Politik
Bei einem Besuch im Apotheken-Rechen-Zentrum (arz) in Darmstadt
sowie in der Sitzung des Gesamtvorstandes der ABDA - Bundesvereinigung
Deutscher Apothekerverbände in Eschborn hat sich
Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer einen Überblick über die
Abrechnungsmodalitäten in den apothekereigenen Rechenzentren
verschafft. Sein Eindruck: "Die Apotheker stehen heute an der Spitze einer
modernen, fortschrittlichen Bewegung". Der Minister wünschte, daß sich
auch die Krankenkassen und Ärzteorganisationen anschickten, zu dieser
Spitze aufzuschließen und von dem vorhandenen Datenmaterial Gebrauch zu
machen.
Peter Milius, Geschäftsführer des arz Darmstadt, führte den Minister am 17. März
durch den Betrieb, um zu erläutern, wie die Rezepte von über 3000 Apotheken aus
Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Thüringen hier abgerechnet werden.
Hochgeschwindigkeits-Belegleser erfassen 1800 Rezepte pro Minute, in der Spitze
bis zu 800.000 am Tag und acht Millionen im Monat. Zwei dieser Geräte mit einem
Anschaffungswert von je 7,5 Millionen DM stehen in Darmstadt. Erfassen heißt, das
Rezept als Bild aufnehmen und anschließend die im Durchschnitt 100 Zeichen pro
Rezept lesen. Fehlerhaft ausgefüllte Rezepte müssen "per Hand" am Bildschirm
nachbearbeitet werden, wozu eine ganze Schar von Datentypistinnen zur Verfügung
steht.
Das standeseigene Unternehmen in Darmstadt rechnet seit 29 Jahren die Rezepte
der Apotheken aus den angeschlossenen Bundesländern ab. Inzwischen sind dies 82
Prozent der Apotheken. Das mit modernster Computertechnik und größtem
Know-how ermittelte Daten- und Faktenmaterial hat nach Darstellung der
arz-Geschäftsführung hohe Aussagekraft.
Im Besprechungsraum des arz erläuterte Bereichsleiter Martin Gernhardt, welcher
Datenschatz nach der Bearbeitung der Rezepte vorliegt, wobei er klar stellte:
"Unsere Aufgabe ist es, die Rezepte gegenüber den Krankenkassen abzurechnen,
nicht aber die Daten, die wir im gleichen Zuge erfaßt haben, auszuwerten oder gar
Kontrollfunktionen auszuüben".
Gernhardt demonstrierte, welche Daten vorliegen und mit welchen Filtern Daten
unter Qualitäts- und Kostengesichtspunkten dargestellt werden können. So sind
unter anderem pro Apotheke Umsatz und Zuzahlungen ersichtlich. Die
Verordnungen können beispielsweise nach Festbetrags- oder Indikationsgruppen,
aber auch nach verordnenden Ärzten ausgeworfen werden. Die Apotheker könnten
mit diesen Daten die Verordnungen des Arztes analysieren. Ebenso könnten sie an
Hand der Medikamentenliste eines Patienten auf unerwünschte Wechselwirkungen
zwischen einzelnen Medikamenten aufmerksam werden.
Derzeit sind aus Sicht des arz Gespräche zwischen Ärzten und Apothekern über
solche Verordnungsanalysen eher Ausnahmeerscheinungen. Die Ärzte befürchteten
offenbar, daß die Apotheker die Qualität der Verordnungsgewohnheiten
kontrollieren wollten. Wenn allerdings ein Arzt 350 verschiedene Arzneimittel
innerhalb eines Monats verordnet, sei dies oft Folge der Besuche unterschiedlicher
Pharmareferenten, erklärte Dr. Helmut Wittich, Vorsitzender des Thüringer
Apothekerverbands. Nur ein Beispiel für den Minister, daß interkollegiale
Gespräche zu Fragen der Pharmakotherapie zwischen Ärzten und Apothekern
durchaus sinnvoll wären.
Ein Mausklick am Computer zeigt an, wie sich die veranlaßten Leistungen eines
Arztes zum Fachgruppendurchschnitt auf Landesebene verhalten. Für Seehofer und
die ihn begleitenden Mitarbeiter seines Hauses, Ministerialdirektor Dr. Manfred
Zipperer und Dr. Hermann-Josef Pabel, ein Grund mehr, die Apothekerschaft
stärker in die Diskussionen um die Qualität der Arzneimittelversorgung einzubinden.
"Während sich die Apothekerschaft Anfang der 90er Jahre, als es um die
maschinenlesbare Auftragung der Pharmazentralnummer im Rahmen von § 300 SGB
V ging, eher als Bremser einer sinnvollen Entwicklung dargestellt hatten, haben sie
sich inzwischen an die Spitze einer fortschrittlichen Bewegung gesetzt", so Seehofer.
Warum sind die Krankenkassen an diesen Daten nicht interessiert?, wollte der
Minister wissen. Hermann Stefan Keller, Vorsitzender des Apothekerverbandes
Rheinland-Pfalz und Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV)
erklärte, daß die Krankenkassen den Prozentsatz der Apotheken, die über das arz
abrechnen als nicht justitiabel und aussagekräftig abgelehnt haben. Darüber hinaus
seien sie nicht willens, einen geringfügigen Betrag für die Daten aufzubringen, die
schließlich mit erheblichem Investitionsbedarf und Aufwand erhoben worden seien.
Zu Gast im Apothekerhaus in Eschborn
In der Sitzung des ABDA-Gesamtvorstandes dankte der Minister den Apothekern
ausdrücklich für den geleisteten Sparbeitrag. Während die Arzneimittelausgaben der
GKV 1992 noch 27 Milliarden DM betrugen, konnte der Wert 1996 auf 26,7 und
1997 auf 25,6 Milliarden DM gesenkt werden. Damit seien die
Arzneimittelausgaben niedriger als zu seinem Amtsantritt, so Seehofer. Dies könne
keine andere Branche vorweisen.
Der Minister zeigte sich beeindruckt von der Bearbeitung der Rezepte. Er sehe
keinen Anlaß, an der Einrichtung der Apotheke etwas zu ändern. Er lege Wert
darauf, daß auch künftig freiberufliche Existenzen in Deutschland möglich sind.
Innerhalb der kommenden acht Wochen will Seehofer Apotheker und
Krankenkassen an einen Tisch bringen, um über die Möglichkeiten zu diskutieren,
die Apotheker in Strukturverträge nach § 73 SGB V einzubeziehen. Das
Datenmaterial sei für die dringend benötigte Gesundheitsberichterstattung geeignet.
ABDA-Präsident Hans Günter Friese fragte den Gast nach seinem
gesundheitspolitischen Wahlprogramm. Seehofer: "Ich mache im Wahljahr 1998
keine anderen Aussagen als in Friedenszeiten. Das deutsche Medizinsystem ist
Spitze". Der Minister weiter: "Wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn
wir dieses System demontieren wollten". Dazu gehört, daß es keinen besseren
Arzneimittelfachmann als den Apotheker gibt. Die Nachzulassung werde wie geplant
abgewickelt. Und vor allem werde es mit ihm als Gesundheitsminister keine
Listenmedizin geben. Als beachtlich bezeichnete Seehofer, daß die SPD in ihrem
Wahlprogramm zum Beispiel die Zuzahlungen nicht zurückgenommen hat. Das
Spargebot wird nach Seehofers Worten nicht aufgegeben. Mit Sparen allein könne
das System aber nicht gerettet werden. Der Minister forderte mehr
Eigenverantwortung der Versicherten und schlug erneut vor, den Arbeitgeberanteil
zur Krankenversicherung einzufrieren.
"Werfen Sie Ihre Vorteile in die Waagschale", riet er dem Gesamtvorstand. Was
heute getan werde, reiche weit bis ins nächste Jahrhundert hinein. Schließlich berge
nichts so viel Hoffnung, wie das Arzneimittel und die zu erwartenden Innovationen,
gleichzeitig werde nichts so kritisch betrachtet wie der Pharmabereich.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Eschborn/Darmstadt
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de