Klassische Therapie des Diabetes mellitus |
24.01.2000 00:00 Uhr |
Ziel einer jeden Therapie eines Diabetes, egal ob vom Typ 1, der durch akute B-Zell-Zerstörung induziert wird, oder vom Typ 2, dem eine Insulinresistenz zugrunde liegt, ist die normnahe Blutzuckereinstellung. So die Botschaft von Privatdozentin Dr. Irene Krämer von der Apotheke des Klinikums der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz auf dem Pharmacon Davos 2000.
Durch eine zehnprozentige Reduktion des glykosilierten Hämoglobins (HbA1c), das als Prädiktor für das Auftreten von Komplikationen gilt, kann das Risiko für Mikroangiopathien um durchschnittlich 30 Prozent gesenkt werden. In der Tabelle sind die biochemischen Zielgrößen für die Stoffwechseleinstellung der Diabetiker zusammengefasst, die 1999 von der Deutschen Diabetes Gesellschaft festgelegt wurden.
Bei den Antidiabetika zur peroralen Applikation stehen inzwischen fünf Stoffgruppen zur Verfügung, die entweder die Insulinsekretion stimulieren, also insulinotrop wirken, oder die Glucoseutilisation verstärken oder als Insulinsensitizer wirken oder die Glucoseresorption hemmen.
Sulfonylharnstoffe und Benzoesäurederivate
Die Sulfonylharnstoffe (Tolbutamid, Gliburnorid, Glibenclamid, Glipizid, Gliquidon, Glisoxepid und Glimepirid) und die Benzoesäurederivate (Repaglinid) wirken insulinotrop, indem sie durch Blockade der ATP-sensitiven Kaliumkanäle der B-Zellmembranen im Pankreas zu einer Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration führen, was eine gesteigerte Insulinausschüttung zur Folge hat. Bei 60 bis 70 Prozent der Typ-2-Diabetiker lassen sich mit diesen Substanzen als Primärtherapeutika gute Blutglucosespiegel einstellen. Weniger gute Ergebnisse werden bei Patienten mit hohen Nüchtern-Blutglucosespiegeln und hohem Übergewicht erzielt. Außerdem kommt es bei circa zehn Prozent der Patienten pro Jahr zum Sekundärversagen. Häufigste Nebenwirkung sind Hypoglykämien und Gewichtszunahme. Außerdem müssen Interaktionen beachtet werden. Der Vorteil von Repaglinid gegenüber den Sulfonylharnstoffen liegt in seinem raschen Wirkungseintritt und in der kurzen Wirkdauer, was die Einnahme zu den Mahlzeiten möglich macht.
Biguanide
Eine Renaissance haben die Biguanide, von denen nur noch das Metformin verfügbar ist, in den letzten Jahren erlebt. Metformin senkt dosisabhängig den Blutzuckerspiegel, ohne Hypoglykämien zu induzieren. Es beeinflusst den Glucosemetabolismus, indem die hepatische Gluconeogenese verringert, der anaerobe intestinale Glucoseabbau verstärkt und die Aufnahme von Glucose in die Muskelzellen gesteigert wird. Als Wirkungsmechanismen werden diskutiert: eine Stimulation der Glucosetransporter und Verstärkung der Insulinrezeptor-Tyrosinkinase-Aktivität. Metformin eignet sich besonders zur Behandlung von Typ-2-Diabetikern mit Übergewicht, bei denen die Insulinresistenz im Vordergrund steht.
alpha-Glucosidase-Inhibitoren
In dieser Gruppe stehen mit der Acarbose und dem Miglitol zwei Substanzen zur Verfügung, die durch kompetitive Hemmung der intestinalen alpha-Glucosidase den Abbau von Poly-, Oligo- und Disacchariden inhibieren beziehungsweise verzögern und somit den postprandialen Blutzuckerspiegel senken. Hypoglykämien sind nicht zu erwarten, als Nebenwirkungen treten Blähungen und Diarrhöen auf, die durch einschleichende Dosierung meist vermindert werden können.
Glitazone als Insulinsensitizer
Eine neue Gruppe ist mit den Thiazolidindionen Troglitazon, Rosiglitazon und Pioglitazon geschaffen worden, die als Insulinsensitizer einen kausalen Therapieansatz beschreiben. Sie erhöhen die Sensitivität gegenüber Insulin in Glucose verbrauchenden Geweben, insbesondere der Muskulatur, daneben der Leber. Die Glitazone binden an einen nukleären Rezeptorkomplex (PPARg-Rezeptor), was zu einer verstärkten Genexpression und Bildung von Proteinen führt, die in den Glucose- und Lipidstoffwechsel eingreifen. Sie verstärken den Glucosemetabolismus in der Muskulatur und hemmen die hepatische Gluconeogenese. Als Nebenwirkung muss eine Hepatotoxizität beachtet werden, deshalb wurde der Zulassungsantrag für Troglitazon in Europa zurückgezogen.
Insuline
Nur kurz konnte die Referentin auf die Insuline eingehen, die bei Typ-1-Diabetes obligatorisch und bei Typ-2-Diabetikern zur Kombination, aber auch als Monotherapie eingesetzt werden. Unterschieden werden Normalinsuline und Verzögerungsinsuline von kurzwirksamen Insulinanaloga (Insulin Lispro und Aspart), mit denen ein physiologischeres prandiales Insulinprofil als mit Normalinsulinen möglich wird. Ein weiteres prolongiertes Insulin (Hoe 901) steht kurz vor der Zulassung. In diesem Insulin ist wie bei den kurz wirksamen Insulinanaloga die Aminosäuresequenz verändert worden (A21: Glycin statt Arginin), außerdem wurde die B-Kette um Arginin verlängert. Das bewirkt eine verzögerte und verlängerte Insulinwirkung. Mit Hoe 901 wird es möglich, die Zufuhr des basalen Insulinbedarfs mit einer einmal täglichen Injektion sicherzustellen.
Ebenfalls in der Phase 3 der klinischen Studien ist ein inhalierbares Insulin, das in Trockenform mittels eines Aerosolsystems vor einer Mahlzeit anstelle der Injektion appliziert wird. Diese Applikationsform bietet sich insbesondere bei den Patienten an, die Angst vor dem Spritzen haben. Die postprandiale Blutzuckersenkung ist, so die Referentin, vergleichbar mit einer subkutanen Injektion von Normalinsulin.
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