Pharmazie
"Super-Aspirin zukünftig auch gegen Krebs und Alzheimer"?, war im
Nachrichtenmagazin Focus vom 27. Juli zu lesen. Die neuen
"Wunderpillen", hieß es, werden derzeit klinisch zur Behandlung von
chronischen Entzündungen und Schmerzen getestet. Eine
Rheumaspezialistin wurde mit dem Satz zitiert, Nebenwirkungen seien bei
einer zweijährigen Anwendung in keinem Fall festgestellt worden. Diese
Statements sind beeindruckend beim Vergleich mit therapeutischen
Alternativen für diese Indikationsbereiche wie Glucocorticoide,
nichtsteroidale Antirheumatika, Immunsuppressiva oder Zytostatika.
Das "Super-Aspirin", von dem hier die Rede ist, heißt Celecoxib (Celebra®) und
gehört zur Gruppe der selektiven COX-2-Inhibitoren. Diese hemmen spezifisch die
COX-2-abhängige Prostaglandinsynthese nach Induktion des Enzyms durch
Zytokine, Wachstumsfaktoren oder andere proinflammatorische Reize. Unter der
Vorstellung, daß eine COX-2-abhängige Prostaglandinsynthese überwiegend oder
ausschließlich für Prostaglandin-assoziierte Pathomechanismen bedeutsam ist (zum
Beispiel Entzündung und Schmerzen), haben COX-2-Inhibitoren theoretisch den
Vorteil, daß sie selektiv eine pathologisch gesteigerte Prostaglandinbildung hemmen,
die COX-1-vermittelte Prostaglandinsynthese dagegen nicht beeinflussen.
Substanzen wie Celecoxib müßten daher auch besser magenverträglich sein als
herkömmliche NSAR.
Diese Hypothese ist zweifellos attraktiv. Die vorliegenden Untersuchungen mit
Celecoxib oder MK-966, einem weiteren Vertreter dieser Gruppe, sprechen für
eine analgetische und antiinflammatorische Wirkung der Substanzen im Sinne dieser
Hypothese, ohne eine den konventionellen NSAR vergleichbare magenschädigende
Wirkung. Andererseits stammen die bisher publizierten Daten überwiegend aus
relativ kleinen Studien und sind daher mit den Feldbedingungen des klinischen
Alltags nicht unbedingt vergleichbar.
John Vane hat in einer Übersicht (Ann. Rev. Pharmacol. Toxicol. 1998, Nr.38,Seite
97) darauf hingewiesen, daß angesichts eines geschätzten jährlichen weltweiten
ASS-Verbrauchs von 15 Billionen Tabletten die Aufdeckung des tatsächlichen
Nebenwirkungsspektrums und toxischer Effekte dieser Substanzen Zeit benötigen
wird. Daß dieser Kommentar nicht irrelevant ist, zeigt sich an Meloxicam
(Mobec®), einer Substanz mit mäßiger, circa 10facher COX-2-Selektivität, bei der
kürzlich durch das BfArM auf gastrointestinale Nebenwirkungen, einschließlich
Magenulcera, hingewiesen wurde (Arzneimittel-Schnellinformation BfArM 3/98).
Die Funktionen von COX-1 und COX-2 für den Organismus können an
Knock-out-Tieren untersucht werden, denen diese Gene entfernt wurden. Mäuse
ohne COX-2-Gen reagierten unverändert auf akute Entzündungsreize. Weibliche
Tiere waren nicht fortpflanzungsfähig aufgrund fehlender Ovulation. Die Tiere hatten
eine verkürzte Lebensdauer. Dagegen zeigten COX-1-Knock-out-Mäuse weder
Magen-Darm-Ulcera noch spontane Magenblutungen.
Diese Befunde waren unerwartet. Auch wenn solche Ergebnisse an
Knock-out-Mäusen nicht unmittelbar auf den Menschen übertragbar sind, zeigen sie
doch, daß eine komplette Ausschaltung der COX-2, einschließlich der
COX-2-abhängigen Prostaglandinsynthese, zu multiplen und nicht nur
wünschenswerten Veränderungen führen kann.
Es stellt sich die Frage, ob COX-2 nicht auch an physiologischen Funktionen
beteiligt ist. Eine konstitutive, das heißt basale COX-2-Expression, auch ohne
Stimulation durch Entzündungs- oder Wachstumsfaktoren, wurde im
Nervengewebe, in der Niere und im Epithel der Trachea nachgewiesen. Unsere
Arbeitsgruppe am Institut für Pharmakologie der
Heinrich-Heine-Universität-Düsseldorf fand eine Expression des COX-2-Gens und
-Proteins in der gesunden menschlichen Magenschleimhaut. Als zelluläre
Syntheseorte wurden vor allem vaskuläre glatte Muskel- und Endothelzellen
identifiziert.
Da Blutgefäße in jedem Organ vorhanden sind und die Expression des
COX-2-Gens auf der Ebene der Zelle reguliert wird, wäre es nicht überraschend,
wenn ein exprimiertes COX-2-Gen in allen Organen nachgewiesen würde. Dies sagt
noch nichts über die physiologische Bedeutung dieser Prostaglandinbildung aus.
Allerdings konnte experimentell gezeigt werden, daß eine COX-2- und nicht
COX-1-abhängige Prostaglandinsynthese im Kaninchenmagen - mit ähnlichem
Verteilungsmuster wie beim Menschen - quantitativ entscheidend für die
Prostaglandinbildung ist und damit möglicherweise auch zu den zytoprotektiven
Prostaglandinwirkungen auf dieses Organ beiträgt.
Dies steht nicht im Widerspruch zu den gastrointestinalen Nebenwirkungen
konventioneller NSAR. Eine vollständig fehlende Magentoxizität selektiver
COX-2-Hemmer wäre allerdings mit diesen Befunden ohne Zusatzannahmen nicht
zu erklären.
Vane erwähnt in dem zitierten Review über COX-2-Inhibitoren zwei bereits
tierexperimentell nachgewiesene schwerwiegende Nebenwirkungen dieser
Substanzen. Die eine besteht in der Verzögerung der Wundheilung, eventuell auf
Grundlage einer Hemmung der Angiogenese im Zusammenhang mit der
(promitogenen) und COX-2-induzierenden Wirkung von Wachstumsfaktoren. Ein
möglicher klinischer Bezug wäre hier die Anwendung selektiver COX-2-Inhibitoren
zur Behandlung postoperativer Schmerzen.
Eine andere Nebenwirkung sind mögliche Beeinträchtigungen der fetalen
Entwicklung oder der weiblichen Fertilität, für die nach Angaben von Vane bisher
keine publizierten Daten beim Menschen vorliegen.
Selektive COX-2-Inhibitoren sind ohne Frage eine innovative pharmazeutische
Entwicklung mit einem beachtlichen klinischen Anwendungspotential. Die weitere
Entwicklung dieser Substanzklasse sollte daher konstruktiv-kritisch verfolgt werden.
Statements wie "Super-Aspirin" oder "frei von Nebenwirkungen" sind dazu wenig
hilfreich und irreführend für Laien.
PZ-Artikel von Karsten Schrör, Düsseldorf
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