Pharmazie
Brustkrebs ist bei Frauen der westlichen Welt die häufigste durch Krebs
bedingte Todesursache. Immer häufiger treten neue aggressive
Tumor-Phenotypen auf. Derzeit praktizierte Therapien haben deshalb nur
ein eingeschränktes Heilpotential. Die Hormontherapie gehört in der
Behandlung postmenopausaler Patientinnen mit positivem Rezeptorstatus zu
den wichtigsten Therapieansätzen. Sie wird sowohl nach lokaler
Tumorentfernung als auch bei nicht operablen, metastasierenden
Brustkrebsformen angewendet.
Antiestrogene werden derzeit noch als Mittel der ersten Wahl in der endokrinen
Therapie aller Stadien des Brustkrebses eingesetzt, aber auch die
Aromatasehemmer sind auf dem Weg in die first-line-Therapie des metastasierenden
Mammakarzinoms. Obwohl die Estrogenzirkulation nach der Menopause verringert
ist, steigt mit dem Lebensalter die Frequenz des hormonabhängigen Brustkrebs.
Überwiegend Estrogene und Progesterone regulieren das Wachstum und die
Proliferation im gesunden Brustgewebe. Auch die Entstehung von Brustkrebs wird
wesentlich durch das Wechselspiel zwischen Estrogenen und Antiestrogenen
beeinflußt. Jensen und andere entdeckten 1960 Estrogen-Rezeptoren (ER) und
postulierten, daß ihre Anwesenheit in einem Brusttumor einer endokrinen Therapie
zugänglich sein müßten.
Wenn Estrogen in einen Zellkern diffundiert und sich dort an ER bindet, wird die
Transkription von Estrogen-regulierten Zellen aktiviert. Antiestrogene binden zwar
ebenfalls an ER, aber hemmen entweder die Proliferation oder es kommt zum
Zelltod. Da Estrogene nicht nur eine Wirkung auf reproduktive Organe sondern auch
auf anderes Gewebe haben, entwickeln nichtsteroidale Estrogene mehr oder weniger
starke agonistische beziehungsweise antagonistische Effekte auf verschiedene
Gewebe. Das erklärt unter anderem die Nebenwirkungen der Antiestrogene.
Tamoxifen wurde 1969 zur Therapie des fortgeschrittenen Mammakarzinoms bei
postmenopausalen Frauen eingeführt. Es liegt als cis- und trans-Isomer einer
Triphenylethylenverbindung vor. Das trans-Isomer wirkt antiestrogen, das
cis-Isomer estrogen. Zwei Metaboliten verfügen über einen mehr oder weniger
starken antiestrogenen Effekt. Diese komplexe Pharmakologie erklärt, warum
Tamoxifen immer noch in klinischen Studien untersucht wird. So ist beispielsweise
noch nicht geklärt, warum die meisten Patientinnen eine Tamoxifen-Resistenz
entwickeln. Die gefährlichste Nebenwirkung von Tamoxifen ist die Entstehung eines
Endometriumkarzinoms (1 Prozent der Frauen, die Tamoxifen über fünf Jahre oder
länger erhalten haben), was auf seine Estrogen-agonistische Wirkung zurückzuführen
ist.
Ziel der Wissenschaftler ist es, neue Antiestrogene zu entwickeln, die erstens keine
Kreuzresistenz zu Tamoxifen aufweisen und zweitens weniger toxisch wirken; so
zum Beispiel reine Antiestrogene, die keinen stimulierenden Effekt auf den Uterus
ausüben. In klinischen Versuchen sind eine Reihe neuer Antiestrogene evaluiert
worden.
Tamoxifen-Analoga oder Triphenylethylene
Präklinische Studien mit Toremifen (Fareston®) zeigten im Tierversuch eine
geringere intrinsische Estrogen- Wirkung und eine geringere Stimulation des
Endometriums im Vergleich zu Tamoxifen. In einer klinischen Studien mit 648
Patientinnen konnte jedoch kein statistisch signifikanter Unterschied in Bezug auf
Ansprechrate und Nebenwirkungsprofil festgestellt werden.
Droloxifen ( 3-Hydroxytamoxifen) hat eine geringere estrogene Restwirkung als
Tamoxifen und weist eine weniger komplizierte Pharmakokinetik auf, da es selbst
wirksames Agens ist und nicht metabolisiert werden muß. Idoxifen weist eine sehr
große Rezeptor-Affinität auf und wird nicht in dem Maße wie Tamoxifen
metabolisiert. Es befindet sich aber noch in den Anfangsstadien der klinischen
Prüfung.
Reine Antiestrogene
Reine Antiestrogene unterscheiden sich von den Tamoxifenanaloga durch ihre
chemische Struktur, die Pharmakologie und die biologische Aktivität. Sie wurden
erstmals Mitte der achtziger Jahre beschrieben. Zeneca entwickelte zwei steroidale
Verbindungen. ICI 164,384 weist eine geringe Bioverfügbarkeit auf. Mit ICI
182,780 (Faslodex®) werden fortgeschrittene Mammakarzinome nach Versagen
einer Langzeit- Tamoxifentherapie behandelt. Faslodex® hat keine partielle
agonistische Aktivität, wird als monatliche Depotinjektion gegeben und erwies sich
als wirksam gegen Tamoxifen-resistente menschliche Brustkrebszellen. Das deutet
darauf hin, daß Kreuzresistenzen mit Tamoxifen fehlen und die Substanz nicht
proliferativ auf das Endometrium wirkt. In Phase-III-Studien muß jedoch der
Stellenwert des Faslodex® noch abgeklärt werden.
Raloxifen (Evista®), ein selektiver Estrogen-Rezeptormodulator wurde zur
Behandlung von ER-positivem Brustkrebs entwickelt, befindet sich aber auch in den
letzten Stadien der Entwicklung als ein Arzneistoff gegen Osteoporose.
Alle neuen Substanzen die mit dem etablierten Tamoxifen konkurrieren, müssen
noch beweisen, ob sie ein geringeres Nebenwirkungspotential bei gleicher Wirkung
gegen Brustkrebs aufweisen und in welcher Größenordnung Resistenzen ausgebildet
werden. Weitere klinische Studien werden außerdem zeigen, ob die
Tamoxifen-Resistenz durch intermittierende Therapie verhindert werden kann.
Aromataseinhibitoren
Ebenfalls zur Therapie des fortgeschrittenen, hormonempfindlichen,
metastasierenden Mammakarzinoms werden Aromataseinhibitoren zur Senkung des
Estrogenspiegels eingesetzt. Bei postmenopausalen Frauen wird der größte Teil der
zirkulierenden Estrogene durch die Umwandlung von Androstendion und
Testosteron in Estron und Estradiol gebildet. Diese Vorgänge finden im peripheren
Gewebe, ganz besonders im Fettgewebe statt. Ein wichtiger Schritt hierbei ist die
oxidative Entfernung der C-19-Methylgruppe und die Aromatisierung des A-Rings,
die durch das Enzym Aromatase katalysiert wird.
Mit Aminoglutethimid (Orimeten®) gelang es erstmals, die Aromatase zu hemmen.
Da Aminoglutethimid jedoch mehrere Enzyme der Superfamilie Cytochrom P-450
beeinflußt, werden auch eine Reihe anderer biochemischer Umwandlungen
gehemmt. Unter anderem greift Aminoglutethimid so stark in die Steroidproduktion
der Nebenniere ein, daß sowohl eine Glucocorticoid- als auch eine
Mineralocorticoidsubstitution notwendig sein kann.
Seit einigen Jahren steht mit Formestan (Lentaron® Depot) ein gut verträglicher
Aromatasehemmer der zweiten Generation zur Verfügung. Formestan wird alle 14
Tage intramuskulär injiziert und gilt als etablierte Second-line-Therapie nach
Tamoxifen. Inzwischen sind mit Anastrozol (Arimidex®) und Letrozol (Femara®)
potente und selektive Aromatasehemmer der dritten Generation verfügbar, durch die
die Produktion anderer Steroidhormone nicht beeinträchtigt wird. Die
Hormonspiegel müssen deshalb nicht kontrolliert werden; die Substitution von
Steroiden ist nicht nötig. Verschiedene Studien an Frauen, die eine Progression ihrer
Erkrankung nach Tamoxifen-Behandlung aufwiesen, zeigen eine gute Responderrate
unter Anastrozol. Dabei zeigte sich, daß besonders Frauen, die früher gut auf
Tamoxifen angesprochen hatten, in der Nachfolgetherapie gut auf Anastrozol
ansprachen.
Letrozol ( Femara®) ist zugelassen zur Behandlung des hormonempfindlichen
metastasierenden Mammakarzinoms postmenopausaler Frauen nach
vorangegangener Antiöstrogentherapie. Angesichts sehr guter Ansprechraten und
Verträglichkeit von Letrozol in der Second-line-Therapie wird der
Aromatasehemmer jetzt in verschiedenen randomisierten Studien direkt mit
Tamoxifen in der First-line-Therapie verglichen. In einer ersten Pilotstudie führte
Letrozol als Primärtherapie bei postmenopausalen Brustkrebspatientinnen zu einer
Ansprechrate von 92 Prozent; ein Ergebnis, das auf eine im Vergleich zu Tamoxifen
mindestens ebenbürtige Wirksamkeit hindeutet.
PZ-Artikel von Annette Junker, Wermelskirchen
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