Pharmazeutische Betreuung kann viel ausrichten |
| Johanna Hauser |
| 05.11.2025 16:20 Uhr |
Das Patientengespräch ist das Herzstück einer Medikationsanalyse. Neben der Detektion von Stolpersteinen bei der Therapie ist hier auch Platz für Prävention. / © Adobe Stocks/peopleimages.com
Zum aktuellen »pDL Campus live«-Webinar brachte Ina Richling, St. Johann Hospital Dortmund und pharmazeutische Referentin, einen spannenden Patientenfall mit, an dem sie exemplarisch praktische Tipps zur Durchführung einer Medikationsanalyse gab. Eine ärztliche Einschätzung der Empfehlungen nahm Professor Dr. Stephan Achenbach vom Universitätsklinikum Erlangen vor.
Der 63-jährige Herr M. kommt mit einer neuen Verordnung in die Apotheke. Er ist sichtbar unzufrieden über ein weiteres Medikament und stimmt einer Medikationsanalyse zu. Zusätzlich zu den verordneten Arzneimitteln (siehe Kasten weiter unten) nimmt er von seiner Frau wegen Schmerzen hin und wieder Diclofenac 25 mg. Die Medikamente blistert er komplett aus und lagert sie in einer durchsichtigen Plastikbox. Der BMI liegt bei 31 kg/m2, der Blutdruck ist erhöht, wie eine Messung in der Apotheke im Rahmen der pharmazeutischen Dienstleistungen ergibt. Die Adhärenz ist nicht optimal.
Zunächst gab Richling Tipps zur Durchführung einer strukturierten Medikationsanalyse. Anhand verfügbarer Daten aus der Kundenkartei oder der Medikationsliste (elektronische Patientenakte, ePA) könne man das Patientengespräch bereits vorbereiten und beispielsweise einen ersten Interaktions-Check durchführen. Auch entfallene Informationen zu Arzneimitteln und Einnahmezeitpunkten können in Ruhe nachgeschlagen werden.
Dennoch sei das Patientengespräch Kernpunkt der Dienstleistung. Dort kämen nämlich die Einnahme nicht verordneter Medikamente (Diclofenac) oder eine unsachgerechte Lagerung zum Vorschein. So verliere beispielsweise Nitrendipin täglich 10 Prozent seiner Wirksamkeit, wenn es nicht lichtgeschützt aufbewahrt würde.
Auch Erwartungen und Probleme bezüglich der Therapie aus Sicht des Patienten werden im Gespräch besprochen. Andere Dienstleistungen wie die standardisierte Blutdruckmessung können direkt angeboten werden. Zur Abfrage der Adhärenz gibt Richling den Tipp, zu signalisieren, dass man selber nicht perfekt sei (»ich selber würde da sicher mal eine Einnahme vergessen – wie geht es Ihnen?«).
In der anschließenden AMTS-Prüfung müsse zuerst das Therapieziel festgelegt werden. In dem Fall bedeute dies die Minimierung von kardiovaskulären und renalen Risiken. Hier könne die Apotheke bereits viel anstoßen, Stichwort »Änderungen des Lebensstils«. Über Abgleich der Zielwerte mit den Werten des Patienten könne eine Optimierung von Lipidmanagement, Blutdruckeinstellung und Diabetes angeregt werden. Zudem erfolge eine Priorisierung der arzneimittelbezogenen Probleme (ABP).
Mehrere ABP stachen direkt ins Auge:
Offensichtlich ist hier die eigenständige Anwendung von Diclofenac zu hinterfragen. Im Arztbrief können die Schmerzen des Patienten sowie die anderen beiden ABP angesprochen werden. Auch die in der Apotheke durchgeführten Maßnahmen wie die Information über die korrekte Anwendung lassen sich hier aufführen.
Dem Arztbrief sollte ein aktueller Medikationsplan mit Bitte um Prüfung und Korrektur beigefügt werden, der um die Medikamente ergänzt ist, die der Patient außerhalb der Verordnung(en) einnimmt. Liegen verschiedene Pläne mehrerer Ärzte vor, muss zuerst geklärt werden, welcher Plan der aktuelle ist. Anschließend können die Hauptbeschwerden des Patienten umrissen, auf mögliche zusätzliche Beschwerden und detektierte Probleme (zu hoher Blutdruck) hingewiesen werden.
Aber auch ohne die Rücksprache mit dem Arzt kann die in der Apotheke viel angestoßen werden kann, sei es hinsichtlich Raucherentwöhnung, Bewegung, Gewichtsverlust, Ernährung oder Aufbewahrung der Medikamente.
Und wie reagiert nun der Arzt auf die angesprochenen Probleme? Liege keine eingeschränkte Pumpfunktion des Herzens oder KHK-Symptomatik vor, könne Metoprolol weggelassen werden, meinte Achenbach. Stattdessen zeige HCT eine gute Blutdrucksenkung, bei weniger ausgeprägter Diurese wie Torasemid. Die Umstellung auf eine Dreierkombination (Amlodipin, Candesartan, HCT) spare Tabletten ein, was dem ursprünglichen Wunsch des Patienten entspricht.
Falls die Blutdrucksenkung nicht ausreiche, könne man Spironolacton als »Panzerknacker« dazu geben. Ebenso zeige ein GLP1-Agonist zur Behandlung des Diabetes und des Übergewichts gute Ergebnisse, wie die Select-Studie zeigt. Das Cholesterin sinke effektiver mit einer Fixkombination aus Statin und Ezetimib.
Sofern der Patient kein Sodbrennen hat, solle Pantoprazol ausgeschlichen werden. Dies dampfe die Medikation auf vier bis fünf Anwendungen ein: ASS 100, Amlodipin/Candesartan/HCT, ggf. Spironolacton, Statin/Ezetimib, GLP1-Agonist. Über eine adäquate Schmerztherapie mit Metamizol müsse nachgedacht werden. ASS könne morgens gegeben werden.
Generell sei es wichtig, den Erklärungsbedarf bei den Patienten nicht zu unterschätzen: Ein Rauchverzicht umfasse auch E-Zigaretten. Und die mediterrane Diät bedeute mitnichten Pizza, Pasta und Tiramisù. Auch sei wichtig, dass die fünf Portionen Obst und Gemüse zu Gunsten des Gemüses aufgeteilt würden – drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst.
Im weiteren Verlauf des Webinars stellte Achenbach die leitliniengerechte Therapie der KHK und die verschiedenen Ausprägungen vor. Eine stummen KHK liege bei rund 50 Prozent der Über-50-Jährigen vor. Die stabile KHK, die mittlerweile in »Chronisches Koronarsyndrom« (CCS) umbenannt wurde, zeichne sich durch Beschwerden unter körperlicher Belastung aus. Beim Akuten Koronarsyndrom (ACS) komme es durch Aufreißen kleiner Plaques und in Folge einer verstärkten Blutgerinnung zu Thrombose und Infarkt.
Die Angina pectoris als Leitsymptom könne sich neben den klassischen Symptomen wie Druck und Enge oder Brennen hinter dem Brustbein (»Sodbrennen«) auch nur durch Atemnot oder verstärktes Schwitzen äußern.
Der Rückgang von Beschwerden, eine höhere Belastbarkeit und die Senkung des Infarktrisikos stellten die Therapieziele einer Behandlung dar. Dabei seien die Therapie-Zielwerte bei KHK streng gefasst:
Der HDL-Spiegel sowie das Verhältnis zu LDL spiele keine Rolle mehr, so Achenbach. Entscheidend sei ausschließlich der LDL-Spiegel. Ein hoher Lipoprotein(a)-Wert (LPa) stelle einen weiteren Risikofaktor dar. Sei dieser Wert erhöht, weise dies auf eine genetische Disposition hin, von der weitere Familienmitglieder betroffen sein könnten.
Drei Therapiesäulen stehen gleichberechtigt nebeneinander: Revaskularisation, medikamentöse Therapie und Lebensstiländerung mit Rauchverzicht, ausreichend Schlaf und mediterraner Ernährung sowie 30 bis 60 Minuten Bewegung täglich an fünf Tagen die Woche. Hier solle die Belastung so gewählt werden, dass man zwar noch sprechen, aber nicht mehr singen könne.
Der letzte Teil des Webinars befasste sich mit der Primärprävention. Eine gezielte Vorsorge helfe, Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren. Die Apotheke spiele bei der Prävention eine wichtige Rolle, so Achenbach. Er weist darauf hin, dass sich ein Herzinfarkt oft bereits Tage oder Wochen im Voraus ankündige. Klagt ein Patient über ein Druckgefühl, Sodbrennen oder Enge in der Brust? »Sofort zum Hausarzt,« stellt der Kardiologe klar.
Gezieltes Nachgefragen entlarve oft das eigentliche Problem: so könne sich hinter einem »Stechen« eben auch ein Druckgefühl oder Sodbrennen-artige Schmerzen hinter dem Brustbein verbergen. Ein Herzinfarkt oder eine KHK äußere sich nicht in »Stechen«. Hier lägen andere Beschwerden zugrunde.
Begleitend zu den »Life’s Essential Eight« der American Heart Association (AHA) habe Dr. Dariush Mozzafarian, Tufts Universität, ein anschauliches Schema zur Ernährung erarbeitet, das man den Patienten gut an die Hand geben könne: schützende Nahrungsmittel sind demnach Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Fisch, Oliven- und Rapsöl sowie Naturjoghurt. Neutrale Lebensmittel, die in Maßen genossen werden sollen, sind Käse, Eier, Butter, Geflügel und nicht verarbeitetes rotes Fleisch. Ungünstig und somit zu vermeiden sind Zucker, Stärke, Weißmehlprodukte, Salz, Wurst, industrielle Transfette. Das gelte auch für Sonnenblumenöl.
Die Frage nach ASS in der Primärprävention beantwortete Achenbach mit einem deutlichen »Nein«. Es gebe keine belastbaren Daten zur Senkung von Infarkt- und Schlaganfallrisiko, allerdings steige das Risiko von gastrointestinalen Blutungen. Der Schaden sei zwar nicht groß, der Nutzen allerdings noch kleiner.
Viel wichtiger für Personen mit Herz-Kreislauf-Risiko seien die empfohlenen Standardimpfungen, da diese nachweislich die Sterblichkeit senkten.
Hier eröffneten sich auch weitere Möglichkeiten für die Apotheken, ergänzte Richling. So seien im Entwurf des Apothekenreformgesetzes weitere Impfungen, die Messungen zu Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus sowie die Kurzintervention zur Prävention tabakassoziierter Erkrankungen vorgesehen.