Pharmazie
Wegen einer angeblichen Mund-Magen-Darm-Mykose lassen Patienten
viel Geld bei Heilpraktikern oder Medizinern. Wie die Darmsanierung zu
bewerten ist, erklärte Dr. Lutz Schneider, Apotheker aus Wuppertal, seinen
Kollegen in München während des PZ-Forums.
Die Mund-Magen-Darm-Mykose (MMD- Mykose), ausgelöst durch Candida
albicans, hat vor einigen Jahren in den USA als Auslöser für eine ganze Reihe von
Symptomen einen wahren Boom erlebt. Der Hefepilz muß seitdem für eine Vielzahl
von Befindlichkeitsstörungen herhalten: Blähungen, perianaler Juckreiz, Migräne,
Heißhunger auf Süßes und Kohlenhydrate, permanenter Eisen- und Zinkmangel,
Alkoholunverträglichkeit, Übergewicht, Herzbeschwerden oder hyperkinetisches
Syndrom. Mittlerweile ist in den USA die Candida-Hysterie wieder abgeflacht, hat
aber inzwischen Deutschland erreicht.
Tatsache sei, so Schneider, daß sowohl die Mykologische Gesellschaft in den USA
als auch die in der Bundesrepublik der MMD-Mykose in einer offiziellen
Stellungnahme nicht die Bedeutung zuschreiben, die sie eigentlich gemessen an der
Zahl der therapierten Patienten haben müßte. Auch die Amerikanische Gesellschaft
für Allergologie und Immunologie hat bereits 1986 die schädigende Wirkung eines
Candida-Syndroms als spekulativ abgetan. Nur in den wenigsten Fällen sei der
Hefepilz tatsächlich der Übeltäter für die Beschwerden und daher eine
Darmsanierung angebracht.
In den unspezifischen Symptomen sieht Schneider den Grund, warum so viele
Menschen glauben, eine Candida-Infektion zu haben. Jeder leide irgendwann an
derartigen Symptomen. Nach Ausführungen des Referenten haben etwa 20 Prozent
der Bevölkerung Candida albicans auf der Haut und 30 bis 60 Prozent scheiden
Candida mit dem Stuhl aus. Nur bei einem äußerst geringen Prozentsatz wirke der
Pilz aber auch pathogen. Damit er Krankheitserscheinungen auslöst, müssen
bestimmte prädisponierende Faktoren vorhanden sein wie eine geschwächte
Abwehrlage (durch HIV, Glucocorticoide, Immunsupressiva) oder eine
Stoffwechselkrankheit wie Diabetes oder Hyperurikämie. Keimzahlen von 102- bis
103/g Stuhl haben bei normaler Immunabwehr keine pathologische Bedeutung, auch
wenn das manche Heilpraktiker oder Mediziner glauben machen wollen.
Die von Ärzten eingesetzte Therapie besteht aus Nystatin, einer zuckerfreien Diät
(Laktose ist inkonsequenterweise erlaubt) und einer Darmsanierung mit
dickdarmwirksamen (beispielsweise Mutaflor®) und dünndarmwirksamen
(beispielsweise Paidoflor®) Präparaten. Abgesehen davon, daß die Behandlung
sehr teuer ist, bringt sie den meisten Patienten keine Besserung, weil die
nachgewiesenen Keimzahlen das Krankheitsbild ja gar nicht auslösen können, sagte
Schneider. Auch eine Diät sei bei wirklich Erkrankten nur sinnvoll, wenn sie
konsequenterweise kohlenhydratfrei sei, weil der Pilz Glucose als Nährboden
benötigt. Sich kohlenhydratfrei zu ernähren ist in der Praxis nicht möglich.
Candida in Windeln und Mundwinkeln
Bei einer Windeldermatitis liegt der Verdacht nahe, daß Candida albicans die
Pusteln an Babys Popo verursacht. Schneider riet zur externen und internen
Nystatin-Behandlung. Nur auf dem peroralen Wege sei dem Problem langfristig
beizukommen. Entwarnung übrigens für Kunststoffwindeln: Eine Studie ergab, daß
mit Kunststoffwindeln versorgte Säuglinge nicht häufiger an einem Windelsoor leiden
als mit Stoffwindeln gewickelte Babys.
Während Candida-Infektionen im Mund (Mundsoor, Mundfäule) im Kindesalter
unproblematisch mit Nystatin- oder Amphotericin-haltigen Präparaten anzugehen
sind, bedeutet nach den Ausführungen Schneiders Mundsoor im Erwachsenenalter in
den meisten Fällen »den Ernstfall«. »Bei jüngeren Patienten sollten Sie immer an eine
HIV-Infektion denken. Mundsoor ist häufig der erste Hinweis. 70 bis 90 Prozent
der HIV-Positiven haben Candidosen. Raten Sie eventuell zu einem HIV-Test.«
Aber auch eine Tumorerkrankung, Diabetes oder ein durch systemische
Glucocorticoide geschwächtes Immunsystem können dahinterstecken.
Auch den Mundwinkeln kann der Hefepilz zu schaffen machen. Unter der
Apothekenkundschaft leiden besonders die Älteren an schlecht heilenden
Mundwinkelrhagaden. Die schmerzhaften Einrisse in den Mundwinkeln werden
gerne von Hefen besiedelt. Auch hier macht Nystatin Candida zuverlässig den
Garaus. Die Einrisse rühren übrigens nicht von einem Vitamin-B-Mangel her, wie
fälschlicherweise immer wieder behauptet wird, informierte Schneider. Dafür gebe
es in der Literatur keine Beweise. Vielmehr sei ein Eisenmangel oder ein Diabetes
Ursache des Malheurs. Auffällig sei auch, so Schneider, daß ältere
Zahnprothesenträger chronisch unter Mundwinkelrhagaden leiden. Weitere
Möglichkeit: »In Frage kommt auch eine Refluxstörung. Allerdings müssen dafür
noch weitere Symptome auftreten wie eine schmerzende Speiseröhre oder
Sodbrennen.«
PZ-Artikel von Elke Wolf, München
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