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50 Jahre systemische Corticoidtherapie

13.07.1998  00:00 Uhr

- Pharmazie

Govi-Verlag

50 Jahre systemische Corticoidtherapie

1948 behandelte Philip Hench, Rheumatologe der Mayo-Klinik in Rochester (Maryland, USA), erstmals eine Patientin mit schwerster rheumatoider Arthritis. Der Erfolg war bahnbrechend: Die Beweglichkeit der Hände besserte sich innerhalb von zwei Tagen, vier Tage später konnte die Patientin bereits wieder spazierengehen. 50 Jahre Cortison-Therapie: Das Unternehmen Hoechst Marion Roussel gab aus diesem Anlaß eine Pressekonferenz in Berlin.

Die Geschichte des Cortisons hat mit dem Behandlungserfolg Henchs weder angefangen noch aufgehört. Den Beginn könnte man auf das Jahr 1564 datieren, als der römische Anatom Bartholomeus Eustachius erstmals die Nebennieren beschrieb. Ihre Funktion blieb allerdings unbekannt bis 1855 Thomas Addison, Arzt aus London, die Symptome der primären Nebennierenrinden-Insuffizienz erkannte. Virchow meinte übrigens damals, ihm sei "kaum je etwas Unlogischeres vorgekommen", berichtete Dr. Hans J. Hatz, Rheumatologe aus München.

Im Laufe der Jahre lernten die Wissenschaftler, Mark und Rinde zu unterscheiden und einen adrenalinfreien Extrakt zur Behandlung der Addinson'schen Krankheit herzustellen. 1936 isolierten Kendall aus Rochester, Wintersteiner aus New York und Reichstein aus Zürich gleichzeitig zum ersten Mal Cortison; später wurden sie dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Es folgte die Entwicklung von Herstellungsverfahren zur Partial- und Vollsynthese und später die Synthese unzähliger Derivate.

In den fünziger und sechziger Jahren wurde die anfängliche Cortison-Euphorie auf Grund der starken und häufigen Nebenwirkungen durch eine Cortison-Angst bei Patienten und Ärzten abgelöst. Bis heute versucht man die Nebenwirkungen zu reduzieren und dieser Angst entgegenzusteuern.

Für die neunziger Jahre gilt: Im akuten Stadium hoch- bis höchstdosierte Corticoide für kurze Zeit anwenden, langfristig jedoch so niedrig wie möglich dosieren und die Grenze individuell austitrieren. Topische Präparate sind meistens, aber nicht in allen Fällen den systemischen vorzuziehen.

Corticoide und Rheuma

Anders als zu den Zeiten von Philip Hench gebe es heute eine breite Palette von Medikamenten zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis, sagte Professor Jörn Kekow, Universitätsklinik Magdeburg. "Glucocorticoide sind hier nicht mehr die Key-Players." Indiziert sind sie bei akuten, floriden Krankheitszuständen, insbesondere dann, wenn die Wirkung von Basistherapeutika wie Methotrexat noch nicht eingetreten ist. Zur Behandlung eines Rheumaschubes werden 16 bis 40 mg Methylprednisolon pro Tag gegeben. Für die mehrmonatige Gabe reichen 4 bis 6 mg, über 8 mg sollte die Dosis nicht hinausgehen. (Ab 6 mg kann eine Osteoporose entstehen.)

Absolut kontraindiziert, so warnte Kekow, seien Corticoide bei infektiösen Arthritiden. Sobald ein Gelenk geschwollen sei, müsse die Möglichkeit einer Infektion geprüft werden. Würde ein eitriger Gelenkerguß mit Corticoiden behandelt, wäre das Gelenk verloren. Degenerative Gelenkerkrankungen werden mit Corticoiden nur selten erfolgreich therapiert. Vorsicht ist auch geboten bei bereits bestehender Osteoporose und bei gleichzeitiger Einnahme von NSAR, da sich die ulcerogene Wirkung beider Medikamente potenziert. Um Knorpelschäden zu vermeiden, dürften Corticoide höchstens drei bis viermal pro Jahr in ein Gelenk injiziert werden. Werden Corticoide mit Methotrexat kombiniert, könne die Methotrexat-Dosis verringert werden, erklärte Kekow. Das Risiko einer Übelkeit nimmt dadurch ab.

Corticoide und Asthma

Bei obstruktiven Atemwegserkrankungen steht meist die Entzündung im Vordergrund. Topische Steroide können daher inzwischen schon ab Schweregrad I gegeben werden. Professor Wolfgang Petro, Klinik Bad Reichenhall, erklärte, wann systemische Corticoide indiziert sind: Wenn die Symptome kontinuierlich zunehmen, der exspiratorische Spitzenfluß (PEF) 50 Prozent unter dem persönlichen Bestwert liegt, der Patient nachts aufwacht und die Wirkung der ß2-Sympathomimetika nachläßt (Schweregrad III). Im akuten Stadium könnten 40 mg Methylprednisolon gegeben werden. Nach sieben Tagen wird die Dosis alle drei Tage um 8 mg, dann wöchentlich um 2 mg reduziert. In den folgenden drei Wochen sollte die niedrigst mögliche Erhaltungsdosis austitriert werden. Alle sechs bis zwölf Wochen ist diese Einstellung zu überprüfen.

Werden gleichzeitig inhalative Steroide verordnet, spare man durchschnittlich 8 mg Methylprednisolon, sagte Petro. Je eher eine Hyperreaktivität vorliege, desto besser helfen Corticoide. Je mehr Bronchialwand und Lungengewebe zerstört sind, desto geringer ist der Effekt.

Corticoide und Haut

Er sei eigentlich froh über die Corticoidphobie, sagte Professor Alexander Kapp von der Dermatologischen Klinik und Poliklinik der Medizinischen Hochschule Hannover. Ein kritischer Umgang mit diesen Arzneistoffen sei absolut notwendig. Das gelte nicht nur für die systemische, sondern vor allem auch für die lokale Therapie. Es sei "Unsinn", großflächige Erytheme oder eine Ganzkörper-Dermatitis lokal zu behandeln. Würde der ganze Körper eingeschmiert, sei die Wirkung systemisch, dann könne auch gleich ein perorales Präparat gegeben werden. "Bei der systemischen Therapie weiß ich wenigstens wieviel der Patient wirklich aufnimmt", sagte Kapp. Die Gefahr einer Hautatrophie verringert sich. Der Patient müsse unbedingt diese Nebenwirkung kennen, denn die topischen Präparate verführten zur unkontrollierten Anwendung.

Kein Corticoid ohne vorherige exakte Diagnose! Ist zum Beispiel eine Urticaria durch einen Infekt ausgelöst, sind Corticoide falsch. Sucht und beseitigt man ein Allergen, können Corticoide ganz überflüssig werden. Unnötig seien Steroide zur Behandlung der Schuppenflechte, da Retinoide eher kausal angreifen und somit vorzuziehen seien, so Kapp.

Corticoide bei Multipler Sklerose

In der Neurologie werden Corticoide bei Autoimmunerkrankungen an zentralen und peripheren Nerven sowie an der Muskulatur eingesetzt. Schwerpunkt sei immer die kurzzeitige, akute Therapie, erklärte Dr. Ralf Gold, Universitätsklinik Würzburg. Mittelfristig werden die Patienten auf andere, meist immunmodulierende Substanzen umgestellt. Gerade bei der Multiplen Sklerose (MS) sei es wichtig, so Gold, akute Phasen schnell zu beenden. Je eher sie abgekürzt werden, desto seltener seien nachfolgende Schübe. Wurden Patienten mit einer Sehnerventzündung (Symptom für beginnende MS) mit hohen Corticoid-Dosen behandelt (500 bis 1000 mg Methylprednisolon), hatten sie später tendenziell weniger MS-Schübe, als Patienten, die mit einer niedrigeren Dosis oder Placebo behandelt worden waren. Es gebe also Anhaltspunkte, daß Corticoide die schubartige Verschlechterung abfangen. Für exakte Aussagen sei das bisherige Datenmaterial aber noch nicht ausreichend, sagte Gold.

PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Berlin Top

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