Pilze sind erfolgreiche Netzwerker |
| Jennifer Evans |
| 07.11.2022 10:45 Uhr |
Die unterirdischen Netzwerke des Mykorrhiza-Pilzes etwa erlauben den Bäumen das Wachstum, indem der Pilz deren Wurzeln besiedelt. »Die Pilze versorgen die Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen wie Phosphate und Aminosäuren und erhalten im Gegenzug den aus der Photosynthese gewonnenen Zucker«, erörterte Meyer die Koexistenz. Letztendlich habe genau diese Symbiose den Urpflanzen unseres Planten erst eine Landbesiedlung ermöglicht. Und auch die Pilze sind es, die den Bäumen in den heißen Sommern das Leben retten.
Jeder Mensch trägt ebenfalls tausend verschiedene Arten von Pilzen und Bakterien mit sich herum. Sie ernähren sich von den abgestorbenen Zellen unseres Körpers und helfen uns dabei, Nährstoffe besser zu verwerten, das Immunsystem zu stärken sowie uns vor Krankheiten zu schützen. Darüber hinaus entscheiden sie laut Meyer mit, ob wir jemanden gut riechen können oder nicht. »Sie sind unser ständiger Begleiter und gehören damit zu unserer normalen Mikrobiota«, betonte sie. Diese Formen symbiotischer Lebensgemeinschaften bezeichne man seit Anfang der 90-er Jahre auch als Holobionten, Gesamtlebewesen.
Allerdings haben die Erkenntnisse zunehmend auch philosophische Fragen aufgeworfen: Wenn unsere Körperzellen gegenüber den Pilzzellen auf und in uns in der Minderzahl sind, sind wir dann noch Individuen? Auch dann, wenn unsere »holobiontischen Partner« für die Augen unsichtbar sind? Meyer hat darauf längst eine Antwort: »Ich glaube: Das Ich ist ein Wir.« Viel diskutiert ist im Zusammenhang mit anderen Intelligenzformen zudem die Frage: Ist für Intelligenz überhaupt ein Gehirn nötig oder ist das Streben nach ständiger Fortentwicklung und symbiotischer Kommunikation als nicht ebenso scharfsinnig einzustufen?
Pilze können aber noch mehr. Meyer nennt einige Beispiele aus dem Forschungsfeld Biomaterialien, in dem es unter anderem darum geht, langfristig weg vom Erdöl und hin zu einer nachhaltigen biobasierten Wirtschaft zu kommen. Laut der Mikrobiologin haben Pilze nämlich das Potenzial, nachhaltige Wohn- und Lebensformen zu schaffen. Mit ihrer Hilfe lassen sich nicht nur veganes Leder oder andere Stoffe für Kleidung produzieren und später sogar mit Pilzpigmenten färben, sondern auch Möbel herstellen, die dann aus Pilzbiomasse bestehen.
Als Ergebnis der Stoffwechselvorgänge des sogenannten Zunderschwamms oder Fomes Fomentarius können sogar neue Baumaterialien entstehen. Konkret läuft das so ab: Auf Reststoffen aus der Forst- und Agrarwirtschaft wie beispielsweise Schäben, Stroh oder Sägespäne wird gezielt Myzel gezüchtet. Bietet man dem Pilz Schäben und Co. als Nährstoffe an, beginnt er darauf zu wachsen und sein dreidimensionales Netzwerk – also das Myzel – um die Partikel zu spannen und diese fest miteinander zu verbinden. Schließlich entstehe ein stabiles, gut dämmendes und trotzdem leichtes Verbundmaterial zum Bauen, so Meyer. Die Masse lasse sich zudem in jede beliebige Form pressen und isoliere außerdem gegen Schall und Wärme. Die Pilzforscherin ist optimistisch: Mitte 2030 wird das erste Pilzhaus stehen. Der große Vorteil des Baustoffs liegt für sie auf der Hand: »Er lässt sich mühelos kompostieren, also wieder in den natürlichen Kohlestoffkreislauf zurückführen.«