Politik
Sozialpolitische
Vorschau auf das Jahr 1997
Der
Eskalationsmechanismus in der Bonner Politik hat sich
bewährt: In diesem Jahr stehen nur noch sehr wenige
brisante Entscheidungen im Gesundheitswesen an. Außer
vielleicht in der Rentenversicherung, die aber nie die
Ausmaße des Streites wie bei Gesetzen über die
Krankenversicherung erzeugen. Zwei Landtagswahlen in
diesem Jahr und die Bundestagswahl 1998 können also in
Ruhe vorbereitet werden.
Dennoch wird dieses Jahr auch für die
Apothekerschaft politisch spannend. Ganz neu in der
internen Diskussion der Koalitionspolitiker ist eine
Änderung der Apothekenhandelsspannen. Die Drehung ist
angesagt: Teure Arzneimittel sollen nur noch eine
geringe, billigere Arzneien eine geringfügig höhere
Handelsspanne erhalten. Gut informierte Kreise in Bonn
sehen die Entscheidung für oder gegen die Spannendrehung
noch als offen an.
Beim Arzneimittelrecht dürfte es ständige
Weiterentwicklungen geben. Sie sind aber nicht angetan,
die Sozialversicherungen oder die Versicherten selbst
emotional zu bewegen. So bringt das 7.
AMG-Änderungsgesetz, das gerade vom
Bundesgesundheitsministerium herausgegeben wurde, keine
Überraschungen. Das AMG wird lediglich an das EU-Recht
angepaßt, einige Änderungen der Betriebsverordnung für
Pharmafirmen schließen sich an. Allerdings soll auch
noch in diesem Jahr eine 8. Novelle des
Arzneimittelgesetzes erarbeitet werden. Hier sollen
Änderungen eingearbeitet werden, die neben dem EU-Recht
wirken werden.
Rentenreformgesetz von 1992 ist überholungsbedürftig
Die Rentenreformgesetze von 1992 werden 1997
stark überarbeitet. Die vor 60 Monaten als
Jahrhundertwerk bezeichnete Reform ist bereits nach einer
kurzen Laufstrecke außer Atem geraten. Mehrere
Kommissionen beschäftigen sich mit Vorschlägen.
Spätestens im Sommer des Jahres liegen konkretere
Einzelheiten vor. Es ist davon auszugehen, daß
Verschlechterungen für die Versicherten beschlossen
werden.
Änderungen am Entwurf des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes
(NOG) werden derzeit von den Sozialpolitikern der
Koalition beraten. Gegen die im jetzigen Gesetzentwurf
enthaltenen Gestaltungsleistungen hat es Ende vergangenen
Jahres massive Proteste gegeben. Häusliche
Krankenpflege, Rehabilitation/Kuren, Heilmittel,
Fahrtkosten und Auslandskrankenschutz sind die
Stichwörter. Ebenso in der Kritik sind die vorgesehenen
Anhebungen der Zuzahlungen, die in Kraft treten, wenn
eine Krankenkasse ihre Beitragssätze anhebt. Die AOK
Bayern und die Deutsche Angestellten Krankenkasse haben
diese bereits beschlossen. Krankenkassen hatten
angedeutet, daß sie die geplanten Gestaltungsleistungen
ganz wegfallen lassen würden, weil sie gezwungen werden,
ab Januar ihre Beitragssätze um 0,4 Prozentpunkte
herunterzufahren und die Leistungen nicht mehr in den
Risikostrukturausgleich der Krankenkassen eingehen.
Zwar argumentierten die Politiker, daß ein Wegfall der
Leistungen weder beabsichtigt noch gewünscht sei. Aber:
Ihr eigener Gesetzentwurf ließ die mögliche
sozialpolitische Grausamkeit zu. Fazit der gegenwärtigen
Beratungen wird vermutlich eine Änderung des
Gesetzentwurfes sein. Die Verabschiedung des 2. NOG
dürfte sich bis in den April/Mai hineinziehen.
Gleichzeitig beraten die Koalitionsparteien den
Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen. Der
Risikostrukturausgleich, zwischen 15 bis 18 Milliarden DM
jährlich werden vorrangig für Ortskrankenkassen
aufgewendet, dürfte über die nächsten Jahre hinweg
behutsam abgebaut werden.
Obwohl der Bundesrat auf seiner letzten Sitzung Ende
Dezember vergangenen Jahres das 1. GKV-Neuordnungsgesetz
abgelehnt hat, wird es von der Koalition verwirklicht.
Sie wird in Kürze im Bundestag mit der Kanzlermehrheit
den Einspruch der Ländervertretung zurückweisen, dann
kann das Gesetz in Kraft treten.
Schäuble für ein Ende der allgemeinen Verunsicherungen
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
Wolfgang Schäuble, hat zum Jahresanfang gefordert, die
"Verunsicherung bei den Patienten zu beenden",
er beklagte eine "hemmungslos überzogene
Interessenvertretung". Seine Kritik: Die
Bevölkerung glaube aufgrund der öffentlichen
Erklärungen von Leistungserbringern, die Leistungen
würden überall und zu Lasten aller gekürzt. Sein
Vorschlag: Es müsse mehr Eigenverantwortung aller
Beteiligten am Gesundheitswesen geschaffen werden. Das
heißt aber nichts anderes als Leistungskürzungen bei
den Krankenkassen. Daran wird sich die Koalition rund 18
Monate vor einer Bundestagswahl nicht mehr wagen.
PZ-Artikel von Rainer Vollmer, Bonn
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