Plättchenfaktor verjüngt das Gehirn |
Christina Hohmann-Jeddi |
24.08.2023 12:00 Uhr |
Blutplättchen, auch Thrombozyten genannt, schütten verschiedene Botenstoffe aus. Der Plättchenfaktor 4 scheint einen Anti-Aging-Effekt zu haben. / Foto: Adobe Stock/SciePro
Schon seit Längerem ist bekannt, dass die Übertragung von Blut junger Tiere auf ältere Tiere einen verjüngenden Effekt hat. Allerdings war bislang nicht klar, welche Bestandteile des Bluts diese Wirkung vermitteln. Einer davon könnte der Plättchenfaktor 4 (PF4, Synonym CXCL4) sein, der von Blutplättchen (Thrombozyten) gebildet wird. Das legen drei Publikationen nahe, die zeitglich in den Journalen »Nature«, »Nature Aging« und »Nature Communications« veröffentlicht wurden. Demnach verbindet PF4 die verjüngenden Effekte von jungem Blut, von körperlichem Training und vom Langlebigkeitsfaktor Klotho mit dem Gehirn.
Thrombozyten setzen PF4 frei, um das Immunsystem zu alarmieren und bei Wunden das Blut gerinnen zu lassen. Nun fand ein Forschungsteam um Adam B. Schroer von der University of California San Francisco (UCSF) heraus, dass PF4 auch das alte Gehirn verjüngt und das junge Gehirn stärkt. Entsprechende Daten aus Tierversuchen stellt es im Fachjournal »Nature« vor.
In den Untersuchungen verringerte sich bei älteren Mäusemännchen, die die Blutplättchen junger Mäuse erhalten hatten, die Neuroinflammation im Hippocampus auf transkriptioneller und zellulärer Ebene. Die Hippocampus-bedingten kognitiven Beeinträchtigungen verbesserten sich. Wie die Forschenden zeigen konnten, wurden bei jüngeren Tieren im Vergleich zu älteren Individuen im Blut höhere PF4-Konzentrationen gemessen. Entsprechend verhielt es sich auch bei Menschen.
Dass die Blutplättchen ihren Effekt über PF4 bewirken, zeigte das Team in einem weiteren Tierversuch: Bei älteren Mäusen schwächte die systemische Gabe von PF4 die altersbedingte Neuroinflammation im Hippocampus ab und verbesserte die Kognition. Die Forschenden vermuten, dass die positive Wirkung von PF4 auf das gealterte Gehirn durch eine Verjüngung des alternden peripheren Immunsystems zustande kommt. Vermittelt würden die Effekte wohl über den Chemokinrezeptor CXCR3. Über die Blut-Hirn-Schranke schaffte es das Protein PF4 ihren Untersuchungen zufolge aber nicht.
»PF4 lässt das Immunsystem tatsächlich jünger aussehen, es verringert all diese aktiven, die Alterung begünstigenden Immunfaktoren, was insgesamt zu weniger Neuroinflammtion, mehr Plastizität und schließlich mehr Kognition führt«, sagt Seniorautor Dr. Saul Villeda in einer Mitteilung der UCSF. »Wir nehmen 22 Monate alte Mäuse, was bei Menschen einem Alter von etwa 70 Jahren entspricht, und PF4 bringt sie zurück zu Leistungen, die denen von 30- bis 40-Jährigen entsprechen.«
Ein zweites Team der UCSF um Dr. Cana Park konnte zeigen, dass PF4 offenbar die Effekte des bekannten Langlebigkeitsfaktors Klotho auf das Gehirn vermittelt. Die Ergebnisse wurden im Journal »Nature Aging« veröffentlicht. Das Hormon Klotho kommt im Blut von jungen Tieren in höheren Konzentrationen vor als bei älteren. Erst vor Kurzem konnte gezeigt werden, dass eine einmalige Injektion von Klotho bei alternden Affen die Gedächtnisleistung verbessert.
Die Forschenden um Park untersuchten den Zusammenhang zwischen Klotho und PF4 genauer. In Versuchen mit Mäusen erhöhte eine Klotho-Injektion die Werte mehrerer Thrombozytenfaktoren, einschließlich PF4, im Plasma. Anders als die Arbeitsgruppe um Villeda konnten sie Hinweise finden, dass PF4 über die Blut-Hirn-Schranke gelangt. Im Gehirn förderte der Botenstoff die Bildung neuer neuronaler Verbindungen und bewirkte außerdem bei alten und jungen Tiere einen kognitiven Schub. Dies deute darauf hin, dass es »selbst in jungen Gehirnen noch Spielraum für die Verbesserung der kognitiven Funktion gibt«, sagt Seniorautorin Professor Dr. Dena Dubal in der Mitteilung. Die genauen Mechanismen, über die PF4 seine Effekte vermittelt, sind aber noch unklar.
Allerdings wirkte Klotho auch auf die kognitiven Fähigkeiten bei Mäusen, denen PF4 fehlte. Das zeige, dass der Thrombozytenfaktor zwar Klotho-Effekte vermitteln kann, aber nicht notwendig für die Wirkungen von Klotho ist und dass andere, noch nicht identifizierte Faktoren wahrscheinlich zusätzlich dazu beitragen. Die Forschenden hoffen, dass die neuen Erkenntnisse die Tür zu neuen Therapien öffnen könnten, die darauf abzielen, die Gehirnfunktion zu verbessern.
Sport verjüngt das Gehirn. Auch an diesem Effekt ist offenbar PF4 beteiligt. / Foto: Adobe Stock/nd3000
Zusätzlich scheint der Botenstoff PF4 auch die verjüngenden Effekte von körperlichem Training auf das Gehirn zu vermitteln. Das berichten Dr. Odette Leiter, Dr. Tara Walker und Kollegen von der University of Queensland, Australien, in »Nature Communications«. Schon 2019 hatte das Team entdeckt, dass Sport Blutplättchen dazu anregt, PF4 auszuschütten, weshalb dieser Faktor auch als Exerkin bezeichnet wird (von Englisch exercise für Sport und Zytokin). Jetzt konnten die Forschenden – analog zu den anderen Teams – zeigen, dass eine Injektion von PF4 bei alternden Mäusen zu regenerativen und kognitiven Verbesserungen führt und somit den verjüngenden Effekt von Sport auf das Gehirn nachahmen kann.
»Für viele Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Mobilitätsproblemen oder im fortgeschrittenen Alter ist Bewegung nicht möglich, daher ist die pharmakologische Intervention ein wichtiges Forschungsgebiet«, sagt Walker in einer Mitteilung der University of Queensland. »Wir können jetzt gezielt Thrombozyten einsetzen, um die Neurogenese zu fördern, die Kognition zu verbessern und dem altersbedingten kognitiven Verfall entgegenzuwirken.«
Die Erkenntnisse könnten dazu dienen, sogenannte Trainingsmimetika zu entwickeln, die aber nicht als Ersatz für Sport zu verstehen seien, betonen die Forschenden. Als Nächstes wollen sie die PF4-Gabe in einem Mausmodell für Alzheimer-Demenz untersuchen, bevor sie klinische Untersuchungen planen.