Pharmazie braucht ein Krisenmanagement |
Brigitte M. Gensthaler |
19.08.2025 18:00 Uhr |
Auch in Katastrophensituationen wie hier im Ahrtal nach den Überschwemmungen im Jahr 2021 müssen Apotheker ihren gesetzlichen Versorgungsauftrag erfüllen. Darauf müssen sie sich vorbereiten – aber wie? / © Imago Images/blickwinkel
PZ: Welche Ziele verfolgt die AG KatPharm in der DPhG und wie arbeitet sie praktisch?
Seißelberg: Die AG KatPharm hat sich das Ziel gesetzt, die Notfall- und Katastrophenpharmazie fest im deutschen Apothekenwesen zu verankern. Hierzu arbeitet die Gruppe ehrenamtlich seit mehr als zehn Jahren insbesondere auf strategischer Ebene des Themengebiets. Operativ bieten unsere Mitglieder beispielsweise Fortbildungen zum pharmazeutischen Notfallmanagement oder zu Spezialthemen wie Blackout an. Zudem sind wir in einigen Bundesländern auch in die Ausbildung des pharmazeutischen Nachwuchses im berufsbegleitenden Unterricht eingebunden. In der Pandemie haben Mitglieder der AG eine Checkliste für den Apothekenbetrieb unter Pandemiebedingungen erstellt.
PZ: Wer gehört der Arbeitsgruppe an und wer kann beitreten?
Seißelberg: Letztlich steht die AG jedem offen, der aktiv die Notfall- und Katastrophenpharmazie voranbringen möchte – vorausgesetzt, er oder sie ist Mitglied der DPhG. Aktuell gehören nur Apothekerinnen und Apotheker unserer AG an.
PZ: Dient die AG auch deren Vernetzung untereinander?
Seißelberg: Nicht unbedingt. Die Vernetzung sehe ich vielmehr auf der lokalen Ebene mit den dort bestehenden Strukturen, zum Beispiel mit Bezirksapothekern, in Qualitätszirkeln oder runden Tischen. Hier müssen die Diskussionen entstehen. Die kommunale Ebene ist der Ansprechpartner für das Krisenmanagement.
PZ: Wie kooperiert die AG KatPharm mit anderen Organisationen?
Seißelberg: Über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kurz BBK, ist unsere Arbeitsgruppe direkt in die zentrale Sanitätsmaterialbevorratung des Bundes eingebunden; wir haben einen Sitz in der entsprechenden Arbeitsgruppe des BBK. In der Vergangenheit konnten wir auch Aufbauseminare an der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung, BABZ, mitgestalten. Diese wurden aus Budgetgründen jedoch leider gestrichen. Durch einzelne Mitglieder der AG sind wir unter anderem mit dem Technischen Hilfswerk, dem Deutschen Roten Kreuz und selbstverständlich der Bundeswehr im kontinuierlichen Austausch.
PZ: Wo sehen Sie aktuell das größte Gefahrenpotenzial und warum sollten sich Apotheken überhaupt auf solche Krisen vorbereiten?
Seißelberg: Aus unserer Sicht sind großflächiger und lang andauernder Stromausfall sowie Cyberangriffe die aktuell größten Gefahren. Bezüglich der jeweiligen Gefahrenpotenziale muss man die einzelnen Apotheken immer individuell betrachten. Denn bei der konkreten Risikoabschätzung gibt es kein Schwarz-Weiß, sondern es bedarf einer genauen Risikobetrachtung und -abwägung im Einzelfall. Apotheken sind per Gesetz – also durch §1 Apothekengesetz – mit einem Versorgungsauftrag ausgestattet und sie müssen diesen Versorgungsauftrag auch in außergewöhnlichen Situationen erfüllen können. Darauf müssen sie sich vorbereiten.
PZ: Erarbeitet und veröffentlicht die AG auch konkrete Stellungnahmen und Handlungsempfehlungen für solche Krisenszenarien?
Apotheker Sven Seißelberg / © privat
Seißelberg: Wir bieten insbesondere Schulungen zu den Grundlagen des pharmazeutischen Notfallmanagements an. Aus der Erfahrung heraus ist eine einfache Bereitstellung, zum Beispiel von Checklisten, nicht zielführend, da die Betrachtung immer individuell und zugeschnitten auf die Besonderheiten der Apotheke erfolgen muss.
Teilweise existieren bereits entsprechende Arbeitshilfen, ohne dass es eines Apotheken-Brandings bedarf. So gibt es zum Thema Stromausfall Handlungshilfen von staatlichen Organisationen wie dem BBK oder dem Innenministerium Baden-Württemberg. Diese Unterlagen kann man nutzen und die Empfehlungen übertragen für den eigenen Betrieb. Der Slogan »In der Krise Köpfe kennen« trifft auch hier zu: Man muss wissen, welche Empfehlungen man wie nutzen kann. Die AG informiert darüber zum Beispiel in Fachartikeln und Fortbildungen.
PZ: Wie hat sich ihre Arbeit in den letzten Jahren verändert?
Seißelberg: In Anbetracht der ausgerufenen Zeitenwende haben wir in den letzten Jahren den Fokus ausgeweitet und uns beispielsweise intensiv mit Bevorratungsstrategien im Kalten Krieg beschäftigt; wir arbeiten daran, daraus mögliche neue Bevorratungsstrategien abzuleiten. Nach Corona hat sich die allgemeine Risikosensibilität doch deutlich verändert und wir haben in den letzten Jahren viel mehr Fort- und Weiterbildungen abgehalten. Wichtig bleibt, durch Sensibilisierung das Thema weiterhin voranzutreiben und Fehler der Vergangenheit – wie die schlechte Vorbereitung auf eine mögliche Pandemie – nicht zu wiederholen. Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen aller Akteure, um möglichst geschlossen den Stellenwert einer reibungslosen Arzneimittelversorgung, insbesondere in Krisenzeiten, deutlich zu machen.
PZ: Wo finden Apotheker konkrete Hilfen und Ansprechpartner für ihre Vorbereitung auf einen Krisenfall?
Seißelberg: Zunächst ist das Fachbuch Notfall- und Katastrophenpharmazie, das kostenlos als Download erhältlich ist, eine sehr gute Informationsquelle. Dort findet man neben Grundlageninformationen des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes auch ganz konkrete Hilfestellungen für öffentliche und Krankenhausapotheken. Darüber hinaus sollten die Landesapothekerkammern und Aufsichtsbehörden als Ansprechpartner mit Rat und Tat zur Verfügung stehen. Selbstverständlich stehen die Mitglieder der AG KatPharm auch beratend zur Seite, aber wir können leider ehrenamtlich keine Einzelberatung von Apotheken anbieten.
PZ: Was wünscht sich die AG von den Kollegen?
Seißelberg: Wir sind immer interessiert an Erfahrungsberichten aus Apotheken, zum Beispiel, wie sie ihre Notstromversorgung organisieren. Diese Erfahrungen können wir verwerten und mit anderen Kollegen teilen. Je mehr Rückmeldungen wir bekommen, umso breiter ist das Portfolio, das wir wiederum vermitteln können.