Pharmazeutische Zeitung online Avoxa
whatsApp instagram facebook bluesky linkedin xign
Hamburger Gesundheitszentren

Pharmazeutische Perspektive beachten

Am 15. November 2019 meldete die Stadt Hamburg: »Gleiche Gesundheitschancen für Patientinnen und Patienten in Hamburg. Senat fördert in Quartieren mit besonderem sozialen Unterstützungsbedarf sieben lokale Gesundheitszentren.« Was hat es damit auf sich, wie weit ist man bis heute gekommen? Und was hat das mit Pharmazie zu tun?
AutorKontaktUdo Puteanus
Datum 15.02.2021  07:00 Uhr

Das Hamburger Vorhaben reagiert auf die Erkenntnis, dass Prävention und Versorgung sozial Benachteiligter eine große Herausforderung für das Gesundheitswesen darstellen. Die Betroffenen tragen die größte Krankheitslast und verfügen über die geringsten Ressourcen zur Förderung ihrer Gesundheit oder zur Nutzung der vorhandenen Angebote. Ihre gesundheitlichen Probleme sind sehr oft Folge ihrer sozialen Benachteiligung aufgrund schlechter Wohnumgebung, Arbeitslosigkeit oder täglich erlebter Demütigungen. Lokale Gesundheitszentren, in denen medizinische, soziale und psychologische Kompetenzen einen ganzheitlichen Ansatz ermöglichen, sollen ein wesentlicher Baustein werden, diese Menschen besser zu erreichen und gegebenenfalls an die richtigen Stellen weiterzuvermitteln.

Seit ein paar Jahren existiert in Hamburg die Poliklinik Veddel. Sie ist ein soziales Stadtteil-Gesundheitszentrum mit einer Allgemeinarztpraxis, einer Sozial- und Gesundheitsberatung und einer psychologischen Beratung. Weiterhin gibt es in Hamburg den Gesundheitskiosk in Billstedt, eine niedrigschwellige und zentrale Anlaufstelle, die als breites und kostenloses Beratungs- und Kursangebot eine zentrale Rolle in einem Gesundheitsnetz aus Ärzten, Sozialdiensten und psychologischer Beratung spielt.

Die Stadt Hamburg hat nun aufgrund der positiven Erfahrungen beschlossen, bis zu sechs weitere Gesundheitszentren in sozial benachteiligten Stadtvierteln zu fördern. Dabei spielen Prävention und Gesundheitsförderung eine große Rolle. Die Gesundheitszentren sollen Anregungen geben, was verändert werden muss, damit die Verhältnisse im Quartier für ein gesundes Leben förderlich sind.

Das Apothekenpersonal im Quartier spricht die Sprache(n) der Bewohner

Die bisherigen Hamburger Planungen haben aber arzneimittelbezogene Probleme bislang nicht im Fokus. Im Folgenden ein Interview mit Simone Gündüz, PTA und Bezirksabgeordnete der SPD im Stadtbezirk Bergedorf, sowie Sabine Haul, Apothekerin und AMTS-Managerin, vernetzt in Bergedorf mit Ärzten sowie mit einer Demenzinitiative im Stadtbezirk. Beide unterstützen den Aufbau des Gesundheitszentrums in Lohbrügge/Bergedorf.

Puteanus: Warum reichen die bisherigen Strukturen in Hamburg dafür nicht aus?

Gündüz: Hamburg ist wie andere Großstädte auch ein einheitlicher Planungsbezirk der Kassenärztlichen Vereinigung. In Stadtteilen, die am Rand von Hamburg liegen oder in denen die sozialen Lagen der Bewohner schwierig sind, gibt es eine schlechtere Versorgung mit Ärzten, mehr chronische Erkrankungen, die zudem früher auftreten, und eine deutlich niedrigere Lebenserwartung. Demgegenüber haben zentraler gelegene Stadtteile oder solche mit einem höheren Durchschnittseinkommen oft überproportional viele Ärzte. In der Summe mag die medizinische Versorgung des Planungsbezirks Hamburg zwar gut sein, aber lokal ist sie es leider oft nicht.

Puteanus: Frau Haul, warum sollte pharmazeutisches Personal in die Arbeit des zukünftigen Stadtteil-Gesundheitszentrums einbezogen werden?

Haul: Apotheken sind niedrigschwellige Anlaufstellen für Menschen mit gesundheitlichen, sozialen und psychischen Problemen, ganz besonders auch für Menschen mit Demenz. Die Apotheke vor Ort kennt ihre Kunden, es entsteht meist eine Beziehung und die Kunden vertrauen dem Apothekenpersonal. So fallen mögliche Wechselwirkungen, Handhabungsprobleme, Beschwerden, ein mangelndes Therapieverständnis oder mangelnde Therapieeinsicht auf. Deswegen ist es wichtig, dass sich die Apotheken in die örtlichen Netzwerke des Gesundheits- und Sozialwesens integrieren, denn so können Schwachstellen und Bedarfe für bestimmte Gesundheitsangebote vor Ort besser ermittelt werden.

Gerade in sozial benachteiligten Stadtteilen haben wir häufig auch einen Mangel an Haus- und Fachärzten. Deren Arbeitsdichte und Überlastung machen sich deutlich bemerkbar. Hinzu kommen suboptimale Abläufe in der Kommunikation der am Medikationsprozess Beteiligten. Pharmazeutische Dienstleistungen wie Medikationsmanagement nach Krankenhausentlassung können für die Ärzte eine große Entlastung sein.

Auch können Apotheker sich mit Pflege und Sozialdiensten, Seniorenberatungen, Angehörigengruppen, psychosozialen Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Familienberatung oder Suchtberatung abstimmen; damit können sie sicherstellen, dass neu angesetzte Therapien wirksam und sicher sind.

Was müssen Apotheker und PTA mitbringen?

Puteanus: Welche Kompetenzen werden von den integrierten Apothekerinnen, Apothekern und PTA erwartet? 

Haul: Engagement bei der eigenen fachlichen Weiterentwicklung, gute Kommunikationsfähigkeiten und die Offenheit und Bereitschaft, die Perspektiven anderer Berufsgruppen kennenzulernen und zu achten, dabei aber die pharmazeutische Perspektive selbstbewusst zu vertreten und nach außen hin zu kommunizieren. Die Bedeutung und vielfältigen Aufgaben der Apotheke vor Ort müssen in den regionalen Räumen sichtbar werden. Hier kann jeder einzelne von uns durch Mitarbeit in Arbeitsgruppen, Gremien und Netzwerken beitragen.

Puteanus: Gibt es schon Vorstellungen, wie die pharmazeutischen Dienstleistungen finanziert werden können?

Haul: Zunächst muss der Bedarf vor Ort ermittelt und deutlich gemacht werden. Ich bin aber sicher, dass dies schnell und überzeugend wissenschaftlich belegbar ist. Dann kann nach Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen von ausgeschriebenen Projekten gesucht werden. Ein Beispiel ist die »Nationale Demenzstrategie«, die die regionale Politik in die Pflicht nimmt. Auch gibt es den Innovationsfond des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie Stiftungen, die man ansprechen kann.

Für eine Finanzierung durch die Krankenkassen brauchen wir eine digitale, standardisierte, flächendeckende Lösung, die eine Evaluation der Ergebnisse einschließt. Wir brauchen eine datenschutzkonforme, direkte Kommunikation zwischen Ärzten und Apothekern. Diese muss für beide Seiten zeitsparend, effizient und praktikabel sein. Hier gibt es schon interessante Ansätze wie zum Beispiel das ARMIN-Projekt. Die Vergütung von Arzt und Apotheker im Rahmen eines interprofessionellen, digital unterstützten Medikationsmanagements ist absolut notwendig. Und genau davon braucht es mehr.

Puteanus: Frau Gündüz, sehen Sie reale Chancen, dass beim Aufbau der lokalen Gesundheitszentren die pharmazeutischen Kompetenzen ausreichend einbezogen werden können, und welche Hindernisse müssen überwunden werden?

Gündüz: In der Hamburger Ausschreibung der lokalen Gesundheitszentren kommt die pharmazeutische Kompetenz in Form der Apotheke leider (noch) nicht vor. Zu diesem Thema sind wir aber im Austausch mit der Behörde. In unserem geplanten Gesundheitszentrum in Lohbrügge/Bergedorf haben wir die pharmazeutische Kompetenz mitgedacht und haben in dem Netzwerk der das Gesundheitszentrum tragenden Akteure für die Bewerbung eine Apotheke mit an Bord.

Kommentar: Lokale Gesundheitszentren und Pharmazie zusammen denken!

Aufgrund der bisher gewonnenen Erkenntnisse aus den Projekten zur AMTS sowie aus den Erfahrungen aus dem Ausland gibt es viele Gründe, warum pharmazeutisches Know-how beim Aufbau der Gesundheitszentren mitgedacht werden sollte.

  • Arzneimitteltherapiesicherheit: Inzwischen ist durch viele Untersuchungen belegt, dass mit einer guten interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen allen am Medikationsprozess Beteiligten die besten Erfolge für Patienten erzielt werden. Vor allem in angelsächsischen Ländern hat man dies erkannt und dafür gesorgt, dass Apotheker entweder Teil eines Praxisteams werden; oder sie werden in Gesundheitszentren integriert, indem sie dort zu festen Zeiten oder auf Anforderung zur Lösung von arzneimittelbezogenen Problemen eingesetzt werden.
  • Unterstützung von Pflegefachkräften: Pflegefachkräfte benötigen ein fundiertes Wissen über Arzneimittel, wollen sie ihre Aufgabe der Versorgung inklusive Vergabe der Arzneimittel und der Therapiebeobachtung sachgerecht erfüllen. Dies ist aber nur selten der Fall. Deshalb brauchen sie direkte Ansprechpartner, die sie unterstützen und beraten können. Auch hier zeigt ein Blick in andere Länder, dass es Apotheker sind, die sich hier anbieten und genutzt werden.
  • Apotheken als Sensoren für Probleme im Quartier: In den Stadtteilen der größeren Städte stehen in der Regel Apotheken für die Bevölkerung zur Verfügung. Sie sind vor Ort verankert, genießen hohes Vertrauen in der Bevölkerung und kennen die Probleme, mit denen sich die Menschen herumschlagen (müssen). Oftmals sprechen die Mitarbeiter der Apotheken auch die Sprachen, die vor Ort verbreitet sind, und bekommen so einen guten Zugang zu den Menschen. Ein Gesundheitszentrum, das den Anspruch hat, in die Quartiere hineinzuwirken und problematische Verhältnisse zu verbessern, sollte nicht auf dieses gut informierte und gut ausgebildete Personal in Apotheken verzichten. 
  • Selbstmedikation: Sozial Benachteiligte mit wenig finanziellen Ressourcen haben Probleme, diese Arzneimittel zu kaufen. Entweder verzichten sie deshalb darauf oder die Ärzte verordnen schon mal höher dosierte Arzneimittel, die unter Verschreibungspflicht fallen, aber eigentlich nicht angemessen wären. Beides ist für die betroffenen Patienten nicht gut. Die Hamburger Gesundheitszentren könnten Erfahrungen bestehender Selbstmedikationshilfen in Städten wie Eisenach, Fröndenberg, Dülmen oder München aufgreifen und weiterentwickeln, wobei es ohne Apotheke nicht gehen wird. Denn diese haben die Übersicht über den Arzneimittelmarkt, sie wissen, was evidenzbasierte Selbstmedikation ist, und können denjenigen Hilfestellung geben und Mut machen, die bislang noch keine ärztliche Unterstützung in Anspruch nehmen wollen oder können. 

Sicherlich wird es weitere Bereiche geben, wo pharmazeutisches Fachwissen oder die soziale Bedeutung von Apotheken in Quartieren für den Versorgungsauftrag der geplanten Gesundheitszentren hilfreich wäre. Der Aufbau der Hamburger Gesundheitszentren bietet die Möglichkeit zu zeigen, wie beides zusammen gedacht und zu einem guten Angebot für die Nutzer der Gesundheitszentren entwickelt werden kann.

Dr. Uwe Puteanus, Münster

Frag die KI
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
BETA
Menü
Zeit
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
Zeit
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
Senden
SENDEN
KI
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
KI
KI
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa