Pharmaunternehmen rufen nach Staatshilfe |
Cornelia Dölger |
22.04.2024 12:00 Uhr |
Lieferengpässe zu managen, ist in den Apotheken leidiges Alltagsgeschäft. Um dem Mangel entgegenzuwirken, gibt es etliche Ideen und Vorstöße. Der Staat solle gezielt mitinvestieren, fordern die Generikahersteller. / Foto: IMAGO/photothek
Arzneimittellieferengpässe sind ein Dauerbrenner, den auch politische Anstrengungen wie das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) nicht kurzfristig zu löschen vermögen. Globale Lieferketten drohen schnell zu reißen, wenn nur eins der Glieder ausfällt. Daher gibt es schon länger Anstrengungen, die Arzneimittelproduktion (zurück) nach Europa zu holen, um die Abhängigkeit etwa von Asien, aber auch von den USA zu mindern.
Geopolitische Fragen befeuern die Diskussionen. Würden europäische Sanktionen als Reaktion etwa auf einen Angriff Chinas auf Taiwan die Lieferketten gefährden? Wie werden sich die Handelsbeziehungen zwischen Europa und den USA unter einem möglichen baldigen US-Präsidenten Donald Trump verändern? Solche Szenarien mögen eine Rolle gespielt haben, als der Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU (EWSA) vor Kurzem seine aktuelle Stellungnahme zum Thema »Sicherung der Arzneimittelversorgung in Europa – Gesetz über kritische Arzneimittel« formulierte. Von »geopolitischen Spielen« ist darin die Rede, in denen der Zugang zu Wirkstoffen und grundlegenden Arzneimitteln zur »Waffe« werde.
Entsprechend eindringlich fordert der EWSA »einen soliden Aktionsplan, der darauf abzielt, die Herstellung von pharmazeutischen Wirkstoffen und Fertigarzneimitteln in die Europäische Union zu verlagern«. Die EU-Kommission möge ein umfassendes Instrumentarium schaffen und entsprechende Rechtsvorschriften erlassen. Es sei wichtig, Abhängigkeiten zu verringern und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit und die strategische Autonomie der EU zu stärken.
Kurzfristig helfen politische Vorstöße allerdings nicht, das ist auch am Lieferengpassgesetz (ALBVVG) abzulesen, dessen Wirkung sich zumindest teilweise erst langfristig entfalten werde, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einräumte. Das Gesetz sieht unter anderem finanzielle Anreize für Hersteller vor und soll die Ansiedlung und den Ausbau von Produktion forcieren. Doch: Was die Politik heute initiiert, hilft erst sehr viel später, wie der Verband Pro Generika auf PZ-Anfrage erklärte.
Für den Bau von Produktionsstätten müssen demnach fünf Jahre veranschlagt werden. Die Errichtung eines Werkes koste 150 bis 250 Millionen Euro pro Wirkstoff. Weil auf allen Ebenen eine Übersicht darüber fehle, was noch wo produziert wird, lasse sich keine Aussage dazu machen, wie lange es dauern würde, die Arzneimittelproduktion für den europäischen Bedarf wieder komplett zurück nach Europa zu holen.
Grundsätzlich hält Pro-Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer die »Rückverlagerung« der Generikaproduktion für »wenig realistisch«. Mehr Unabhängigkeit bei kritischen Wirkstoffen sei aber möglich – allerdings habe Deutschland lange versäumt, hier aktiv zu werden, anders als etwa die österreichische Regierung, die 2020 den Ausbau der Penicillin-Produktion in Kundl in Tirol massiv unterstützt habe.
Die Vereinbarung zwischen dem österreichischen Staat und Sandoz ist für Bretthauer eine mögliche Blaupause für Deutschland. Wegen des niedrigen Erstattungsniveaus bräuchten die Unternehmen die Unterstützung der Politik, so Bretthauer zur PZ, etwa durch konkrete Investitionszuschüsse. Sandoz hatte 200 Millionen in den Ausbau seiner Penicillin-Produktion in Kundl investiert und wurde vom Staat dabei mit 50 Millionen Euro unterstützt. Dafür verpflichtete sich das Unternehmen, zehn Jahre lang die Penicillin-Produktion für ganz Europa sicherzustellen.