Pharmazeutische Perspektive beachten |
Hamburg hat äußerst vielfältige Quartiere (wie hier auf der Reeperbahn) und auch die medizinische Versorgung ist äußerst inhomogen. Hier können Stadtteil-Apotheken helfen. / Foto: imago images/Nikita
Das Hamburger Vorhaben reagiert auf die Erkenntnis, dass Prävention und Versorgung sozial Benachteiligter eine große Herausforderung für das Gesundheitswesen darstellen. Die Betroffenen tragen die größte Krankheitslast und verfügen über die geringsten Ressourcen zur Förderung ihrer Gesundheit oder zur Nutzung der vorhandenen Angebote. Ihre gesundheitlichen Probleme sind sehr oft Folge ihrer sozialen Benachteiligung aufgrund schlechter Wohnumgebung, Arbeitslosigkeit oder täglich erlebter Demütigungen. Lokale Gesundheitszentren, in denen medizinische, soziale und psychologische Kompetenzen einen ganzheitlichen Ansatz ermöglichen, sollen ein wesentlicher Baustein werden, diese Menschen besser zu erreichen und gegebenenfalls an die richtigen Stellen weiterzuvermitteln.
Seit ein paar Jahren existiert in Hamburg die Poliklinik Veddel. Sie ist ein soziales Stadtteil-Gesundheitszentrum mit einer Allgemeinarztpraxis, einer Sozial- und Gesundheitsberatung und einer psychologischen Beratung. Weiterhin gibt es in Hamburg den Gesundheitskiosk in Billstedt, eine niedrigschwellige und zentrale Anlaufstelle, die als breites und kostenloses Beratungs- und Kursangebot eine zentrale Rolle in einem Gesundheitsnetz aus Ärzten, Sozialdiensten und psychologischer Beratung spielt.
Die Stadt Hamburg hat nun aufgrund der positiven Erfahrungen beschlossen, bis zu sechs weitere Gesundheitszentren in sozial benachteiligten Stadtvierteln zu fördern. Dabei spielen Prävention und Gesundheitsförderung eine große Rolle. Die Gesundheitszentren sollen Anregungen geben, was verändert werden muss, damit die Verhältnisse im Quartier für ein gesundes Leben förderlich sind.
Die bisherigen Hamburger Planungen haben aber arzneimittelbezogene Probleme bislang nicht im Fokus. Im Folgenden ein Interview mit Simone Gündüz, PTA und Bezirksabgeordnete der SPD im Stadtbezirk Bergedorf, sowie Sabine Haul, Apothekerin und AMTS-Managerin, vernetzt in Bergedorf mit Ärzten sowie mit einer Demenzinitiative im Stadtbezirk. Beide unterstützen den Aufbau des Gesundheitszentrums in Lohbrügge/Bergedorf.
Puteanus: Warum reichen die bisherigen Strukturen in Hamburg dafür nicht aus?
Simone Gündüz ist PTA und Bezirksabgeordnete der SPD im Stadtbezirk Bergedorf. / Foto: SPD Hamburg
Gündüz: Hamburg ist wie andere Großstädte auch ein einheitlicher Planungsbezirk der Kassenärztlichen Vereinigung. In Stadtteilen, die am Rand von Hamburg liegen oder in denen die sozialen Lagen der Bewohner schwierig sind, gibt es eine schlechtere Versorgung mit Ärzten, mehr chronische Erkrankungen, die zudem früher auftreten, und eine deutlich niedrigere Lebenserwartung. Demgegenüber haben zentraler gelegene Stadtteile oder solche mit einem höheren Durchschnittseinkommen oft überproportional viele Ärzte. In der Summe mag die medizinische Versorgung des Planungsbezirks Hamburg zwar gut sein, aber lokal ist sie es leider oft nicht.
Puteanus: Frau Haul, warum sollte pharmazeutisches Personal in die Arbeit des zukünftigen Stadtteil-Gesundheitszentrums einbezogen werden?
Haul: Apotheken sind niedrigschwellige Anlaufstellen für Menschen mit gesundheitlichen, sozialen und psychischen Problemen, ganz besonders auch für Menschen mit Demenz. Die Apotheke vor Ort kennt ihre Kunden, es entsteht meist eine Beziehung und die Kunden vertrauen dem Apothekenpersonal. So fallen mögliche Wechselwirkungen, Handhabungsprobleme, Beschwerden, ein mangelndes Therapieverständnis oder mangelnde Therapieeinsicht auf. Deswegen ist es wichtig, dass sich die Apotheken in die örtlichen Netzwerke des Gesundheits- und Sozialwesens integrieren, denn so können Schwachstellen und Bedarfe für bestimmte Gesundheitsangebote vor Ort besser ermittelt werden.
Gerade in sozial benachteiligten Stadtteilen haben wir häufig auch einen Mangel an Haus- und Fachärzten. Deren Arbeitsdichte und Überlastung machen sich deutlich bemerkbar. Hinzu kommen suboptimale Abläufe in der Kommunikation der am Medikationsprozess Beteiligten. Pharmazeutische Dienstleistungen wie Medikationsmanagement nach Krankenhausentlassung können für die Ärzte eine große Entlastung sein.
Auch können Apotheker sich mit Pflege und Sozialdiensten, Seniorenberatungen, Angehörigengruppen, psychosozialen Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Familienberatung oder Suchtberatung abstimmen; damit können sie sicherstellen, dass neu angesetzte Therapien wirksam und sicher sind.
Puteanus: Welche Kompetenzen werden von den integrierten Apothekerinnen, Apothekern und PTA erwartet?
Haul: Engagement bei der eigenen fachlichen Weiterentwicklung, gute Kommunikationsfähigkeiten und die Offenheit und Bereitschaft, die Perspektiven anderer Berufsgruppen kennenzulernen und zu achten, dabei aber die pharmazeutische Perspektive selbstbewusst zu vertreten und nach außen hin zu kommunizieren. Die Bedeutung und vielfältigen Aufgaben der Apotheke vor Ort müssen in den regionalen Räumen sichtbar werden. Hier kann jeder einzelne von uns durch Mitarbeit in Arbeitsgruppen, Gremien und Netzwerken beitragen.
Puteanus: Gibt es schon Vorstellungen, wie die pharmazeutischen Dienstleistungen finanziert werden können?
Sabine Haul ist AMTS-Managerin in der Elefanten-Apotheke in Hamburg-Bergedorf. / Foto: privat
Haul: Zunächst muss der Bedarf vor Ort ermittelt und deutlich gemacht werden. Ich bin aber sicher, dass dies schnell und überzeugend wissenschaftlich belegbar ist. Dann kann nach Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen von ausgeschriebenen Projekten gesucht werden. Ein Beispiel ist die »Nationale Demenzstrategie«, die die regionale Politik in die Pflicht nimmt. Auch gibt es den Innovationsfond des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie Stiftungen, die man ansprechen kann.
Für eine Finanzierung durch die Krankenkassen brauchen wir eine digitale, standardisierte, flächendeckende Lösung, die eine Evaluation der Ergebnisse einschließt. Wir brauchen eine datenschutzkonforme, direkte Kommunikation zwischen Ärzten und Apothekern. Diese muss für beide Seiten zeitsparend, effizient und praktikabel sein. Hier gibt es schon interessante Ansätze wie zum Beispiel das ARMIN-Projekt. Die Vergütung von Arzt und Apotheker im Rahmen eines interprofessionellen, digital unterstützten Medikationsmanagements ist absolut notwendig. Und genau davon braucht es mehr.
Puteanus: Frau Gündüz, sehen Sie reale Chancen, dass beim Aufbau der lokalen Gesundheitszentren die pharmazeutischen Kompetenzen ausreichend einbezogen werden können, und welche Hindernisse müssen überwunden werden?
Gündüz: In der Hamburger Ausschreibung der lokalen Gesundheitszentren kommt die pharmazeutische Kompetenz in Form der Apotheke leider (noch) nicht vor. Zu diesem Thema sind wir aber im Austausch mit der Behörde. In unserem geplanten Gesundheitszentrum in Lohbrügge/Bergedorf haben wir die pharmazeutische Kompetenz mitgedacht und haben in dem Netzwerk der das Gesundheitszentrum tragenden Akteure für die Bewerbung eine Apotheke mit an Bord.
Aufgrund der bisher gewonnenen Erkenntnisse aus den Projekten zur AMTS sowie aus den Erfahrungen aus dem Ausland gibt es viele Gründe, warum pharmazeutisches Know-how beim Aufbau der Gesundheitszentren mitgedacht werden sollte.
Sicherlich wird es weitere Bereiche geben, wo pharmazeutisches Fachwissen oder die soziale Bedeutung von Apotheken in Quartieren für den Versorgungsauftrag der geplanten Gesundheitszentren hilfreich wäre. Der Aufbau der Hamburger Gesundheitszentren bietet die Möglichkeit zu zeigen, wie beides zusammen gedacht und zu einem guten Angebot für die Nutzer der Gesundheitszentren entwickelt werden kann.
Dr. Uwe Puteanus, Münster