Pharmazie
Im Unterschied zu den Ergebnissen der CHAOS-Studie und
verschiedenen epidemiologischen Untersuchungen förderte die Auswertung
der ATBC-Studie neuerlich zutage, daß Vitamin E (wie auch ß-Carotin),
zumindest in niedrigeren Dosen, die Anzahl tödlicher ischämischer
Herzerkrankungen nicht vermindert. Welche Empfehlungen sind für Vitamin
E in der pharmazeutischen Praxis zu geben?
Die ATBC-Studie (Alpha-Tocopherol Beta-Carotene Cancer Prevention Study)
untersuchte die Wirkungen von Placebo, täglich 50mg synthetischem a-Tocopherol
(Vitamin E), täglich 20 mg ß-Carotin oder der Kombination aus beiden bei
Rauchern im Alter zwischen 50 und 69 und einem Herzinfarkt in der Vorgeschichte.
Insgesamt wurden 1862 Männer über durchschnittlich 5,3 Jahre hinsichtlich des
erstmaligen Auftretens eines schweren koronaren Ereignisses (nicht tödlich
verlaufender Herzinfarkt oder tödliche Koronarerkrankung) beobachtet.
Die Studie ergab im wesentlichen, daß Vitamin E tödlich verlaufende Herzinfarkte
nicht verhinderte, daß es aber offensichtlich das Risiko eines nicht tödlich
verlaufenden Herzinfarktes um 38 Prozent verringerte. Dagegen war die Gabe von
ß-Carotin gegenüber Placebo mit einem Anstieg tödlich verlaufender ischämischer
Herzerkrankungen um 75 Prozent assoziiert. Bezüglich der Vitamin-E-Wirkung
spekulieren die Autoren, daß der günstige Effekt auf nicht tödlich verlaufende
Herzinfarkte möglicherweise erkauft werde durch einen allerdings nicht signifikanten
Anstieg tödlich verlaufender Herzinfarkte. Gegen diese Mutmaßung spricht jedoch,
daß Vitamin E das Risiko von koronaren Ereignissen grundsätzlich reduziert, was
jedoch aus nicht genau bekannten Gründen bei der Vermeidung nicht tödlich
verlaufender Herzinfarkte deutlicher zum Tragen kommt als bei tödlich verlaufenden.
Die ATBC-Studie unterstreicht die Schlußfolgerung, daß ß-Carotin keinen Wert in
der Prävention des Herzinfarktes hat. Dagegen sind Schlußfolgerunqen über die
Wertigkeit von Vitamin E in der Therapie der Atherosklerose auf Basis der
ATBC-Studie schwierig.
Die CHAOS-Studie zeigt, daß hohe Vitamin-E-Dosen (400 oder 800 I.E. pro Tag)
den kombinierten Zielparameter aus nicht tödlich verlaufenden Herzinfarkten und
kardiovaskulären Todesfällen um 47 Prozent reduziert. Allerdings war die
Risikoverminderung auf die nicht tödlichen Herzinfarkte beschränkt. CHAOS
schlußfolgerte, daß alpha-Tocopherol bei Patienten mit bestehender koronarer
Herzerkrankung indiziert ist. Dagegen kommen die Autoren der ATBC-Studie zu
dem Schluß, daß es durch Vitamin E keinen Beitrag zur Reduzierung des koronaren
Risikos gibt.
Die Ursache der kontroversen Schlußfolgerungen liegt möglicherweise im Design der
Studien. So wurde Vitamin E in der ATBC-Studie zehnmal niedriger dosiert als in
der CHAOS-Studie (50 mg versus circa 500 mg pro Tag). Obwohl die
Serumkonzentrationen in der ATBC-Studie um 150 Prozent angestiegen sind, sind
diese ein unzuverlässiger Indikator für die Vitamin-E-Verteilung im Fettgewebe des
Körpers. Der unterschiedliche Ausgang der Studien kann somit auch dahingehend
interpretiert werden, daß auf jeden Fall mehr als 50 mg Vitamin E pro Tag gegeben
werden müssen, um einen deutlichen Vorteil bei koranaren Herzerkrankungen zu
bringen.
Außerdem wurde in der ATBC-Studie synthetisches alpha-Tocopherol (eine
razemische Mischung von alpha-Tocopherolen) eingesetzt, wogegen die
CHAOS-Studie natürliches Vitamin E verwendete. Es gibt Hinweise, daß die
Wirksamkeit von natürlichem Vitamin E als Antioxidans der von synthetischem
überlegen ist und die natürliche Form zusätzliche Wirkungen hat, die nicht mit der
antioxidativen Wirkung zusammenhängen.
Weitere Klärung zur Wertigkeit von Antioxidantien zur Prävention von koronarer
Herzkrankheit und Atherosklerose werden derzeit laufende, randomisierte Studien
erbringen, wie die "Women's Health Study", eine Fortsetzung der "Physicians' Health
Study", die "Heart Outcome Prevention Evaluation Study" und die "Heart Protection
Study". Bis dahin empfiehlt sich, natürliches Vitamin E in einer hohen Dosis (500
mg/Tag) bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung zur Verhinderung eines
Herzinfarktes einzusetzen. Vom Einsatz von Vitamin A oder ß-Carotin für denselben
Zweck ist dagegen nach neuesten Erkenntnissen abzuraten.
PZ-Artikel von Sabine H. Bodem, Karlstein
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