Frühe Gabe von Tobramycin schützt Mukoviszidose-Patienten |
10.06.2002 00:00 Uhr |
von Wolfgang Kappler, Homburg
Patienten mit Mukoviszidose, die frühzeitig das Antibiotikum Tobramycin inhalieren, erkranken seltener an einer chronischen Lungenentzündung. Das haben jetzt Ärzte am Universitätskinderklinikum Essen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Allgemeine und Umwelthygiene der Uni Tübingen gezeigt.
Die bislang unheilbare Mukoviszidose ist die in der weißen Bevölkerung am häufigsten verbreitete Stoffwechselkrankheit. In Deutschland sind rund 8000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betroffen. "Ursache ist das 1989 auf dem Chromosom 7 entdeckte CFTR-Gen, von dem inzwischen über 900 Mutationen bekannt sind", so Professor Dr. Gerd Dockter, Leiter der Mukoviszidose-Ambulanz am Universitätskinderklinikum Homburg/Saar.
Ein intaktes Gen codiert normalerweise für ein Protein, das den Schließmechanismus von Kanälen an den Oberflächen der Körperzellmembranen reguliert. Wasser und Salze können so in die Zellen gelangen. Bei Mukoviszidose-Patienten ist dieser Mechanismus gestört. In der Folge bildet sich in Lunge, Bauchspeicheldrüse, Leber und Darm ein zäher Schleim. Der ist für Bakterien ein idealer Nährboden. Gerade in der Lunge verursachen die Erreger Entzündungen, die das Gewebe zerstören.
Neben Hämophilus-Bakterien und Staphylokokken sind es vor allem Pseudomonas-Bakterien, die den Ärzten Kopfzerbrechen bereiten. "Sie sind Ursache für eine chronische Lungenentzündung in Folge einer Primärerkrankung", beschreibt Dr. Felix Ratjen, Leiter der Essener Studie, das Problem. Eine akute Lungenentzündung lässt sich beim Gesunden ganz gut behandeln. Bei Mukoviszidose-Patienten wird sie jedoch chronisch und kaum mehr behandelbar und ist deshalb die am meisten gefürchtetste Komplikation.
Ratjen ließ nun 15 Patienten im Alter von ein bis 18 Jahren unmittelbar nach dem ersten Nachweis der Keime im Lungenschleim das Antibiotikum Tobramycin inhalieren und beobachtete die Wirkung im Abstand von drei Monaten durch regelmäßige Schleimuntersuchungen. "Dabei zeigte sich, dass das Keimwachstum nicht nur unterdrückt, sondern die Erreger in der Lunge sogar dauerhaft eliminiert werden können, so dass eine chronische Entwicklung ausbleibt", fasst Ratjen das Ergebnis zusammen. Wichtig sei, dass die Behandlung bereits in der Besiedlungsphase des Keimes erfolgt, bevor der sich mit einem Schleimmantel umgibt, der ihn vor Antibiotika schützt.
Ratjens hofft nun auf eine Kombitherapie, die auch andere Lungenkeime angreift. Trotz des guten Ergebnisses bei den 15 Patienten mag der Essener dennoch nicht von einem Durchbruch in der Mukoviszidose-Behandlung sprechen: "Wir waren mit der Pilotstudie zwar erfolgreich, für eine allgemeine Empfehlung ist es aber noch zu früh. Dazu bedarf es größerer Studien mit mehr Patienten in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Mukoviszidose-Zentren".
Gelingt es jedoch, die chronische Lungenentzündung dauerhaft zu
vermeiden, könnte dies die Lebenserwartung der Betroffenen erheblich
steigern. Sie lag 1980 noch durchschnittlich bei acht Jahren. Durch
verbesserte Antibiotika- und Enzymbehandlungen, schleimverflüssigende
Medikamente, Atemtherapie, Krankengymnastik und regelmäßiges Abklopfen
des Schleimes leben die Betroffenen heute im Schnitt 15 Jahre. Und selbst
das Überschreiten der 30-Jahre-Grenze ist keine Seltenheit mehr.
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