Pharmazie
Abbaubare Polymere bei der Formulierung parenteraler
Depotarzneiformen häufig angewendet. Sie schützen sensible Wirkstoffe vor
frühzeitiger Inaktivierung und sind in der Lage, über Polymerabbau und
Erosion die Freigabe von Arzneistoffen zu steuern. Neben diesen
klassischen Einsatzgebieten gibt es seit einigen Jahren weitere
Anwendungen für solche Materialien. Seit Anfang der 90er Jahre verwendet
man bioabbaubare Polymergerüste bei der Vermehrung von Zellen zu
transplantierbaren Geweben.
Diese als Tissue Engineering bezeichnete Forschungsrichtung hat unter anderem als
Zielsetzung, nicht mehr funktionsfähige Gewebe oder Organe durch in vitro
gezüchtetes Gewebe zu ersetzen. Eine der Grundvoraussetzungen für die
Vermehrung von Zellen auf abbaubaren Polymeren ist die Beherrschung dieser
Materialien und das Verständnis des Abbauverhaltens, da sich die Polymergerüste
während der Gewebebildung vollständig abbauen müssen. Die Materialeigenschaften
sind dabei für die Zellvermehrung und die Zelldifferenzierung von herausragender
Bedeutung.
Untersuchungen zum Erosionsverhalten
Trotzdem man synthetische abbaubare Polymere seit mehr als 25 Jahren zum
Beispiel als chirurgisches Nahtmaterial einsetzt, ist ihr Erosionsverhalten bislang
immer noch relativ unbekannt. Dies zeigt sich auch am Verhalten von Polylactid.
Zylinder aus Polylactid erodieren über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht,
obwohl sinkende Molmassen zumindest auf einen Kettenabbau während der Erosion
schließen lassen. Nach diesem Zeitraum brechen die Strukturen spontan zusammen.
Hierfür gibt es bislang noch keine Erklärung. Ein besseres Verständnis der
Erosionsmechanismen könnte dazu beitragen, abbaubare Polymere gezielter
einzusetzen und das Problem der Spontanfreisetzung von Wirkstoffen oder
Abbauprodukten zu vermeiden.
Systematische Abbaustudien an Polymeren zeigen, daß für die Erosion von
Polymeren nicht nur die Hydrolyse der Polymerketten verantwortlich ist, sondern
auch die Behinderung beziehungsweise Beeinflussung der Freigabe der
Abbauprodukte durch nicht erodiertes Polymer. Computergestützte
Erosionsmodelle geben Hinweise darauf, daß Erosion erst dann einsetzt, wenn die
Polymermatrix mit einem Netzwerk von Poren durchzogen ist. Wenn ein solcher
Perkolationscluster, das heißt ein durchgehendes Porennetzwerk besteht, kann die
Polymermatrix in weiten Teilen erodieren.
Die entwickelten Abbaumodelle für Polymere zeigen, daß durch Anwendung dieser
Algorithmen das experimentelle Erosionsverhalten von abbaubaren Polymeren
beschrieben werden kann. Dies erleichtert die Herstellung von Arzneiformen und
den Einsatz bioabbaubarer Polymere im Tissue Engineering.
Bei der Vermehrung von Osteoblasten auf abbaubaren Polymeren konnte gezeigt
werden, daß zunächst die Anheftung von Zellen durch die Art des Biomaterials
beeinflußt wird. Dieser Nachweis wurde erbracht durch Vermehrung von
Osteoblasten auf Polylactid und Blockcopolymeren bestehend aus Polylactid und
Polyethylenglykol. Dabei zeigte sich, daß die Polymereigenschaften, vor allem der
Kontaktwinkel von Wasser, einen erheblichen Einfluß auf das Anheftungsverhalten
von Zellen auf diesen Materialien nimmt. Mit steigendem Kontaktwinkel lagern sich
die Zellen besser an die Polymere. Je besser die Haftung, um so rascher können sich
Zellen vermehren.
Es konnte festgestellt werden, daß sich die Zellen sehr gut an Polylactide anheften
und sich dort auch stark vermehren. Durch die Einführung der
Polyethylenglykol-Strukturen in Polylactid sinkt der Kontaktwinkel von Wasser und
die Zellvermehrung wird verlangsamt.
Differenzierungsgrad und Zellvermehrung
Der Grad der Differenzierung der Zellen, der für die Eigenschaften des
In-vitro-Gewebes herausragende Bedeutung besitzt, ist indirekt proportional zur
Vermehrung der Zellen. Die höchste Differenzierung findet man auf solchen
Materialien, bei denen die Wechselwirkungen mit den Zellen gering ausgeprägt sind,
während diejenigen Polymere, auf denen sich Zellen stark vermehren, dazu neigen,
die Ausdifferenzierung der Zellen zu den gewünschten Gewebeverbänden zu
verlangsamen. Durch die Variation der Hydrophilie des Polymers ergeben sich daher
neue Möglichkeiten für das Arbeiten mit abbaubaren Polymeren im Tissue
Engeneering.
In weiteren Arbeiten wird versucht, das Verhalten von Zellen durch den Einsatz von
Diblockcopolymeren zu beeinflussen, um sie gezielt zu vermehren oder zu
differenzieren.
PZ-Artikel von Achim Goepferich, Regensburg
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de