Pharmazie
In einer retrospektiven Kohortenstudie, die jetzt im
Wissenschaftsmagazin Lancet erschienen ist, haben Wissenschaftler
untersucht, ob ACE-Hemmer krebsprotektive Eigenschaften besitzen.
Bereits in früheren Untersuchungen wurde ein derartiger Effekt beobachtet.
Hierfür sprechen unter anderem folgende, zum Teil theoretische Befunde:
Angiotensin II stimuliert eine Gefäßneubildung, die eine Vorbedingung des
Krebswachstums darstellt, verschiedene Tumorzellen enthalten Renin, das
für die Produktion von Angiotensin verantwortlich ist und einige Tumoren
besitzen ebenfalls Angiotensin-II-Rezeptoren. Angiotensin II wirkt als
Wachstumsfaktor indem es die Zellreplikation stimuliert und die Expression
von Genen verstärkt, die das Zellwachstum kontrollieren. In vitro verzögern
ACE-Hemmer das Wachstum von Krebszellen, in vivo verhindern sie die
Angiogenese und das Wachstum von induziertem Krebs bei Ratten.
Die Forscher werteten hierzu die Daten von insgesamt 5207 Patienten aus, deren
Bluthochdruck in den Jahren 1980 bis 1995 in einer Glasgower Klinik behandelt
wurde. Die Werte verglichen sie mit Zahlen aus dem zentralen Krebsregistern.
Im Vergleich zu den Kontrollen des Krebsregisters sank das Risiko an Krebs zu
erkranken und zu versterben bei den 1559 Patienten, die mit ACE-Hemmern
behandelt wurden, um 28 beziehungsweise 35 Prozent (relatives Risiko 0,72
beziehungsweise 0,65). Bei 3648 Patienten, die andere Antihypertonika erhielten
(1416 mit Calcium-Antagonisten, 2099 mit Diuretika, 2681 mit ß-Blockern) lag das
relative Risiko bei 1,1 beziehungsweise 1,03. Die größte Risikoreduktion wurde bei
Frauen unter der ACE-Hemmer-Therapie beobachtet. Sie lag bei 37
beziehungsweise 52 Prozent. Das Risiko reduzierte sich bei frauenspezifischen
Krebserkrankungen sogar um 63 Prozent. Die Risikoreduktion war um so höher, je
länger die Patienten beobachtet wurden. Erst nach einem dreijährigen
Beobachtungszeitraum zeigten sich signifikante Unterschiede. Unter der Therapie mit
Calcium-Antagonisten, Diuretika und ß-Blockern kam es zu keiner signifikanten
Veränderung des Krebsrisikos.
Die Befunde sprechen dafür, daß die längerdauernde Therapie mit ACE-Hemmern
vor Krebserkrankungen schützen könnte. Nach Ansicht der Autoren besitzen diese
Befunde allerdings den Status einer Hypothese. Zur Abklärung seien große
randomisierte, kontrollierte Studien erforderlich. Ein Kommentar in der gleichen
Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Lancet mahnt deshalb zur Vorsicht. Es sei
noch viel zu früh für eine Bewertung dieses potentiellen Effekts.
Quelle:
Lever, A. F., et al., Lancet 352 (1998) 179-84; Olsen, J.H., Lancet 352 (1998) 162-3.
PZ-Artikel von Wolfgang Kämmerer, Wiesbaden
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de