

Das Problem: In diesen Indikationen werden Homöopathika in der Regel nicht eingesetzt. Dagegen sind die klassischen Indikationen für besondere Therapierichtungen nach der Definition des Bundesausschusses keine schwerwiegenden Erkrankungen. Der stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Ausschussmitglied Dr. Leonhard Hansen, hält die Regelung für wenig hilfreich. Sie sei unter großem politischen und juristischen Druck entstanden: „Das hat mit Rationalität nichts zu tun.“ Wenn man die besonderen Therapierichtungen schon in der GKV-Erstattung lassen möchte, dann hätte man eine separate Liste erstellen sollen.

Auch bei Opposition, Apothekern, Industrie und Patientenvertretern stieß die Entscheidung des GBA auf erhebliche Kritik. „Die Liste geht zu Lasten der Patientenversorgung“, stellte ABDA-Präsident Hans-Günter Friese fest. Er befürchtet, dass Patienten in Zukunft viele OTC-Arzneimittel nicht mehr anwenden werden. Damit bestehe die Gefahr, dass der Verzicht auf notwendige Arzneimittel zu einer Verschleppung von Krankheiten führe.

Als „Positivliste durch die Hintertür“ bezeichnete der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie (BPI), Henning Fahrenkamp die Ausnahmeliste. Er bemängelte, dass der Bundesausschuss nicht nur Indikationen in den OTC-Arzneimittel verordnet werden dürfen, aufgestellt hatte, sondern auch die Arzneimittel. Nach Fahrenkamps Auffassung müssten alle Arzneimittel, die in den Indikationen zugelassen sind, auch zu Lasten der GKV verordnet werden.

Weitaus positiver sieht erwartungsgemäß die Bundesregierung die Entscheidung des Ausschusses. Kein Wunder – sie ist ja auch Mitautor. Das Votum trage den Erfordernissen schwerkranker Menschen Rechnung. Wie auch Biggi Bender von den Grünen begrüßte Schmidt, dass Anthroposophika und Homöopathika weiter verordnet werde dürfen. So werde der Therapievielfalt Rechnung getragen.

Spektrum eingeschränkt

Genau dies kann Dr. Dieter Thomae (FDP) nicht erkennen. Das Therapiespektrum werde durch die Ausnahmeliste stark eingeschränkt, kritisierte er. Thomae bemängelte, dass der Bundesausschuss lediglich auf Druck der Bundesregierung bei den besonderen Therapierichtungen großzügig gewesen sei, bei chemisch definierten und pflanzlichen Arzneimitteln sei man dagegen sehr rigide vorgegangen. „Das ist unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ein Skandal, echauffierte sich Thomae. Der Bundesausschuss hätte sich entscheiden müssen, ob er die evidenz-basierte Medizin als Kriterium nimmt oder nicht.

Leichte Kritik kommt auch von ungewohnter Stelle. Ulla Schmidts Lieblingsökonom Professor Dr. Karl Lauterbach hält die Regelung für die besonderen Therapierichtungen für „problematisch“, räumt aber gleichzeitig ein, dass ein vollständiger Ausschluss der Bevölkerung nicht zu vermitteln gewesen wäre.

Ob der nun befasste Beschluss den Patienten zu vermitteln ist, ist allerdings auch nicht sicher. Aus Sicht der chronisch kranken Patienten sei e eine Enttäuschung, erklärte der Vorsitzende des Behindertenrats, Walter Hirrlinger. „Die heutige Entscheidung wiegt besonders schwer, weil die Ausgaben für nicht verschreibungspflichtige Arzneien nicht zu den Zuzahlungen gehören. Und viele werden daher gezwungen, auf notwendige Leistungen zu verzichten.“

Auch die Formulierung, die die Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP) als Überschrift ihrer Pressemitteilung wählt, ist sicherlich nicht das Resultat uneingeschränkter Freude. Die Ausnahmeliste sei ein „Pyrrhussieg für die Patienten“. Die Liste sei zwar eine Erleichterung für die Patienten, manifestiere aber gleichzeitig, dass Ärzte keine anderen OTC-Arzneimittel zu Lasten der GKV verordnen werden, DGVP-Präsident Ekkehard Bahlo fest.

Am heftigsten reagierten sogar diejenigen, die sich eigentlich als Gewinner fühlen müssten. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte will mit einer Verfassungsklage gegen den weitgehenden Ausschluss ihrer Arzneimittel von der Kassenerstattung vorgehen. Der Verband sei unzufrieden mit einer Entscheidung des Bundesausschusses, nach der die rezeptfreien homöopathische Medikamente nur bei der Behandlung weniger schwerer Erkrankungen als Kassenleistung zugelassen seien. Dies sei eine „Einschränkung der Therapiefreiheit“, hieß es.

In der Logik von Ulla Schmidt bedeutet so viel Kritik natürlich nichts schlechtes. Beim GMG hatte sie mehrfach betont, dass Kritik von allen Seiten zeige, dass die Reform ausgewogen und damit gut sei. So gesehen, war die Ausnahmeliste sicherlich eine gute Entscheidung.

 

  • Die Liste der verordnungsfähigen nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel finden Sie unter www.g-ba.de.

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