Pharmazie
Voraussichtlich noch in diesem Jahr wird ein neues orales
Antidiabetikum zugelassen. Wie die Sulfonylharnstoffe fördert auch das
Benzoesäurederivat Repaglinid die Insulinsekretion, die Wirkung tritt
jedoch früher ein und flutet sehr schnell wieder ab. Das Therapieprinzip
lautet: "Pro Mahlzeit eine Tablette", hieß es auf einer Presseveranstaltung
von Novo Nordisk in Leipzig. In den USA ist Repaglinid bereits seit April
auf dem Markt.
Repaglinid kann als Medikament erster Wahl gegeben werden, solange die ß-Zellen
die Insulinproduktion noch nicht völlig eingestellt haben. Der Effekt tritt schnell ein
und nimmt bald wieder ab. Nach 30 bis 45 Minuten werden maximale Wirkspiegel
erreicht, die Halbwertszeit liegt bei einer Stunde, nach ungefähr vier Stunden ist
Repaglinid im Körper nicht mehr nachweisbar.
Das bedeutet, daß der neue Arzneistoff in Abhängigkeit von den Mahlzeiten
eingenommen werden sollte. (In klinischen Studien enthielt eine Mahlzeit mindestens
20 Prozent der gesamten Tageskalorien.) Empfohlen wird, die Tablette direkt vor
dem Essen zu schlucken. Selbst wenn 15 bis 30 Minuten bis zum Beginn der
Mahlzeit vergingen, bleibe die Wirksamkeit erhalten, sagte Dr. Hasan Alawi,
Saarlouis. Nimmt der Patient zwei Hauptmahlzeiten pro Tag zu sich, sollte er zwei
Tabletten schlucken. Bei vier Mahlzeiten müßten vier Tabletten eingenommen
werden. Der Plasmainsulinspiegel erreicht vor der nächsten Mahlzeit wieder die
basalen Ausgangswerte.
Schwere Hypoglykämien sind seltener als unter Glibenclamid. Das hängt nicht nur
mit der kürzeren Halbwertszeit zusammen. Glibenclamid verursache eine
Dauerdepolarisation der ß-Zellmembran, erklärte Professor Hans Peter Meißner aus
Berlin. Durch dieses "Dauerfeuer" könnten manche Regelmechanismen nicht greifen.
Repaglinid hingegen führe zu einer diskontinuierlichen, salvenartigen elektrischen
Aktivität. Diese sei reversibel und störe die Regulationsmechanismen nicht.
Da Repaglinid über Leber und Galle ausgeschieden wird, bräuchten auch ältere
Menschen mit verminderter glomerulärer Filtrationsrate Hypoglycämien nicht
besonders zu fürchten, versicherte Dr. Rolf Renner, Klinikum München
Bogenhausen. Kontraindiziert ist der Arzneistoff dadurch allerdings bei
Lebererkrankungen; außerdem bei Kindern unter 12 Jahen, bei Schwangeren, bei
Typ-1-Diabetikern und bei Patienten, die auf andere orale Antidiabetika nicht
ansprechen. Das Nebenwirkungsspektrum ähnelt im übrigen dem der
Sulfonylharnstoffe.
Repaglinid senkte die HbA1c-Werte um durchschnittlich 1,7 Prozentpunkte, die
Nüchternzuckerwerte um ungefähr 60 mg/dl und die Zuckerwerte nach
Glucosebelastung um 100 mg/dl. Es wirkt auf die HbA1c-Werte ebenso wie
Glibenclamid und läßt sich gut mit Substanzen anderer Wirkmechanismen (zum
Beispiel Metformin) kombinieren. In Arbeit sei eine Studie zur Kombination von
Basalinsulin mit Repaglinid, sagte Dr. Peter Dambso von Novo Nordisk, Dänemark.
Typ-2-Diabetiker leiden unter Insulinmangel (verminderte Insulinsynthese und
-sekretion), Insulinresistenz (verminderte Sensitivität der Rezeptoren) oder einer
Kombination aus beidem. Repaglinid helfe bei Insulinmangel, erklärte Renner. Es
hemmt ATP-sensitive Kaliumkanäle der ß-Zelle und führt zur Depolarisation der
Membran. Der Calciumeinstrom nimmt zu, und damit die Abgabe von Insulin aus
den Vesikeln ins Plasma. Da nur die Sekretion, nicht aber die Synthese des Insulins
beeinflußt wird, wirkt Repaglinid nicht mehr, wenn die ß-Zellen kein Insulin mehr
produzieren (zum Beispiel bei Typ-1-Diabetikern).
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Leipzig
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