»Planwirtschaft ist nicht das Richtige für die Gesundheitsversorgung« |
Alexander Müller |
25.06.2025 11:00 Uhr |
Kritisieren die Pläne des Sachverständigenrats: Dorothee Brakmann (rechts) und Antje Behring vom Verband Pharma Deutschland. / © Pharma Deutschland
PZ: Sie finden das Gutachten unausgewogen?
Brakmann: Ich fand es schon auf Seite 2 unausgewogen, als ich gesehen habe, wer befragt wurde. Das Ergebnis hängt immer von den Gesprächspartnern ab – in diesem Fall gefühlt 95 Prozent GKV und sehr wenig Pharma. Das zeigt, woher die Wunschliste kommt. Wieso wurden die Wirtschaft und das Wirtschaftsministerium wenig bis gar nicht befragt? Der Mittelstand kommt gar nicht zu Wort. Wenn ich nur die Ausgabenseite betrachte, fehlen wichtige Aspekte. Ich hätte zum Beispiel auch die Ärzte- und Apothekerschaft befragt.
PZ: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll befähigt werden, von sich aus eine Neubewertung des Zusatznutzens anzustoßen. Frau Behring, Sie waren lange für den Ausschuss tätig. Ist der Schritt nicht begrüßenswert?
Behring: Aus Sicht der Selbstverwaltung ist das durchaus ein interessantes Tool. Die kontinuierliche Re-Evaluationen von allen Arzneimitteln – also ständig neue Nutzenbewertungen – würden allerdings einen immensen Mehraufwand für den G-BA bedeuten. Insbesondere da sich die Fragestellung für die Nutzenbewertung in dynamischen Anwendungsgebieten auch ändern kann. Man muss hier gut abwägen.
PZ: Die Krankenkassen sollen gegenüber der Pharmaindustrie gestärkt werden – in dem sie etwa selbst aus den Preisverhandlungen aussteigen können.
Brakmann: Die Kassen sind doch schon extrem stark in diesem Verfahren, weil sie an zwei Stellen beteiligt sind: Als großer gemeinsamer Block im G-BA und auf der anderen Seite in den jeweiligen Preisverhandlungen. Wenn sie bei den Verhandlungen nicht weiterkommen, können sie informell wieder an den G-BA zurückspielen, aus meiner Sicht ist das jetzt schon ein Governance-Problem. Und wenn sie jetzt noch aus den Verhandlungen aussteigen könnten, kämen diese Arzneimittel in Deutschland gar nicht mehr auf den Markt. Ein Kassenverband sollte aber nicht darüber entscheiden, ob ein Arzneimittel verfügbar ist oder nicht.
PZ: Aber die Hersteller können sich aus dem Markt zurückziehen und damit die Kassenseite unter Rechtfertigungsdruck setzen.
Brakmann: Es wird so dargestellt, als würden die Hersteller ständig mit Marktrückzug drohen. In Wahrheit macht das kein Unternehmen gerne. Denn sie kommen nicht nur mit einem Präparat, sondern mit einer ganzen Pipeline. Wenn sie einmal vom Markt gehen, müssen sie das mit der Ärzteschaft besprechen – das ist nicht gut für die Patientinnen und Patienten und auch nicht gut fürs Image. Das machen Unternehmen nur im Notfall, wenn der Preis absolut nicht darstellbar ist.
PZ: Was halten Sie von dem Vorschlag, dass im ersten halben Jahr nach Markteintritt ein Referenzpreis gezahlt wird?
Brakmann: »Interimspreis« ist eine sehr nette Formulierung dafür, dass der Patentschutz angegriffen wird. Wenn am Anfang nur der Preis der meist generischen zweckmäßigen Vergleichstherapie steht, wird das Präparat sofort auf das generische Niveau gezogen. So funktioniert Industrie nicht. Gerade Pharmaforschung ist extrem kostenintensiv. Von 10.000 Substanzen kommt eine auf den Markt, das ist wirklich ein Hochrisikogeschäft.
Behring: Und was macht man mit Wirkstoffen für Indikationen, bei denen es bis jetzt keine Therapie gibt? Das ist ein falscher Steuerungseffekt, wenn eine unzureichende Behandlung dann der Preisanker bereits vor der Preisverhandlung ist.
PZ: Gäbe es einen Kompromiss: Vergleichstherapie zuzüglich eines definierten prozentualen Aufschlags?
Brakmann: Positiv sehe ich die Erkenntnis, dass wir auf andere Modelle setzen wollen als auf einen starren Preis. »Pay-for-Performance« geht die Industrie durchaus mit. Wir würden das für spezielle Bereiche im Hochpreissegment sehen, etwa bei CAR-T-Zell-Therapien. Für Pay-for-Performance müssen die Hersteller zusätzliche Daten erheben, bei den normalen Rezeptdaten fehlt unter anderem die Indikation.
PZ: Die Gutachter bringen noch ein Gesamtbudget für Arzneimittel ins Spiel.
Behring: Halte ich für schwierig. Das Budget soll gedeckelt werden – gemessen am Bruttosozialprodukt. Davon abgesehen, dass das Bruttosozialprodukt kein zweckmäßiger Indikator für die Höhe der Arzneimittelkosten ist, kommt das einer Rationierung von Arzneimittelausgaben gleich – insbesondere wenn im Laufe des Jahres hochwirksame Medikamente in den Verkehr kommen. Die Budgetierung von Ärzten funktioniert auch nicht gut. Planwirtschaft ist nicht das Richtige für die Gesundheitsversorgung.
Brakmann: Es wäre auch ein echter Paradigmenwechsel, wenn das komplette Morbiditätsrisiko bei der Pharmaindustrie läge, jede Grippewelle oder beispielsweise die Corona-Pandemie. Dafür wurden einmal die Krankenkassen ins Leben gerufen. Ich finde es ein bisschen irritierend, die Verantwortung komplett der Pharmaindustrie zu übergeben.
PZ: Aber die Arzneimittelausgaben steigen und sind mittlerweile der zweitgrößte Block hinter den Krankenhausausgaben.
Brakmann: Vorsicht bei den Zahlen. Der Anteil der Arzneimittel an den Gesamtausgaben ist seit 1992 konstant, das bestätigt auch das Sachverständigengutachten. Die Arzneimittel wachsen nicht überproportional, sondern immer rund 11 Prozent. Insgesamt wachsen die Ausgaben, weil wir medizinischen Fortschritt haben und weil wir eine demografische Entwicklung haben, für die unser System eigentlich nicht gemacht ist.
PZ: Trotzdem müssen Sie extrem hohe Therapiekosten gegenüber Politik und Gesellschaft erklären.
Brakmann: Wenn es heißt, die Arzneimittel-Packungspreise seien um 70 Prozent gestiegen, ist das ein verzerrender Mittelwert: Wir haben wenige Arzneimittel, die kosten tatsächlich in Millionenhöhe. Das sind aber Präparate für ganz, ganz wenige Patienten oder Kinder, die dann ein Leben lang profitieren.
Behring: Ein Teil der neuen Therapien werden nur zwei, dreimal gegeben, CAR-T-Zellen, oder einmalig – wie Gentherapien. Dann kostet die Packung viel Geld, aber eben für eine Dosierung. Vorher waren in in einigen Indikationen für die Therapie kontinuierliche Ausgaben über Jahre der Standard.
PZ: Was macht einen Standort attraktiv?
Brakmann: Eine Gretchenfrage dabei ist immer: Wie schnell lassen sich Produktionsanlagen hochziehen und gibt es einen Absatzmarkt? Nehmen wir wieder CAR-T-Zellen. Man benötigt eine Kryotherapie, da werden Tanks angelegt in den Krankenhäusern, Prozesse geändert, Leute eingestellt. Dann würde man auch hier produzieren und es hier vermarkten. Wenn es aber dann an der Preisverhandlung scheitert, müsste man alles wieder rückabwickeln und den Krankenhäusern sagen: „Sorry, aber ich gehe jetzt nach Frankreich.“ Das gibt es auch im Kleinen: Für Psoriasis gibt es ganz neuen Therapieschemata. Man forscht nicht in Spanien und kommt dann in Deutschland auf den Markt. So funktioniert das nicht.
PZ: Die Regierung will Pharma als Leitindustrie. Haben Sie Hoffnung?
Brakmann: Wir sind Schlüssel- und Leitindustrie. Was haben wir denn in Deutschland? Bei den Autos haben wir ein bisschen den Anschluss verpasst hinsichtlich der E-Mobilität. Aber wir sind noch wahnsinnig stark in der Gesundheitsforschung. Der Covid-Impfstoff kam aus Mainz, wir haben gute Ideen für Impfstoffe gegen Krebs. Und 85 Prozent der Firmen in Deutschland sind Mittelstand. Wenn wir das Problem in den Sozialversicherungen lösen wollen, brauchen wir Wirtschaftswachstum. Jetzt ist der Moment, wo wir entscheiden müssen: Wollen wir den Standort stärken und damit Sozialsysteme wieder ausreichend finanzieren oder wollen wir Kosten reduzieren?
PZ: Ist geopolitisch betrachtet jetzt nicht der perfekte Moment dafür, die Pharmaproduktion nach Europa zurückzuholen?
Brakmann: Wir mussten in Sicherheitsfragen erkennen, dass wir uns nicht nur auf einen Partner, die USA, verlassen können. Bei globalen Handelswegen gilt dasselbe für Indien und die Generikaproduktion. Wir brauchen diverse Lieferketten, wir müssen autonomer und resilienter werden.
PZ: Ist das realistisch angesichts der Produktionskosten im globalen Vergleich?
Brakmann: Der Wille der Industrie, Europa als Standort zu halten, ist riesig. Pharma ist mehr als die großen Namen, wir brauchen den Mittelstand hier. Aber wenn viele Unternehmen bei einzelnen Präparaten aussteigen und auf andere Geschäftsfelder umstellen, ist das nur ein leiser, langsamer Shift. Der führt aber dazu, dass wir irgendwann keine eigenen Arzneimittel mehr haben. Wenn wir zusätzlich noch was zurückholen können, fantastisch. Aber erstmal sollten wir gucken, dass unsere Firmen hier bleiben.
PZ: Was müsste auf europäischer Ebene passieren?
BRAKMANN: Es gibt in Europa wahnsinnig viele Umweltregelungen, die alle ihre Daseinsberechtigung haben, die aber zu einer Belastung der Industrie führen. Wenn wir fürs Abwasser zahlen sollen, kein Ethanol mehr benutzen dürfen, keine F-Gase mehr, alles gleichzeitig umstellen sollen, dann funktioniert das nicht, wenn ich mit meiner Packung im generischen Bereich unter 10 Cent verdiene.
PZ: Die Politik sagt, es ist genug Geld im System.
BRAKMANN: Wir müssen Effizienzen heben. Und das sehen wir in der Selbstmedikation, wir brauchen mehr Eigenverantwortung. Die Grundidee Pharmacy first unterstützen wir deshalb. Ich gehe erst in die Apotheke und entlaste damit das System. Da können wir einen Schulterschluss mit den Apothekern üben.