Pharmazie
Durch die Einführung der Tripletherapie hat die Behandlung von Aids
rasante Fortschritte gemacht. In den Industrienationen ist die Sterberate
deutlich gesunken. Doch Anlaß zur Euphorie besteht nicht, denn das Virus
entwickelt schneller Resistenzen, als viele Experten erwartet haben. Doch
auch wenn die Tripletherapie versagt, gibt es noch
Behandlungsmöglichkeiten.
Das Nukleosidanalogon AZT (Zidovudin) war nach Dr. Carsten Rottmann von der
Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt am Main, das erste effektive
Medikament zur Behandlung von HIV-Infektionen. Es kam 1987 auf den Markt.
Mittlerweile stünden fünf weitere Nukleosidanaloga in der Aidstherapie zur
Verfügung, unter anderem 3TC (Lamivudin) und ddc, sagte er anläßlich des
Fortbildungskongresses der Bundesapothekerkammer in Westerland.
Zwischen 1995 und 1997 entwickelten Wissenschaftler Verbindungen aus zwei
weiteren Substanzklassen bis zur Marktreife. Zu den Proteaseinhibitoren zählen
Saquinavir, Indinavir und Nelfinavir; als nicht-nukleosidische
Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) werden Nevirapin und Delaviridin
bezeichnet. Zu letzteren gehören auch die noch nicht zugelassenen Substanzen DMP
266 und MKC 442.
Als Standardtherapie gelte heute die Tripletherapie, die manchmal auch zur vierfach
Therapie wird, sagte Rottmann weiter. Kombiniert würden zumeist zwei NNRTI
und ein bis zwei Proteaseinhibitoren. Ziel der Therapie sei es, die Zahl der
CD4+(T-Helfer)-Zellen auf zumindest über 200 pro ml Blut zu erhöhen und die
Viruslast, also die Zahl der Viruskopien, unter die Nachweisgrenze zu senken.
Das Problem bei der Triple- oder Vierfachtherapie sind die strikten
Einnahmevorschriften, die in jedem Fall korrekt eingehalten werden müssen. Einige
Substanzen müssen nüchtern eingenommen werden, andere mit Fett. Hinzu kommt
bei den Proteaseinhibitoren die geringe Bioverfügbarkeit und kurze Halbwertszeit.
Nach Rottmanns Erfahrung überfordert ein solches Therapie-Regime viele
HIV-Infizierte.
Hoffnung auf eine simplere Einnahme machen jetzt zwei neue Substanzen. Das
NNRTI Evavirenz habe eine hohe Wirksamkeit und eine lange Halbwertszeit; das
Nukleosidanalogon Abacavir müsse nur noch zwei täglich unabhängig von den
Mahlzeiten eingenommen werden. Beide Substanzen können mit Zidovudin und
Lamivudin kombiniert werden.
Die zweite Schwierigkeit in der Aids-Therapie seien die sich schnell entwickelnden
Resistenzen, so Rottmann. HIV mache hier einen Nachteil zum Vorteil. "Das
HI-Virus ist bei der Replikation außerordentlich schlampig. Dadurch ist die
Mutationsrate besonders hoch." Viele Mutationen sind die Grundlage für eine
schnelle Resistenzbildung. Besonders anfällig für die Bildung von Resistenzen seien
Proteaseinhibitoren. Sie weisen zudem Kreuzresistenzen auf. Patienten, die mit
einem oder mehreren Proteaseinhibitoren behandelt werden, können auch gegen
andere Substanzen resistent werden.
Die größte Chance dies zu umgehen, biete eine frühzeitige intensive Therapie, sagte
Rottmann, wenn es gelinge, die Viruslast und damit die Replikationsrate unter die
Nachweisgrenze zu senken, könnten Resistenzen vermieden werden. "Wenn sich
das Virus nicht teilt, kann es auch nicht mutieren." Doch auch wenn sich bereits
Resistenzen gebildet haben, besteht nach Rottmanns Erfahrung noch kein Grund, die
Therapie zu beenden. In solchen Fällen wenden die Frankfurter Aids-Spezialisten
die mega-HAART (Hochaktive antiretrovirale Therapie) an. Hierbei kombinieren sie
bis zu acht Medikamente.
Bis heute wurden 80 Patienten auf diese Weise behandelt, die Daten von 37 wurden
ausgewertet. Im Durchschnitt sank bei den Behandelten die Zahl der Viruskopien
auf zehn bis ein Prozent der Ausgangslast. Die Zahl der T-Helferzellen stieg um 100
Prozent. Praktikabel sei eine solche Behandlung allerdings nur im Krankenhaus
durch einen Aids-Spezialisten.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Westerland
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