Symposium zum Amtsantritt von ProfesssorWalter E. Müller |
28.07.1997 00:00 Uhr |
Pharmazie
Viel kann man nicht für Alzheimer-Patienten tun, doch ist wenig immer noch mehr als
nichts. Da die Wirksamkeit der eingesetzten Medikamente von Patient zu Patient
offensichtlich schwankt, fällt eine objektive Bewertung des therapeutischen Nutzens
schwer.
"Auch angesichts der zur Zeit bescheidenen Möglichkeiten, sollte
Alzheimer-Patienten die Therapie nicht vorenthalten werden", sagte Professor Dr.
Walter E. Müller, auf einem Symposium anläßlich seiner Berufung ans Biozentrum
Niederursel der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt. Es gebe keinen
Grund in einen therapeutischen Nihilismus zu verfallen.
Entschieden gegen eine Verteufelung der Nootropika sprach sich Professor Dr.
Konrad Maurer aus, Direktor der Neurologischen Klinik in Mannheim, die zur
Universität Heidelberg gehört. Auch wenn diese Medikamente ein Fortschreiten der
Erkrankung nicht verhindern könnten, sei ihr Nutzen in der Dauertherapie über ein
Jahr belegt. Allerdings helfen Nootropika nicht bei jedem Patienten.
Auch der Cholinesterasehemmer Tacrin wirke nicht bei allen Patienten gleich gut,
führte Maurer weiter aus. Tacrin hemmt den Abbau des Neurotransmitters
Acetylcholin und soll so das cholinerge Defizit im Gehirn von Alzheimer-Patienten
kompensieren. Im Gegensatz zu Morbus Parkinson, bei dem die motorischen
Defizite allein auf die Degeneration dopaminerger Zellen zurückgeführt werden
können, sei die Situation bei Morbus Alzheimer wesentlich komplizierter. Neben
dem cholinergen System sei auch das noradrenerge und das serotonerge System
gestört.
Durch einen Hemmung der Monoaminoxidase (MAO) B mit dem Parkinsonmittel
Selegelin, könne die Konzentration der Neurotransmitter Serotonin und Nordrenalin
erhöht werden. Die MAO B baut alle monoaminergen Neurotransmitter nach deren
Freisetzung ab. Eine Zulassung zur Alzheimer Therapie hat Selegelin allerdings nicht.
Denkbar, allerdings noch nicht therapeutisch umgesetzt, sei auch der Einsatz von
peptidischen Neuromodulatoren und Nervenwachstumsfaktoren, so Maurer weiter.
Diese Substanzen könnten die Qualität der Signalübertragung zwischen den
Nervenzellen erhöhen und so zu einer Verbesserung der Symptomatik bei
Alzheimer-Patienten beitragen.
Ein Medikament mit dem Wirkstoff Propentofyllin, der die Produktion des
Nervenwachstumfaktors steigert, wurde im vergangenen Herbst von Hoechst
Marion Roussel (HMR) zur Zulassung eingereicht. Propentofyllin zeige bei der
Behandlung von Patienten mit leichter und mittelschwerer Demenz eine signifikante
Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit, heißt es in einer Pressemeldung des
Unternehmens vom Dezember 1996.
Ein weiterer Ansatzpunkt bei der Alzheimer-Behandlung sind die cholinergen
Muskarinrezeptoren M1 und M3. Muskarinrezptoren sitzen an den
postsynaptischen Membranen cholinerger Nerven. Experimentelle Befunde ließen
darauf schließen, daß M1- und M3-Agonisten die Bildung des ß-Amyloids
bremsen, so Maurer. Das ß-Amyloid bildet in den Nervenzellen von
Alzheimer-Kranken unlösliche Plaques, die von vielen Wissenschaftlern als
wesentliche Ursache für die neuronale Degeneration angesehen werden. Klinische
Studien mit dem Muskarinagonisten Milamelin laufen derzeit in Europa und den
USA.
Auch bei der Prävention des Morbus Alzheimer scheiden sich die Geister. Wie der
Klinikdirektor weiter ausführte, sei der protektive Effekt von Antioxidantien
weiterhin nicht eindeutig geklärt. Einige Untersuchungen deuteten jedoch darauf hin,
daß die regelmäßige Einnahme der Vitamine A, C und E die Wahrscheinlichkeit, an
Alzheimer zu erkranken, reduziert. Welche Rolle Sauerstoffradikale bei Morbus
Alzheimer spielen, sei noch nicht exakt erforscht.
Maurer betonte, daß der Erfolg einer Pharmakotherapie durch eine begleitende
Verhaltens- und sozialpsychatrische Therapie vergrößert werde. So führe
multimodales Training bei Alzheimer-Kranken innerhalb von vier Wochen zu einer
signifikanten Steigerung der Hirnleistung.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Frankfurt
Der Einsatz von Phytotherapeutika bei Depressionen ist in den letzten Jahren stark
gestiegen. Allein Johanniskrautpräparate haben inzwischen einen Anteil von rund 25
Prozent an den Gesamtverordnungen der Antidepressiva, wobei der heutige
Marktführer (Jarsin®) mit 900 mg Extrakt täglich (entspricht 2700µg Hypericin)
wesentlich höher dosiert ist als der Marktführer vor zehn Jahren (Hyperforat®) mit
240 mg Extrakt pro Tag (entspricht 300µg Hypericin).
Die Marktbedeutung der Johanniskrautpräparate motivierte Professor Dr. Walter E.
Müller aus Frankfurt, der Frage nach der pharmakologischen Wirkung dieses
Phytopharmakons nachzugehen.
Bei den pharmakologischen Tests zeigte sich, daß Johanniskrautextrakt in
therapeutisch relevanten Konzentrationen im Gegensatz zu allen anderen
Antidepressiva sowohl die Wiederaufnahme von Serotonin als auch die von
Noradrenalin und Dopamin aus den Synapsen hemmt. Eine alpha2-Rezeptoraffinität
wurde dagegen nicht beobachtet, und auch eine Monoaminoxidasehemmung konnte
nur in extrem hoher Dosis erreicht werden. Im Rattenversuch konnte Müller darüber
hinaus adaptive Veränderungen bezüglich einer Induzierung der Dichte kortikaler
ß-Rezeptoren und einer Up-Regulation von alpha1-Rezeptoren, wie von Imipramin
bekannt, beobachten.
In weitergehenden Untersuchungen ging Müller der Frage nach, inwieweit diese
pharmakologischen Wirkungen auf molekularer Ebene erklärt werden können.
Nachdem jahrelang das Wirkprinzip von Johanniskraut Hypericin und
Pseudohypericin zugeordnet wurde, kann diese Hypothese nach Aussagen Müllers
nicht aufrecht erhalten werden. Er konzentrierte deshalb seine Untersuchungen auf
einen weiteren Stoff, der im Extrakt höher konzentriert ist, das Hyperforin.
Er konnte nachweisen, daß Hyperforin an allen antidepressiv wirkenden Systemen
gleich stark wirkt, das heißt die Reuptake-Mechanismen hemmt. Im Gegensatz zu
anderen Hemmsubstanzen bindet es aber nicht an den spezifischen Bindungsstellen
der Transportproteine. Die Hemmwirkung muß, so Müller, einem vollkommen
anderen Mechanismus folgen, der möglicherweise ein neues Prinzip antidepressiver
Wirkung darstellen könnte. Sollte sich diese Hypothese bestätigen, sieht Müller in
Hyperforin durchaus eine Leitsubstanz für eine neue Klasse von Antidepressiva.
PZ-Artikel von Hartmut Morck, Frankfurt
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