Die neue Weltmacht der Viren |
01.11.1999 00:00 Uhr |
Der "Welt der Viren" war die Scheele-Tagung am 23. Oktober 1999 in Kühlungsborn gewidmet. Viren als kleinste, infektiöse, potentiell pathogene, obligate Zellparasiten bestehen aus Nukleinsäurefrequenzen der DNA oder RNA. Es existieren zahlreiche medizinisch wichtige Gattungen. Amerikanische Forscher schätzen, dass der wissenschaftlich registrierte Bestand von etwa 200 Virentypen um circa 5000 noch nicht erfaßte Arten ergänzt werden muss, so der Vorsitzende der Scheele-Gesellschaft, Professor Dr. Thomas Jira.
Der Großteil wird in tropischen Regenwäldern vermutet, im Organismus warmblütiger Wirtstiere. Jira erinnerte daran, dass auch der Ebolaerreger erstmals 1989 mit afrikanischen Versuchsaffen in die USA gelangte. 1995 kostete eine Ebola-Epidemie in Zaire und Sudan 350, 1998 im Kongo 80 Menschen das Leben.
Etwa 18 Prozent der Bevölkerung der Zentralafrikanischen Republik besitzen Antikörper gegen das Ebolavirus. In den westlichen Industriestaaten treffen die Erreger auf keinerlei Abwehr. Gefördert werde die Verbreitung tödlicher Viruserkrankungen durch den weltweiten Tourismus. Auch die Verschiebung der Klimazonen spiele eine verhängnisvolle Rolle.
Eine "Perversion menschlichen Verhaltens schlechthin" nannte Jira die biologische Kriegsführung. Militärs und Terroristen, die durch die gezielte Erzeugung von Infektionserkrankungen die Nahrung, die Menschen und das Ökosystem des vermeintlichen Feindes vernichten wollen, müsse durch die Weltgemeinschaft Einhalt geboten werden.
Auf dem Gebiet der Infektionsmedizin gibt es wenige Erfolge zu verzeichnen, so Dr. Michael Lafrenz aus Rostock. Er sprach von der Vielzahl neuer Erreger, die der Reisemedizin große Schwierigkeiten bereiten. Unter anderem nannte er das Gelbfieber, das überwiegend im tropischen Mittel- und Südamerika sowie in Afrika zwischen 17 Grad nördlicher und 17 Grad südlicher Breite vorkommt und vom Affen über die Mücke auf den Menschen übertragen wird. Die Erkrankung erinnere zunächst an einen grippalen Infekt mit leichtem Kopfschmerz und Fieber, das jedoch plötzlich auf 39 bis 40 Grad ansteigen und bei ungünstigem Verlauf zum Tod führen kann.
Ebenfalls grippale Erscheinungen mit Gelenkschmerzen rufe das Dengue-Fieber hervor. Im Gegensatz zum Gelbfieber könne man sich derzeit noch nicht mit einer Impfung schützen. Die Produktion und Herstellung eines Impfstoffes scheitere im Moment an der Tatsache, dass vier Serotypen existieren.
Hoher Standard im internationalen Vergleich
"Stiefmütterlich" werde in der Reisemedizin die Tollwut behandelt, die durch das Rabies-Virus hervorgerufen wird. Zur Übertragung kommt es durch Kratz - und Bissverletzungen sowie den direkten Kontakt infektiösen Speichels mit verletzter Haut. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Tollwut weit zurückgedrängt, lediglich die Regionen in der Nähe der polnischen Grenze komme es noch zu Krankheitsfällen, da in Polen die finanziellen Mittel für Impfmaßnahmen fehlen, so Lafrenz.
Als "enorm hoch" sowohl im internationalen als auch im europäischen Vergleich schilderte Professor Dr. Lutz Gürtler, Greifswald, den Standard des Blutspendesystems in Deutschland. Der Direktor des Institutes für Medizinische Mikrobiologie unterschied die umhüllten Herpes-, Flavi/Pesti- , Hepadna- und Retroviren sowie die hüllenlosen Parvo- und Enteroviren. Viren mit Hülle seien im allgemeinen leichter als hüllenlose zu inaktivieren.
Risiko durch neues Creutzfeldt-Jakob-Agens
Die Problematik der Beurteilung des Risikos der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die durch ein Prion assoziiertes infektiöses Agens übertragen wird, liege in der langen Inkubationszeit von 3 bis 20 Jahren. Auch wenn das neue variante Creutzfeldt-Jakob-Agens über follikuläre dentritische Zellen ins Gehirn transportiert wird, sei die Wahrscheinlichkeit der Übertragung über Blut nach heutiger Kenntnis eher gering. Das Agens werde weder interfamiliär noch durch Sexualkontakt übertragen.
Nach Gürtler gelten als derzeit in Deutschland relevante Erreger das Hepatits B- und das Hepatitis C- sowie das HI-Virus. Als partiell relevant nannte er das Parovirus B 19 sowie das Cytomegalievirus. Möglicherweise relevant sei das Humane T- Leukämievirus. Neben Viren - so Gürtler - spielen auch Bakterien und Protozoen wie Yersinien und Eschericia coli oder Erreger der Malaria und der Toxoplasmose eine Rolle.
Schwere Herpesinfektionen sofort therapieren
Im Unterschied zu den meisten anderen Viruserkrankungen stehen für die Behandlung von Infektionen mit Herpes simplex (HSV)- und Varicella-Zoster (VZV)-Viren mit Aciclovir, Brivudin, Famciclovir und Valaciclovir wirksame Virostatika zur Verfügung, die bei frühzeitigem Einsatz die akute Krankheitsphase abkürzen und die Häufigkeit und Schwere von Komplikationen reduzieren, betonte Professor Dr. Peter Wutzler, Erfurt.
Zur Behandlung schwerster generalisierter HSV- und VZV- Infektionen gilt intravenöses Aciclovir als das Mittel der Wahl. Für die perorale Herpestherapie sei das Nachfolgepräparate Valaciclovir besser geeignet, da es zu einem circa drei- bis fünffach höheren Wirkspiegel führt. Brivudin ist in Deutschland zur Behandlung von Zoster und HSV-1-Infektionen zugelassen. Bei Herpesenzephalitis, generalisierten Herpesinfektionen von Neugeborenen und Immunsupprimierten sowie beim primären Herpes genitalis sollte ohne die Bestätigung der Diagnose durch den Virologen sofort mit der Therapie begonnen werden, sagte der Referent.
Onkogene Virusinfektionen
Auch bei der Kanzerogenese spielen Viren eine Rolle, so Professor Dr. Herbert Pfister, Köln. Die Epidemiologie weise Virusinfektionen als Risikofaktoren für die Tumorentstehung aus. Pfister nannte Papillomviren als Ursache von Zervix- und anderen anogenitalen Karzinomen. Leberzellkarzinome könnten unter Umständen auf HB- und HC-Viren sowie Morbus Hodgkin, T-Zell- und Burkitt-Lymphome auf Eppstein-Barr-Viren zurückzuführen.
Traditionell laden die Vorstände der Scheele-Gesellschaft, der Apothekerkammer und des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam zur Scheele-Tagung und zum Apothekertag, um die enge Verknüpfung von Naturwissenschaft und pharmazeutischer Praxis zu demonstrieren (siehe auch PZ43/99 Seite XX). So war auch diese Gemeinschaftsveranstaltung nicht nur neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch praktischen Belangen zur Sicherung der Pharmazie gewidmet.
Über das elektronische Rezept und das Telematikprojekt der ABDA informierte Dr. Gerd Bauer, Eschborn. Die Schere zwischen der Leistungsfähigkeit der Medizin einer- und ihrer Finanzierbarkeit andererseits öffnet sich zunehmend, so Bauer. Er schilderte die Verbesserung des Informationsflusses durch das elektronische Rezept als einen Lösungsansatz.
Erhebliches Entwicklungspotential für Drug monitoring
Die Möglichkeit der zeitnahen Information über Umfang und Struktur der Verordnungen in Verbindung mit einem zeitnahen Controlling für Budget- und Richtgrößenmanagement hob der Referent als Vorteil der geschlossenen Datenkette auf Basis des elektronischen Datenaustausches hervor. Das Screening der Arzneimittel-Verordnung ermögliche die Identifizierung von Arzneimittel-Wechselwirkungen, Doppelmedikationen, atypischem Einnahmeverhalten, Arzneimittelallergien, Kontraindikationen et cetera. Die Sicherung der pharmakologisch-medizinischen Qualität der Arzneimittelversorgung sowie die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit sei strategisches Ziel der Telematik im Gesundheitswesen.
In einem Workshop unter Leitung von Hans-Joachim Splettstößer, Strasburg, und Thomas
Müller, Marlow, machten sich die Teilnehmer im Umgang mit den elektronischen Medien
vertraut. Die ökonomische Relevanz der Pharmakotherapie hob Professor Dr. Volker Ulrich,
Greifswald, hervor. Drug monitoring als zukünftige Aufgabe der öffentlichen Apotheke
schilderte Professor Dr. Hayo Kroemer, Greifswald. Er sprach von großen Chancen und einem
"erheblichen Entwicklungspotential".
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