Pharmakotherapie verhindert Folgeerkrankungen |
Theo Dingermann |
11.04.2024 15:00 Uhr |
Bis zu 50 Prozent der erwachsenen ADHS-Betroffenen entwickelt im Laufe ihres Lebens eine Angststörung und/oder Depressionen. Eine Pharmakotherapie könnte das Risiko dafür senken. / Foto: Getty Images/Guido Mieth
Über die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit einer ADHS-Pharmakotherapie ist wenig bekannt. Frühere Beobachtungsstudien zeigten sowohl positive als auch negative Effekte. So ist die Einnahme von Stimulanzien etwa mit einem geringeren Risiko für suizidales Verhalten, Depressionen und Langzeitarbeitslosigkeit verbunden. Zugleich ist ein potenziell erhöhtes Risiko für Krampfanfälle, Psychosen oder Manien zu befürchten.
In der nun aktuellen Studie analysierte das Team um Dr. Heidi Taipale vom Karolinska-Institut in Stockholm, Schweden, von 2006 bis 2021 in mehreren landesweiten Registern die Dateneinträge von Personen mit ADHS im Alter von 16 bis 65 Jahren. Anhand der persönlichen Identifikationsnummer konnten die Forschenden recherchieren, welche ADHS-Medikamente sie verschrieben bekommen hatten und ob sie wegen Folgeerkrankungen in Behandlung gewesen waren.
Der Fokus der Registerstudie lag auf der Frage, ob und in welchem Ausmaß eine gut eingestellte medikamentöse Therapie das Risiko für eine psychiatrische Krankenhauseinweisung senken kann. Die sekundären Endpunkte bezogen sich auf die Risikoreduktion für Selbstmordversuche und/oder Tod durch Selbstmord, nicht-psychiatrische Krankenhauseinweisungen und Arbeitsunfähigkeit. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Zeitschrift »JAMA Network Open« publiziert.
Insgesamt werteten die Forschenden die Einträge von 221.714 Personen mit ADHS aus. Die meisten erhielten Methylphenidat, gefolgt von Lisdexamphetamin. Ferner waren Amphetamin, Dexamphetamin, Modafinil, Atomoxetin, Clonidin und Guanfacin verordnet worden.
Den größten Effekt hinsichtlich einer Verringerung des Risikos für eine psychiatrische Hospitalisierung zeigte Amphetamin (bereinigte Hazard Ratio 0,74), gefolgt von Lisdexamphetamin (bereinigte Hazard Ratio 0.80) und einer ADHS-Polytherapie (bereinigte Hazard Ratio 0,85). Auch eine Therapie mit Dexamphetamin (bereinigte Hazard Ratio 0,88) und Methylphenidat (bereinigte Hazard Ratio 0,93) reduzierte das Risiko für eine Krankheitsverschlechterung. Für Modafinil, Atomoxetin, Clonidin und Guanfacin wurde kein Zusammenhang mit einer Verringerung des Risikos für Fortschreiten der Erkrankung festgestellt.
Zudem reduzierte eine ADHS-Therapie das Risiko für ein suizidales Verhalten. Am besten schnitten hier Dexamphetamin (bereinigte Hazard Ratio 0,69), Lisdexamphetamin (bereinigte Hazard Ratio 0,76) und Methylphenidat (bereinigte Hazard Ratio 0,92) ab.
Keines der Medikamente war mit einem erhöhten Risiko für nicht-psychiatrische Krankenhausaufenthalte verbunden. Im Gegenteil: Nahezu alle eingesetzten Medikamente reduzierten das Risiko für nicht-psychiatrische Krankenhausaufenthalte.
Die Ergebnisse in Bezug auf die Arbeitsunfähigkeit waren nur für die Einnahme von Atomoxetin signifikant (bereinigte Hazard Ratio 0,89). Dies galt besonders für Jugendliche und junge Erwachsenen im Alter von 16 bis 29 Jahren (bereinigte Hazard Ratio 0,82).
Die Ergebnisse sollten Patienten und Ärzte Mut machen, etwaige Vorbehalte gegen die Einnahme von ADHS-Medikamenten zu überdenken.