Pharmazie
Standing ovations erhielt Professor Dr. Thorsten Beyrich, Greifswald,
beim 50. Jubiläum der Scheele-Gesellschaft am 24. Oktober in Rostock, zu
der Dr. Thomas Jira als Vorsitzender 200 Gäste begrüßen konnte. Vertreter
des mecklenburg-vorpommerischen Ministeriums, der Universität und der
Hansestadt Rostock sowie befreundeter Kammern und Vereine, aber auch
Repräsentanten der pharmazeutischen Industrie sowie der
Pharmazeutischen Institute Greifswald, Jena und Berlin waren in die Aula
einer der ältesten deutschen Universitäten gekommen, um im festlichen
Rahmen das langjährige Bestehen der traditionsreichen Vereinigung zu
würdigen.
Beyrich, der selbst 25 Jahre als Vorsitzender die Scheele-Gesellschaft mitgeprägt
hat, ließ die vergangenen Jahre Revue passieren. Ob in Binz, Neubrandenburg,
Greifswald, Schwerin, Wismar, Zinnowitz, Klink oder Rostock: Scheele Tagungen
sind der Wissenschaft verpflichtet und stehen damit eo ipso auf dem Feld der
Tradition, "insofern Wissenschaft von Wiederholbarem lebt, das sich damit als
Wahrheit offenbart", betonte der Direktor des Instituts für Arzneimittelkontrolle.
Individuelle und kollektive Identität
Tradition sei eine Kategorie der menschlichen Kultur, die sich zwar unter den
jeweiligen Umständen anders ausformt, jedoch eine wichtige Voraussetzung für den
Menschen bilde, individuelle und kollektive Identität im Wandel der Zeit zu finden.
Die Aufnahme des Überkommenen allerdings zwinge dazu, es im Kontext
gegenwärtiger Erkenntnisse zu sehen und somit dem Fortschritt anzupassen, sagte
Beyrich. Auch der Apotheker werde seine Existenz nur bewahren können, wenn er
einerseits zur Tradition stehe, und andererseits offen sei für die zielgerichtete
Erneuerung seines Berufsfeldes im Sinne von Innovation.
Beyrich: "In diesem doppelten Sinne habe wir das Anliegen und die Aufgabe der
Scheele-Gesellschaft zu sehen: durch Vermittlung der aktuellen wissenschaftlichen
Kenntnisse die Basis des pharmazeutischen Selbstverständnisses traditionell zu
gewährleisten, zugleich aber im Kontext zur Umwelt richtungsweisende Zeichen zu
setzen, um den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen zu sein".
In den Zeiten vor der Wende, die durch die totalitäre geistige Bevormundung
geprägt waren, sollten Scheele-Tagungen "gleichsam Oasen der Erfrischung sein",
indem sie doch "Hirn und Herz in gleicher Weise erreichten". Menschliche
Beziehungen hätten wachsen können, "eine Scheele-Familie konnte entstehen".
Wandel des Berufstandes
Die Veranstaltungen der Scheele-Gesellschaft und ihre Themen spiegelten den
Wandel des Berufstandes wider. Unmerklich habe sich das Schwergewicht von der
Erläuterung der Sachqualität des Arzneimittels hin zum Studium der Wirkqualität
verschoben. Will der praktische Apotheker heute seiner akademischen
Verantwortung gerecht werden, so muß er diesem Tatbestand ins Auge sehen und
die Wirkqualität des Arzneimittels in den Mittelpunkt seines Berufsalltags stellen,
betonte der Festredner.
Die Fähigkeit, sein solides Fachwissen zur Biochemie des Arzneimittels im lebenden
Organismus personenbezogen zu vermitteln, wird seine gesellschaftliche Existenz und
Notwendigkeit legitimieren; nicht aber das Festhalten an marktwirtschaftlich
fragwürdigen Strukturen eines überkommenen Versorgungssystems, so Beyrich.
Optimale Beratung sei eine Aufgabe, der die Person des Apothekers "sozusagen als
Pharmakon" nur genügen könne, wenn sie sich auf die jeweils individuelle
Persönlichkeit des Patienten einstellt, damit echte Kommunikation und "Heilung als
psychosomatisches Ereignis" gelingt.
Faszinierende Entwicklungen
"Bewußt oder unbewußt haben wir alle eine faszinierende Entwicklung durchlaufen",
setzte Beyrich fort. Es interessiere nicht mehr nur der Inhaltsstoff einer Droge allein,
sondern auch der Weg seiner Biogenese. "Wir sehen den Arzneistoff nicht mehr als
statische Gegebenheit, sondern wissen um seine zeitliche Begrenztheit. Die einst
stabile Tablette oder Salbe hat zum Zeit-programmierbaren therapeutischen System
geführt. Die Kenntnis des Wirkstoff-Rezeptor-Komplexes erst ist das Wissen, das
den Wirkstoff zum Arzneimittel werden läßt".
Zukunft lasse sich nicht prognostizieren, sondern nur provozieren. Sicher sei, daß
diese Zukunft durch die Datenflut der Multi-Media-Welt von einem Übermaß an
Informationen geprägt sein und Aufmerksamkeit somit zur knappsten aller
Ressourcen werden wird. Mit Themen, die die Aufmerksamkeit des Apothekers
über das Arzneimittel hinaus auf den Menschen richteten, ist es der
Scheele-Gesellschaft bereits in der Vergangenheit stets gelungen, Aufmerksamkeit
zu wecken, sagte Beyrich. Er setzt auch in der Zukunft auf ein gesundes
Gleichgewicht von Tradition und Innovation.
50 Jahre Pharmaziegeschichte
Im Namen des Vorstandes der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft - DPhG,
zu der die Scheele-Gesellschaft als Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern zählt,
gratulierte Professor Dr. H.P.T. Ammon, Tübingen. "50 Jahre Scheele-Gesellschaft
sind auch 50 Jahre Pharmaziegeschichte in zwei gesellschaftlich absolut konträren
Systemen", sagte er. In der Scheele-Gesellschaft hätten die Pharmazeuten einen Ort
gefunden, an dem sie sich in fast familiärer Atmosphäre hätten austauschen können.
Die Scheele-Gesellschaft habe sich immer als ein integrierendes Element zwischen
den einzelnen Fächern und Themen verstanden und es auf diese Weise verstanden,
für seine Mitglieder attraktiv zu sein.
Highlight der Apothekerfortbildung
Auch Ministerialrat Dr. Klaus Fischer, Sozialministerium Schwerin, betonte, daß er
die Gesellschaft stets als Bindeglied und Mittler zwischen wissenschaftlicher
Forschung und Lehre und praktischer Pharmazie verstanden habe. Die
Veranstaltungen der Scheele-Gesellschaft seien stets ein Highlight der
Apothekerfortbildung und des pharmazeutischen Gedankenaustausches gewesen.
Fischer sieht es als gutes Zeichen, daß sich mehr als die Hälfte aller Apotheker
Mecklenburg-Vorpommerns zur Mitgliedschaft in der pharmazeutischen Gesellschaft
bekennt. Diese vermittle doch gemeinsam mit der Apothekerkammer die
wissenschaftliche Substanz für die adäquate akademische Tätigkeit des
Berufsstands.
Geglückte Synthese aus Wissenschaft und Praxis
Grüße der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände - ABDA, der
Bundesapothekerkammer - BAK und des Deutschen Apothekerverbandes - DAV
überbrachte Dr. Hermann Vogel, Ehrenpräsident der Bayerischen
Landesapothekerkammer. Die Apothekerschaft müsse sich auch künftig
wissenschaftlich orientieren. Die Kollegen und Kolleginnen aus der Forschung
dürften bei all ihren Tätigkeiten nicht den Bezug zur Praxis verlieren.
Glückwünsche überbrachte auch der Präsident der Apothekerkammer
Mecklenburg-Vorpommern, Wilhelm Soltau. Er dankte für Einsatz und Engagement.
Soltau betonte, daß sich der Apotheker in seinem Bemühen um das Wohl des
Patienten von niemandem übertreffen lassen darf. Auch der Vorsitzende des
Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Gerhard Behnsen, gratulierte
zur gelungenen Synthese aus Wissenschaft und Praxis und zum kollegialen
Miteinander, das man in der Scheele-Gesellschaft angesichts des Druckes von
außen über all die Jahre habe aufrecht halten können.
Der wissenschaftliche Part der Veranstaltung war dem Thema "Weibliche
Hormontherapie - Risiko oder Chance?" gewidmet. Professor Dr. Klaus Friese,
Rostock, berichtete über die Hormonsubstitution der reifen und älteren Frau. Den
Einsatz von Hormonen "zwischen Kontrazeption und Kinderwunsch" schilderte
Professor Dr. Roland Sudik, Neubrandenburg. Dr. Bernd Düsterberg, Berlin, stellte
Hormone und innovative Arzneimittel vor.
PZ-Artikel von Christiane Berg, Rostock
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