Pharmazie
Die Gabe von Cholecalciferol-Derivaten wird bei der Behandlung von
Osteoporose unterschiedlicher Genese immer wichtiger. Aktuelle
Untersuchungen schreiben dem Vitamin-D-Metaboliten
1,25-Dihydroxy-Cholecalciferol Hormoncharakter zu. Über neue
Erkenntnisse einer physiologischen Therapie von Osteoporosen informierte
eine Presseveranstaltung der Byk Tosse GmbH in Frankfurt.
"Eigentlich ist die Bezeichnung Vitamin für Derivate des Cholecalciferols nicht
korrekt", so Dr. Klaus Abendroth, Jena, in seinem einleitenden Vortrag. Der Körper
kann sich unter normalen Lebensbedingungen, das heißt beim Leben in freier Natur
mit entsprechender Sonnenexposition und ausgewogener Ernährung, eigenständig
mit der Verbindung versorgen. Die Ausgangssubstanz, Cholesterol, wird dabei im
menschlichen Organismus mehrfach umgewandelt, um schließlich als
1,25-Dihydroxy-Derivat des Cholecalciferols seine höchste Wirksamkeit zu
entfalten. Lediglich streng vegetarische Kost und ein Leben überwiegend in
geschlossenen Räumen erfordern die Substitution des D-Vitamins.
Die Bereitstellung von Cholecalciferol ist die Basis für den Aufbau von regulativ
wirkendem 1,25-Dihydroxy-Cholecalciferol. Zunächst bildet der Organismus ein
25-Hydroxy-Derivat als Depotform in der Leber. Die Verbindung wird zur weiteren
Verwendung als Pool in den Fettspeichern bereitgehalten. Diese Vorratswirtschaft
sei wichtig, so Abendroth, um den Körper während der lichtarmen und kalten
Wintermonate ausreichend zu versorgen.
Erst bei Bedarf wandelt der Organismus das Monohydroxy-Derivat in das extrem
wirksame Dihydroxy-Cholecalciferol um. Der reine Hormoncharakter dieser
Verbindung,das heißt Wirkungen schon im Mikrogrammbereich und ein rascher
Metabolismus, rechtfertigen die Bezeichnung Vitamin-D-Hormon, so Abendroth.
Mit einem Rezeptor-induzierten Effekt auf Zellen in Darm, Knochen und
Nebenschilddrüse, die an der Regulation des Calcium-Phosphat-Haushaltes beteiligt
sind, spielt Vitamin-D-Hormon eine entscheidende Rolle bei der Zellreifung und der
Ausprägung zellulärer Funktionen.
Postmenopausale und geriatrische Osteoporose
In der jüngsten Vergangenheit seien bemerkenswerte Fortschritte zum Verständnis
der Pathogenese verschiedener Osteoporosen erzielt worden, so Dr. Erich Schacht,
Leiter der Geschäftseinheit "Bone" bei Byk Gulden, Lomberg. Bisher unterschied die
Nomenklatur, aufbauend auf pathogenetischen Mechanismen, die
Erkrankungsformen vom Typ I und II. Die postmenopausale Osteoporose (Typ I)
kennzeichnet eine Kombination aus niedriger maximaler Knochendichte (peak bone
mass) und erhöhten Knochenverlusten. Ursache, so Schacht, sei ein Estrogendefizit.
Eine verringerte Osteoklastenapoptose, die verstärkte Bildung von sogenannten
Killerosteoklasten, Interleukin 1 und 6 sowie TNF-alfa führen zu einer frühzeitigen
Verschlechterung der Knochenqualität und einer Erhöhung der
Wirbelkörperfrakturrate.
Im Gegensatz dazu stehen bei der Typ-II-Osteoporose Alterungsvorgänge im
Mittelpunkt. Vitamin-D-Mangel durch einseitige Ernährung, fehlende
Sonnenexposition, Calciummangel sowie die Abnahme der Calcitriolrezeptoren im
Intestinum führen zu einem sekundären Hyperparathyeroidismus. Neben den
Wirbelfrakturen (Spongiosa) treten bei der Typ-II-Osteoporose zusätzlich
Schenkelhalsfrakturen (Kompakta) auf.
Slow- und Fast-bone-loser
Um die Klassifizierung zu verbessern, wird inzwischen international anhand der
Schlüsselbegriffe Knochendichte, -dichteverlust und -struktur die Pathogenese
charakterisiert. Die Typen I und II ersetzen heute sogenannte Fast- und
Slow-bone-loser. Kliniker unterscheiden demnach zwischen Patienten, die schnell
oder langsam Skelett verlieren. Die Berechtigung für diese Einteilung sieht der
Züricher Professor Dr. Maximillian Dambacher darin, daß bei der Behandlung der
Osteoporose zwischen Knochenanbau stimulierenden und den Knochenabbau
hemmenden Substanzen differenziert wird. "Die Abbaubremser (Antiresorptiva) sind
vor allem bei Fast-bone-losern wirksam. Stimulierende Wirkstoffe (Anabolika)
werden bei Slow-bone-losern eingesetzt."
Bislang war es unklar, ob Vitamin-D-Metaboliten nur den Knochenanbau
stimulieren oder auch antiresorptiv wirken", so Dambacher. In Zürich behandelte
man deshalb mehr als 50 Patientinnen über einen Zeitraum von sieben Monaten mit
Tagesdosen von 1 µg Alfacalcidol oder 0,5 µg Calcitriol. Bei allen
Fast-loser-Patientinnen konnten Spongiosa behoben werden, so Dambacher. Als
mögliche Erklärung dieses antiresorptiven Effektes nannte er die Beeinflussung des
sekundären Hyperparathyreoidismus, eine direkte Wirkung auf die
Empithelkörperchen, auf Zytokine sowie eine Estrogen-ähnliche Wirkkomponente
des Vitamin-D-Derivats.
PZ-Artikel von Ulrich Brunner, Frankfurt
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