Pharmazie
Für mehr wirkungsbezogene Analysenverfahren und nicht die akribische
Suche nach einzelnen Substanzen hat sich die Fachgruppe Wasserchemie
der Gesellschaft Deutscher Chemiker bei ihrer Jahrestagung in Lübeck
ausgesprochen.
Die Methoden der chemischen Spurenanalytik würden immer leistungsfähiger.
Immer mehr Substanzen ließen sich in kleinsten Mengen aufspüren. Doch trotz der
ständig wachsenden Datenfülle reichten diese Verfahren allein nicht aus, um
Umweltchemikalien zu bewerten, berichteten die Wasserchemiker. Wenn es auch
möglich sei, eine Vielzahl von Stoffen zu identifizieren, bedürfe es neuer Strategien,
um deren Wirkung auf die Umwelt zu verstehen. Die Einschätzung möglicher
Gefahren würde dadurch erschwert, daß Schadstoffe in den Gewässern meist in
Cocktails vorkommen. Selbst wenn der Analytiker Informationen über den einzelnen
Stoff zur Hand habe, blieben mögliche Wechselwirkungen mit anderen Substanzen
weiterhin unerkannt. Damit reichen nach Meinung der Experten auch die bisher für
Einzelstoffe festgelegten Grenzwerte nicht aus, um Aussagen über die Wassergüte zu
machen.
"Das Grenzwerte-Konzept muß durch eine neue Dimension ergänzt werden, die sich
nicht nur an der Identität und den Mengen der Substanzen, sondern auch den
Wirkungen orientiert", forderte Professor Dr. Fritz H. Frimmel, Vorsitzender der
Fachgruppe. Die klassischen biologischen Tests, bei denen beobachtet wird, wie
Fische, Algen, Muscheln oder andere Lebewesen auf die im Wasser vorhandenen
Schadstoffe reagieren, ließen viele Fragen offen. Diese Tests erlaubten zwar
eindeutige Aussagen über die Wirkung, doch wüßte man meist nichts über die
Ursachen. Vor allem schleichende Schädigungen seien mit dieser biologischen
"Brille" erst zu spät zu erkennen.
Den Schlüssel zum vorsorgenden Gewässerschutz sehen die Wasserexperten nun in
der Biochemie. Anders als die üblichen chemischen Reaktionen verlaufen
biochemische Vorgänge extrem selektiv. Dadurch eignen sich diese Reaktionen, um
gezielt nach Schadstoffen zu fahnden. "Wir versuchen mit einer biochemischen Angel
Stoffe mit bestimmter Wirkung herauszufischen. Das, was an der Angel hängt,
können wir anschließend chemisch analysieren", erklärt Dr. Ursula Obst vom der
WFM Wasserforschung, Mainz. Die biochemische Strategie ließe sich einfacher mit
chemischen Methoden koppeln als die traditionellen Verfahren.
Besonders gut ließen sich für diese biochemischen Wirkungstests die Eigenschaften
der Eiweißstoffe nutzen. Hormonähnliche Substanzen etwa, sogenannte endokrine
Disruptoren, stehen im Verdacht, die Gesundheit von Mensch und Tier zu
beeinträchtigen, indem sie in deren natürlichen Hormonhaushalt eingreifen. Professor
Dr. Bertold Hock von der Technischen Universität München verwendete
"Rezeptoren" des Sexualhormons Östrogen um aus Wasserproben
Östrogen-ähnliche Stoffe herauszufischen und zu identifizieren.
Um die "Übeltäter" schließlich chemisch zu analysieren, stehen moderne Methoden
der Analytik wie die an Massenspektrometrie gekoppelte Kapillarelektrophorese
zur Verfügung. Bislang sei es allerdings nur in den seltensten Fällen möglich, die
beobachteten Wirkungen auf die chemischen Verursacher zurückzuführen, hieß es in
Lübeck. Um auch diese letzte Etappe der Stoffbewertung routinemäßig zu
bewerkstelligen, bedürfe es noch weiterer Forschungen.
In einem Forschungsprojekt sei es Wissenschaftlern immerhin gelungen, zahlreiche
Tests zum Nachweis erbgutverändernder Stoffe im Oberflächenwasser zu
entwickeln und zu standardisieren. Ein Vorteil dieser Tests: Die Analytiker müssen
die verdächtigen Stoffe nicht vorher anreichern, sondern können mit der natürlichen
Wasserprobe arbeiten.
Beitrag von der PZ-Redaktion
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