Tiotropium bald im Handel |
10.06.2002 00:00 Uhr |
von Christiane Berg, Hamburg
Mit dem langwirksamen Anticholinergikum Tiotropium (Spiriva®) steht in Kürze ein weiteres Medikament zur Therapie der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) zur Verfügung. Der Wirkstoff muss nur einmal am Tag inhaliert werden.
Der Arzneistoff, der den cholinergen Muscarin-Rezeptor vom Typ M3 blockiert, scheint in seiner Wirksamkeit der mehrfachen Gabe der kurzwirksamen Parasympatholytika Ipratropium- und Oxitropiumbromid überlegen zu sein.
Primäres Therapieziel bei der COPD ist die maximale Kompensation der pathologischen Engstellung der Atemwege, wobei wichtigster therapeutischer Angriffspunkt der erhöhte Tonus der glatten Bronchialmuskulatur ist. Neben den b2-Adrenorezeptoragonisten und den direkten Bronchodilatatoren kommt daher den Anticholinergika besondere Bedeutung zu, sagte Professor Dr. Martin C. Michel, Essen, auf einer Veranstaltung von Pfizer und Boehringer Ingelheim am 4. Juni.
Michel nannte die bisher verfügbaren Anticholinergika klinisch erfolgreich, doch sei ihre Wirksamkeit durch eine kurze Wirkdauer limitiert. Verantwortlich für die langanhaltende Bronchodilatation von Tiotropium sei die funktionelle Selektivität des Wirkstoffs an den Muscarinrezeptoren. Tiotropium dissoziiert schnell von M2-Rezeptoren, deren Blockade unerwünscht ist, da diese die Acetylcholinausschüttung hemmen. Es bindet lange an M1- und M3-Rezeptoren, die für die Bronchokonstriktion verantwortlich sind. Für die höhere Lipophilie und somit veränderte Rezeptorkinetik werden Thiophen-Ringe verantwortlich gemacht, die das Tiotropium in seiner Struktur von dem ansonsten ähnlichen Ipratropium unterscheiden.
Bessere Lungenfunktion
Die Wirkung und Verträglichkeit des M3-Blockers, der noch in diesem Monat in Deutschland auf den Markt kommen soll, wurde in sechs großen klinischen Studien an 1100 Patienten gegenüber Placebo, Ipratropium und Salmeterol geprüft, so Professor Dr. Helgo Magnussen vom Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie in Großhansdorf, der von einer echten Innovation und guten Datenlage sprach. Von besonderer Bedeutung sei der in allen Studien nachweisbare Effekt auf die Verbesserung der Lebensqualität, der Belastbarkeit und der Kurzatmigkeit.
Belegt werden konnte, dass Tiotropium im Vergleich zu Placebo, Ipratropium und Salmeterol in der Dauertherapie zu einer signifikanten und länger anhaltenden Verbesserung der Lungenfunktion ohne Toleranzentwicklung führt. Magnussen betonte, dass das Dyspnoe-Empfinden der Patienten sowie die Zahl und Dauer der Exazerbationen durch Tiotropium stärker reduziert, und damit auch die Zahl und Dauer der Krankenhauseinweisungen gesenkt werden kann. Kurz wirksame b2-Sympathomimetika wurden als Zusatzmedikamente deutlich seltener gebraucht.
Der Pneumologe verwies auf Mundtrockenheit, die als einzige klinisch bedeutsame Nebenwirkung signifikant häufiger als in der Placebogruppe beobachtet wurde, jedoch nur in seltenen Fällen zum Therapieabbruch führte.
Hohe Dunkelziffer bei COPD
Die Prävalenz der COPD, die durch die Leitsymptome Auswurf, Husten und Atemnot gekennzeichnet ist, wird in Deutschland auf 4 bis 7 Prozent geschätzt, so Dr. Thomas Voshaar, Moers. Er sprach von einer hohen Dunkelziffer sowie "gigantischen ökonomischen Auswirkungen". Über Dyspnoe und Immobilität könne die COPD zu Depressionen und sozialer Isolation führen. Im Gegensatz zum Asthma, das in der Regel nicht zum Lungenemphysem führt, gehe die COPD als Erkrankung der kleinen Atemwege häufig mit einer progredienten emphysematischen Destruktion der Alveolen und exobronchialen Obstruktion einher. Der Verlust der parenchymalen Retraktionskräfte könne zu einem exspiratorischen Bronchialkollaps und damit zu einer Lungenüberblähung führen.
Da die COPD auch mit einer deutlich höheren Prävalenz als Asthma
bronchiale auftritt, jedoch in den meisten Fällen erst in
fortgeschrittenen Krankheitsstadien diagnostiziert wird, komme der
Früherkennung mit einfachen Mitteln wie Anamnese, klinischem
Untersuchungsbefund und Spirometrie eine besondere Bedeutung zu. Nur durch
das Ausschalten auslösender Noxen könne die Progredienz sichtbar
gebremst werden. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird die COPD im
Jahr 2020 dritthäufigste Todesursache sein. Der wichtigste Risikofaktor
ist mit 80 Prozent das Rauchen.
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