Pharmazeutische Dienstleistungen im Fokus |
Die standardisierte Risikoerfassung bei Menschen mit Bluthochdruck, die mindestens ein antihypertensives Medikament einnehmen, ist eine der fünf pharmazeutischen Dienstleistungen. / Foto: Getty Images/Tom Werner
Seit Juni 2022 werden fünf pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) honoriert: die standardisierte Risikoerfassung Bluthochdruck, die erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Üben der Inhalationstechnik, die erweiterte Medikationsberatung in der Polymedikation, die pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten und die pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie. Über erste Erfahrungen bei der praktischen Umsetzung berichtete beim WLAT Apothekerin Dr. Katja Renner.
Die pDL stellten einen Paradigmenwechsel dar, betonte sie. »Zum ersten Mal können wir eine Dienstleistung selbst auslösen.« Mit Projekten wie Apo-AMTS und ATHINA habe man viele Jahre darauf hingearbeitet. Dass es für die pDL einen Bedarf gibt, haben verschiedene Untersuchungen gezeigt: So wendeten etwa 45 Prozent der Asthmapatienten, die sich in der Notaufnahme vorstellten, ihr Device falsch an und rund 5 Prozent der Krankenhauseinweisungen erfolgten aufgrund von Neben- oder Wechselwirkungen oder falscher Anwendung von Arzneimitteln; zwei Drittel hiervon wären vermeidbar.
Doch wie implementiert man die pDL in die bisherigen Abläufe? Führung, Teamarbeit, Kompetenz und klare Strukturen seien dabei gefragt, aber auch Zielsetzungen und Weiterentwicklung. Welche der Dienstleistungen möchte man überhaupt anbieten und in welchem Ausmaß? Wer aus dem Team darf und soll welche Aufgaben übernehmen? Diese und weitere Fragen müssten vorab geklärt werden. So kann etwa die standardisierte Risikoerfassung Bluthochdruck vom gesamten pharmazeutischen Personal (inklusive Personal in Ausbildung) übernommen werden, die Schulung zur Inhalationstechnik nur von Approbierten und PTA mit abgeschlossener Ausbildung.
Nicht alle Tätigkeiten müssen in der Apotheke erfolgen: Zwar muss dort die eigentliche Dienstleistung erbracht werden. Einige Arbeiten wie Recherchen oder das Erstellen von Berichten ließen sich auch ins Home-Office auslagern – eine attraktive Arbeitsmöglichkeit etwa für junge Eltern.
Auch für die Ausgestaltung gebe es verschiedene Möglichkeiten, führte Renner aus. Patienten mit entsprechenden Verordnungen anzusprechen, sei naheliegend. Termine ließen sich jedoch auch an Aktionstagen bündeln. Und auch in Qualitätszirkeln der Ärzte oder Pflegeheimen könne auf die pDL aufmerksam gemacht werden. Zahlreiche Vorlagen für die Umsetzung gebe es auf der Homepage der ABDA.
»Mehr als 100 verschiedene orale Antitumortherapeutika (OAT) gibt es heute, 85 davon sind seit dem Jahr 2001 hinzugekommen«, berichtete Professor Dr. Frank Dörje, Chefapotheker der Apotheke des Universitätsklinikums Erlangen, beim WLAT. Neben »klassischen« antineoplastischen Mitteln wie Capecitabin gibt es heute Immunmodulatoren wie Lenalidomid, antihormonelle Therapie wie Tamoxifen und niedermolekulare Kinase-Inhibitoren wie Imatinib. Einige OAT wirken unabhängig von der Tumorlokalisation über die Blockade bestimmter Wachstumsfaktoren.
OAT ermöglichen eine eigenständige Einnahme und dem Patienten mehr Selbstständigkeit; insgesamt sind weniger Arztbesuche und ein geringer Zeitaufwand erforderlich. Sie bedeuten für ihn aber auch neue Herausforderungen, zum Beispiel, komplexe Therapieschemata mit verschiedenen Therapiezyklen und Einnahmezeitpunkten zu befolgen. Bei rund 50 Prozent der Wirkstoffe werde die Resorption durch Nahrung und/oder den Magen-pH beeinflusst, so Dörje weiter. Und auch Nebenwirkungen- und Wechselwirkungen müssten gemanagt werden. Rund 70 Prozent der Wechselwirkungen kämen über CYP3A4 zustande. »Oral ist nicht banal«, betonte Dörje. »Medikationsfehler können im gesamten Medikationsprozess auftreten.«
Wie pharmazeutische Betreuung die Arzneimitteltherapiesicherheit und Patientenzufriedenheit erhöhen kann, zeigte die AMBORA-Studie (Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Behandlung mit neuen oralen Antitumor-Wirkstoffen). Die Patienten der Interventionsgruppe erhielten über zwölf Wochen eine intensivierte Therapiebegleitung. Diese umfasste Schulungen zur Therapietreue, zum Medikationsmanagement, zur Tumortherapie und zum Nebenwirkungsmangement.
Arzneimittelbezogene Probleme waren in der Interventionsgruppe signifikant seltener. Die Patientenzufriedenheit lag um 26 Prozent höher als in der Vergleichsgruppe. Das Risiko für den kombinierten Endpunkt schwerwiegende Nebenwirkung, ungeplante Hospitalisierung, Therapieabbrüche und Tod war um 52 Prozent niedriger als in der Vergleichsgruppe.
Basierend auf diesen Ergebnissen wurde in Erlangen ein interprofessionelles Kompetenz- und Beratungszentrum implementiert. Auf der Homepage gibt es umfangreiches Informationsmaterial für Patienten und für Fachkreise.