Pharmazie |
11.11.1996 00:00 Uhr |
Pharmazie
Kombi-Analgetika: Welche Rolle spielt Coffein?
Hersteller
sollten Analgetika-Kombinationen mit Coffein vom Markt
nehmen, Aufsichtsbehörden diese Präparate unter
Verschreibungspflicht stellen. Dies forderten die
Vorstände der Gesellschaft für Nephrologie und der
Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Nephrologie
in einer gemeinsamen Erklärung auf ihrer diesjährigen
Jahrestagung in Berlin.
Sorgfältig durchgeführte Studien hätten gezeigt, so
heißt es in der Erklärung weiter, "daß die
regelmäßige Einnahme von Kombinationsschmerzmitteln mit
einem hohen Risiko für das Entstehen einer chronischen
Nierenschädigung verbunden ist". Der Beweis einer
mehr als additiven Wirkung dieser Kombinationen stehe
immer noch aus. In der modernen Schmerztherapie seien sie
überflüssig, und im übrigen könnten sie toxischen
Dauerkopfschmerz und Rebound-Schmerzen verursachen.
"Die fixe Kombination von Coffein mit peripheren
Analgetika kann eine schwere Gewohnheitsbildung
begünstigen, bei der periphere Analgetika teilweise
unbeabsichtigt miteingenommen werden."
Auch nach dem Verbot von Phenacetin sind
Analgetika-Nephropathien nicht zurückgegangen. In
deutschen Dialysezentren liegt der Anteil der Patienten
mit einer Analgetika-Nephropathie im Durchschnitt bei 10
bis 12 Prozent. Eine übermäßige Einnahme dieser
Medikamente liege vor, so Professor Dr. Martin Molzahn,
Humboldt-Krankenhaus Berlin, wenn 15 Einzeldosen pro
Monat über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr
eingenommen werden.
Den Beweis zu führen ist nicht einfach, da nur
epidemiologisches Datenmaterial verwendet weden kann.
Erschwerend kam lange Zeit hinzu, daß die Diagnose einer
Analgetika-Nephropathie schwierig zu stellen war.
Professor Dr. Marc De Broe, Universität Antwerpen, hat
in einigen Studien die Sensitivität und Spezifität
verschiedener diagnostischer Methoden verifiziert: Die
sicherste Diagnose liefern Computertomographie-Aufnahmen
der Niere. Charakteristisch sind vor allem
Calcifikationen, die wie kleine Punkte auf den Nieren zu
erkennen sind. Nur bei Patienten mit Sichelzellanämie
oder diabetischer Nephropathie ist der Befund ähnlich.
Beide Krankheiten sind jedoch leicht zu diagnostizieren.
De Broe faßte die neuesten epidemiologischen Daten
zusammen: In vier von fünf Fall-Kontroll-Studien aus
Europa, Australien und den Vereinigten Staaten erhöhte
die Einnahme von Analgetika das Risiko für eine
Nephropathie mindestens um das Doppelte. In einer
prospektiven Studie über sieben Jahre in Belgien hatte
die Gruppe der 2000 Patienten mit Analgetika-Mißbrauch
ein sechsfach höheres Risiko als die Vergleichsgruppe.
Andere Studien aus Amerika und Europa bestätigen, daß
einzelne Analgetika, ob mit oder ohne Coffein, nicht für
die Nephropathien verantwortlich gemacht werden können,
Kombinationen aus zwei Analgetika und Coffein jedoch
schädlich sind. Welchem der drei Bestandteile dabei
welche Wirkung zukommt, ist nicht abschließend geklärt.
Präparate, die zwei Analgetika ohne Coffein enthalten,
sind selten oder gar nicht auf dem Markt, darüber ist
also keine Aussage möglich. Es gebe Hinweise, so
Molzahn, daß sich bei gleichzeitiger Anwendung von
Acetylsalicylsäure und Paracetamol toxische Metaboliten
in der Niere bildeten. Ob Coffein für die Ausbildung der
Abhängigkeit verantwortlich ist, wird vor allem von
seiten der Industrie bezweifelt.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Berlin
Datenlage zu Vorwürfen gegen Coffein nicht gedeckt
Es ist leicht, Erklärungen zu
formulieren, für deren Richtigkeit man den Beweis nicht
antreten muß, indem man die geliehene Autorität zweier
wissenschaftlicher Fachgesellschaften nutzt: Man spricht
ex cathedra. Die Vorstände der beiden deutschen
wissenschaftlichen nephrologischen Fachgesellschaften,
nicht die Fachgesellschaften selbst, haben ein
politisches Papier geschrieben, kein wissenschaftliches.
Die Brisanz dieses Papiers liegt weniger in den Aussagen
als im Weggelassenen.
Weggelassen ist
- die Tatsache, daß die beim Bundesgesundheitsamt
tagende unabhängige Aufbereitungskommisssion in
mehrjähriger Arbeit die Ergebnisse der Originalarbeiten
(nicht die Behauptungen, Sekundär- und
Tertiärliteratur) durchforstet hat, um verläßliche
Aussagen über die Erkenntnislage zu den antipyretischen
Analgetika und deren Kombinationen zu formulieren.
- daß die jetzt erscheinenden Publikationen von
"Autoren aus dem Umkreis der pharmazeutischen
Hersteller" tatsächlich die Ergebnisse der
Aufbereitungsarbeit sind. Dies ist in den besagten
Publikationen erklärt, die Kommissionsmitglieder sind
genannt.
- daß APC(ASS-Phenacetin-Coffein-)Kombinationen mit
ASS-Paracetamol-Coffein-Arzneimitteln nicht zu
vergleichen sind. Es sind nämlich keine APCs. Die
Umbenennnung ist Absicht.
- daß die Daten des Registers der European Dialysis and
Transplantation Association (EDTA) zeigen, daß für die
Patientengeneration, die Phenacetin nicht mehr
eingenommen hat, das Risiko der Analgetika-Nephropathie
erheblich zurückgegangen ist.
- daß Monoanalgetika dosisabhängig genauso eine
Nephropathie verursachen wie Kombinationsanlagetika.
- daß zwei der fünf in der Erklärung genannten Studien
gezeigt haben, daß Phenacetin der analgetische Wirkstoff
ist, der bei nicht bestimmungsgemäßer Langzeiteinnahme
ein mehr als zehnfaches Risiko der
Analgetika-Nephropathie gegenüber jedem anderen
antipyretischen Analgetikum birgt. Das heißt: Ein
Unterschied zwischen Mono- und Kombinationsanalgetika
ohne Phenacetin wurde nicht festgestellt.
Was bleibt als Behauptung?
Der Beweis der mehr als additiven analgetischen
Wirksamkeit von Kombinationsanalgetika sei nicht geführt
und beruhe auf Metaanalysen der pharmazeutischen
Industrie. Diese Behauptung war schon vor zehn Jahren
falsch. In der Zwischenzeit sind mindestens acht
konfirmative randomisierte Doppelblindstudien mit
insgesamt 4397 Patienten erschienen.
Kombinationsanalgetika verursachen Dauerkopfschmerz. Das
ist richtig, nur tun das Monoanalgetika auch. Es ist dies
eine Frage der eingenommenen Dosis. Der
Rebound-Kopfschmerz tritt mit einer Latenz von 20 bis 48
Stunden auf und hat daher als Ursache für
mißbräuchliche Schmerzmitteleinnahme wenig
Realitätsbezug.
Den Beweis für die Behauptung, daß Coffein in
Analgetika Gewohnheitsbildung begünstigt, müssen die
Vorstände noch nachliefern. Die Vorstände suggerieren,
daß dieses Phänomen epidemiologische Ausmaße annimmt,
und das tun sie gerade nicht. Es mag Einzelbeispiele
geben. Eine Analyse des Analgetikakonsums (Basis IMS) pro
Kopf und Jahr für verschiedene Länder aus den achtziger
Jahren zeigt, daß in den Ländern mit dem höchsten
Anteil an coffeinhaltigen Analgetika (Deutschland und
Österreich) der Konsum im unteren Mittelfeld lag. In
Ländern mit dem niedrigsten Anteil (USA und
Großbritannien) war der Konsum fast doppelt so hoch.
Soziokulturelle und markteigentümliche Faktoren sind
also führend.
Momentan sind drei rezeptfrei erhältliche analgetische
Wirkstoffe von Bedeutung: das meist wirkungslose, weil
unterdosierte Ibuprofen, das bei Kopfschmerzen für
Monoarzneimittel meist ungeeignete Paracetamol und
Acetylsalicylsäure. ASS birgt bei Kurzzeitanwendung ein
mindestens zehnfach höheres Risiko der Magenblutung
gegenüber dem der Nephropathie nach zwanzigjähriger,
nicht bestimmungsgemäßer Anwendung. Die isolierte
Ausschaltung eines Risikos stellt nicht sicher, daß
nicht andere Risiken dadurch vergrößert werden. Daß
das Heil nicht in einer Verschreibungspflicht liegen
kann, weiß auch Vorstandsmitglied Molzahn. In seiner
eigenen Studie mußte er nämlich feststellen, daß 39
Prozent der eingenommenen verschreibungspflichtigen
Gelonida-Tabletten vom Patienten selbst und nicht für
diesen Patienten durch den Arzt verordnet wurden.
PZ-Artikel von Johannes Michael Fox, Frankfurt
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