Pharmazie
"Herzlich willkommen im Boot." Mit diesen Worten begrüßte Dr. Franz
B. Ensik aus Göttingen die Teilnehmer der zweiten gemeinsamen
Fortbildungsveranstaltung des Bundesverbandes Deutsche Schmerzhilfe
und der Apothekerkammern Bremen und Niedersachsen. Der
Schmerztherapeut brachte damit seinen Wunsch zum Ausdruck, durch
gemeinsame Anstrengung der beiden akademischen Heilberufe die
Behandlung und Versorgung von Kopfschmerzpatienten zu verbessern.
Weitere Referenten waren Professor Dr. Gerd Kobal aus Erlangen und
Rüdiger Fabian von der Deutschen Schmerzhilfe.
Realität sei, daß Kopfschmerzen bei vielen Patienten nie ärztlich diagnostiziert
worden seien, bei manchen liege eine falsche Diagnose vor, sagte Ensik. In vielen
Fällen werde Selbstmedikation mit ungeeigneten Präparaten betrieben (fast 70
Prozent der Betroffenen nehmen OTC-Analgetika), und viele Patienten seien nicht
über die Nebenwirkungen aufgeklärt.
Ensik sieht hier ein verantwortungsvolles Aufgabengebiet für den Apotheker, zumal
dieser oft als einziger Heilberufler von den Beschwerden und Behandlungsversuchen
der Betroffenen erfahre. Eine mögliche Überschneidung mit der ärztlichen Tätigkeit
fürchtet Ensik nicht. Qualifizierte Fortbildung versetze den Apotheker in die Lage,
die Behandlungssituation bei Kopfschmerzen der Betroffenen grundlegend zu
verbessern.
Die Mehrzahl leidet unter Kopfschmerzen vom Spannungstyp oder unter Migräne.
Bekannt und von der internationalen Kopfschmerzgesellschaft klassifiziert sind
jedoch mittlerweile 164 Kopfschmerzarten. Die Diagnose stützt sich auf Anamnese
und klinische Befunde. Apparative Zusatzuntersuchungen, wie bildgebende
Verfahren und EEG, sind nur erforderlich, wenn sekundär/symptomatische
Kopfschmerzen vermutet werden.
Zu den primär/idiopathischen Kopfschmerzen gehören Migräne mit einer Prävalenz
von 5 bis 15 Prozent, Spannungskopfschmerzen mit einer Prävalenz von über 30
Prozent, Cluster-Kopfschmerzen und einige andere. Ensik charakterisierte die
Unterschiede:
- Bei der Migräne ohne Aura kommt es zu wiederholten Kopfschmerzattacken,
die 4 bis 72 Stunden anhalten, wobei der Schmerz einseitig auftritt, pulsierend
bis pochend und meist mäßig stark ist und durch körperliche Intensität
zunimmt. Typische Begleiterscheinungen sind Übelkeit, Erbrechen und
Lichtempfindliclikeit. Chronische Migränekopfschmerzen gibt es nicht,
betonte der Mediziner.
- Bei der Migräne mit Aura treten in der Aura-Phase zentrale Reiz- und
Ausfallsymptome auf, die sich innerhalb einer halben Stunde entwickeln und
nach einer Sunde vollständig abgeklungen sind. Zu 70 Prozent handelt es sich
um visuelle Symptome wie Flimmern, Farbpunkte, Fortefikationen,
Gesichtsfeldausfall; aber auch Sensibilitätsstörungen und Paresen (Sprach-
und Gangstörungen) sind zu beobachten,. Spätestens 60 Minuten nach Ende
der Aura beginnt der typische Migränekopfschmerz.
- Kopfschmerzen vom Spannungstyp sind meist beidseitig, drückend, nicht
pulsierend und lassen im Gegensatz zur Migräne bei körperlicher Aktivität oft
sogar nach. Sie treten episodisch oder chronisch auf; es kommt nicht zu
Begleitsymptomen wie Übelkeit oder Erbrechen.
- Cluster-Kopfschmerz äußert sich in Attacken, wobei eine Einzelattacke bis zu
drei Stunden andauern kann; die Attackenfrequenz reicht von einem
Schmerzanfall jeden zweiten Tag bis zu acht Stück täglich. Der Schmerz ist
sehr stark ausgeprägt, einseitig, in oder oberhalb der Augenhöhlen oder im
Bereich der Schläfen. Als Begleiterscheinungen kann es unter anderem zu
Lidödemen, Engstellung der Pupillen (Miosis) oder laufender Nase
(Rhinorrhoe) kommen.
Therapie und Prophylaxe
Als kritische Maximaldosen von Analgetika, die die Entstehung eines
medikamenteninduzierten Kopfschmerzes begünstigen können, nannte Ensik täglich
7g Acetylsalicylsäure (ASS), 5g Paracetamol, 28mg Dihydroergotamin oder 20mg
Ergotamin. Die Entstehung vom medikamenteninduzierten Kopfschmerz führt man
auf die langfristige tägliche Einnahme von Schmerzmitteln, oft von Mischanalgetika,
zurück.
Die Akutbehandlung der Migräne richtet sich nach der Schwere des Anfalls. Bei
leichten Anfällen wird 15 Minuten nach Gabe eines Antiemetikums (Metoclopramid,
Domperidon) ein Analgetikum wie ASS oder Paracetamol gegeben; das
Antiemetikum soll sowohl die gastrointestinalen Beschwerden und die anfallsbedingt
geminderte Darmperistaltik bessern als auch die Resorption des Analgetikums
fördern; für einen schnelleren Wirkeintritt wird ASS als Brause- oder Kautablette
empfohlen, Paracetamol in rektaler Darreichungsform. Mittelschwere bis schwere
Anfälle werden oral beziehungsweise subcutan mit einem Triptan behandelt oder 15
Minuten nach Gabe eines Antiemetikums mit Ergotamin.
Bei mehr als zwei bis drei Attacken monatlich, die mit der Akuttherapie nicht
ausreichend zu behandeln waren oder bei denen zu viele Nebenwirkungen auftraten,
ist eine medikamentöse Migräneprophylaxe indiziert. Eingesetzt werden (mit
abnehmender Priorität) die Betablocker Propranolol und Metoprolol, der
Calciumantagonist Flunarizin oder Dihydroergotamin. Letzteres sei deshalb
problematisch, weil es selbst Dauerkopfschmerz induzieren kann, hieß es.
Andere Behandlungsformen
Der Cluster-Kopfschmerz wird im akuten Stadium mit Sauerstoff-Inhalationen oder
mit Lidocain intranasal oder mit einem subcutanen Triptan therapiert. Bei akutem
Spannungskopfschmerz werden nicht-opioide Analgetika empfohlen, bei
chronischem Spannungskopfschmerz niedrig dosierte Antidepressiva vom
Amitryptilin-Typ. Bei medikamenteninduzierten Kopfschmerzen ist ein ambulanter
oder stationärer Entzug unter der Anleitung erfahrener Therapeuten der erste Schritt.
Erst danach können Ursachen ergründet und eventuell therapiert werden.
PZ-Artikel von Halmut Renz, Bremen
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