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"Wir können auf die Beratung durch die Apotheker nicht verzichten"

22.03.1999  00:00 Uhr

- Politik Govi-Verlag

PZ-INTERVIEW

"Wir können auf die Beratung durch die Apotheker nicht verzichten"

von Hartmut Morck und Gisela Stieve, Bonn

Die Koalition hat in der zweiten Klausurtagung Anfang März das Eckpunktepapier für die Strukturreform 2000 verabschiedet. Darin ist die Apotheke als Teil des Versorgungssystems nur an wenigen Stellen indirekt angesprochen. Die PZ befragte Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer, welche Rolle sie dem Berufsstand in einem umstrukturierten Gesundheitswesen geben will.

PZ: Das Eckpunktepapier äußert sich explizit zur künftigen Rolle der Ärzte: Das Hausarztsystem soll gestärkt werden. Welche Rolle wird der Apotheker in dem System haben?

Fischer: Ich sehe keinen Grund, an der Rolle des Apothekers etwas zu ändern. Die Apotheker haben den Auftrag, die Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln zu versorgen, über Arzneimittel und vorbeugende Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit zu beraten und Ansprechpartner zu sein für Fragen, die die Arzneimittelsicherheit betreffen. Das halte ich nach wie vor für sinnvoll. Die Apotheker sollten auch in Zukunft für die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung verantwortlich sein.

PZ: Apotheken sind mehr als eine Arzneimittelabgabestelle. Die Logistik des Vertriebsweges vom Hersteller bis zum Patienten garantiert Arzneimittelsicherheit. Wollen Sie an diesem System festhalten oder wollen Sie andere Vertriebswege wie den Medikamentenbezug über Internet und Versandhandel ermöglichen?

Fischer: Bis heute habe ich keine überzeugenden Argumente dafür gehört, den derzeit bestehenden Vertriebsweg für Arzneimittel über die Apotheken zu ändern. Dies widerspräche auch der Rolle, die den Apothekern in unserem Gesundheitswesen gesetzlich zugewiesen ist. Durch den Vertrieb von Arzneimitteln im Internet sparen zu wollen, halte ich für kurzsichtig und gefährlich. In Deutschland gibt es deshalb das Arzneimittelgesetz und ein strenges Zulassungsverfahren für Arzneimittel, das die Menschen schützt und dafür sorgt, daß Arzneimittel das bleiben, was sie sein sollen - nämlich Heilmittel. Ärzte und Apotheker tragen dabei gemeinsam Verantwortung.

PZ: Die Apotheker sind weit mehr als die Erfüllungsgehilfen der verschreibenden Ärzte. Mit der die Arzneimittelabgabe begleitenden pharmazeutischen Betreuung bekommen die Patienten Betreuung und Zuspruch, was einen optimalen Effekt der Arzneimitteltherapie erst ermöglicht. Wie wollen Sie dieses Know-how - ganz in Ihrem Sinne des Verbraucherschutzes - gesetzlich einbinden?

Fischer: Der Apotheker ist der Arzneimittelfachmann zwischen dem verordnenden Arzt und dem Patienten. Das ist längst gesetzlich verankert. Neben der Beratung ist auch die pharmazeutische Betreuung des Patienten durch den Apotheker wichtig. Sie dient der Sicherheit und der besseren Mitarbeit des Patienten bei der Anwendung von Arzneimitteln. Die pharmazeutische Betreuung der Patienten gehört selbstverständlich zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung, einer der ersten Berufspflichten des Apothekers. Die Verpflichtung zur Information und Beratung der Patienten, soweit dies aus Gründen der Arzneimittelsicherheit erforderlich ist, ist in der Apothekenbetriebsordnung festgeschrieben.

PZ: Da die Krankenkassen immer mehr Medikamente nicht mehr erstatten, sind die Bürger bei Befindlichkeitsstörungen und leichten Erkrankungen zunehmend auf Selbstmedikation angewiesen. Auch hier haben Apotheker eine wichtige Beratungs- und Steuerungsfunktion. Sie garantieren damit als einzige Sicherheit für die Verbraucher. Ist es vor diesem Hintergrund dann sinnvoll, den Verkauf von Arzneimitteln auch über Drogeriemärkte und Tankstellen als fachlich nicht autorisierte Abgabestellen zuzulassen?

Fischer: Ich habe nichts dagegen, daß bestimmte, nicht apothekenpflichtige Arzneimittel auch weiterhin frei verkäuflich sind und bleiben. Von der Apothekenpflicht sind nämlich nur Arzneimittel ausgenommen, die nach einhelliger Meinung der Wissenschaft keine Gefahr für die Konsumenten darstellen. Deshalb ist hier auch keine Beratung durch die Apotheke nötig.

Ansonsten aber hat der Apotheker gerade bei der Selbstmedikation eine Schlüsselstellung für den Patienten. Seine Aufgabe ist es, die Plausibilität der Eigendiagnose des Patienten zu überprüfen, dem Patienten unter Umständen einen Arztbesuch zu empfehlen, ihn bei der Wahl eines geeigneten Präparates zu beraten oder ihm auch möglicherweise vom Kauf eines Arzneimittels abzuraten. Entscheidend kommt es der Aufklärungsarbeit des Apothekers auch zu, dem Patienten sowohl Nutzen als auch Risiken der Behandlung zu erklären, um die Compliance zu sichern. Nur ein umfassend informierter Verbraucher kann kompetent und eigenverantwortlich Selbstmedikation betreiben.

PZ: Im ärztlichen Bereich erwarten Sie künftig Qualität durch zertifizierte Leistung. Das ist gesetzlich für den Krankenhausbereich schon vorgeschrieben. Die Apothekerschaft hat angefangen, eigene, auf die besonderen Bedürfnisse der qualitativ hochwertigen und sicheren Arzneimittelversorgung abgestimmte Qualitätsstandards zu entwickeln. Haben Sie die Absicht, im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 solche Qualifizierungen gesetzlich vorzusehen?

Fischer: Ich begrüße es, daß die Apothekerschaft die Initiative ergriffen hat, eigene Qualitätsstandards für eine qualitativ hochwertige und sichere Arzneimittelversorgung zu entwickeln. Die Apothekerschaft hat damit ihre Bereitschaft zur Verantwortung beim Umgang mit Arzneimitteln und bei der Versorgung der Patienten mit hochwertigen Arzneimitteln unter Beweis gestellt.

PZ: Die Medizinischen Dienste sollen ausgebaut werden. Haben Sie jetzt oder später vor, auch im Apothekenbereich Steuerungsinstrumente zu installieren?

Fischer: Wir diskutieren zur Zeit die Eckpunkte der Gesundheitsreform 2000 mit den Fachkreisen. Ich halte es für vernünftig, zunächst abzuwarten, welche Anregungen und Vorschläge hierzu von den Beteiligten eingebracht werden.

PZ: Die Krankenhäuser verursachen rund ein Drittel der GKV-Kosten und sind damit der größte Ausgabenblock. Bisher folgte die Gesundheitspolitik dem Prinzip "ambulant vor stationär" - auch mit dem gewünschten Effekt, Krankenhausbetten abzubauen. Verlassen Sie mit dem Eckpunkt Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung diese Richtung?

Fischer: Es geht nicht nur um die Kosten. Niemand liegt gern im Krankenhaus, wenn es nicht unbedingt sein muß. Wenn eine Krankheit ambulant behandelt werden kann, ist das deshalb in jedem Fall besser als eine stationäre Behandlung. Der Vorrang der ambulanten vor der stationären Behandlung darf nicht - wie bisher - an der starren Aufgabenteilung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor scheitern. Deshalb wollen wir, daß die hochspezialisierten Leistungen, die die Krankenhäuser bereitstellen, auch für die ambulante Versorgung nutzbar werden. Für die Patienten ist es nämlich nicht entscheidend, ob die ambulante Behandlung im Krankenhaus oder in einer Arztpraxis durchgeführt wird. Für sie ist entscheidend, daß sie danach wieder nach Hause können.

PZ: Die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung wird niedergelassenen Ärzten wie auch Offizinapotheken wirtschaftlich die Luft abschnüren. Halten Sie diese existentiellen Sorgen für unberechtigt?

Fischer: Die Krankenhäuser werden an der fachärztlichen Versorgung nur in eingeschränktem Umfang und entsprechend der ambulanten Bedarfsplanung teilnehmen. Deshalb sind erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Existenz der niedergelassenen Ärzte nicht zu erwarten. Dasselbe gilt für die öffentlichen Apotheken.

PZ: Das Eckpunktepapier läßt nach Meinung mancher Verbandsvertreter nur Konturen im Nebel erkennen. Wie weit wollen Sie die Realisierung der Rahmenbedingungen vorgeben oder wollen Sie die Umsetzung dem freien Spiel der Kräfte überlassen?

Fischer: Der Gesetzgeber wird klare Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb derer die Partner der Selbstverwaltung agieren. Ein freies Spiel der Kräfte wird es nicht geben. Die Selbstverwaltung wird ihren hohen Stellenwert behalten.

PZ: Wird es Kontroll- und Sanktionsmechanismen geben?

Fischer: Ohne solche Regelungen wird es nicht gehen. Wenn allerdings die Partner der Selbstverwaltung umsichtig und mit Augenmaß zusammenarbeiten, wird die Anwendung dieser Instrumente auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben.

PZ: Auch vorgesehen im Eckpunktepapier: freie Vertragsgestaltung zwischen den Beteiligten im Gesundheitswesen und den Krankenkassen zum Beispiel in den Praxisnetzen. Kommt das nicht dem Prinzip der Einkaufsmodelle gleich? Ist es denkbar, daß hier dem Patienten die freie Apothekenwahl beschnitten wird, indem ein Versorgungsnetz Verträge mit einem oder mehreren "privilegierten Hoflieferanten" abschließt?

Fischer: Nein. Nach wie vor werden die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung ihre Apotheke frei wählen können.

PZ: Die Apotheker sind nicht die Kostenverursacher im System. Im Gegenteil: Sie können mit ihrem Rat Kosten sparen helfen. Für uns ist es unverständlich, daß die Koalition in den Eckpunkten die Apotheker mit dieser Funktion explizit nicht erwähnt hat. Warum?

Fischer: Weil man etwas, das gut funktioniert, nicht zu ändern braucht. Die Eckpunkte behandeln das, was wir ändern wollen. Wir können auf die Beratung der Patienten durch die Apotheker auch in Zukunft nicht verzichten. Auch unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ist es gut, daß die Apotheken ihr Wissen einbringen. Top

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