Pharmazie
Ausgerechnet Nikotin, genauer Nikotin-Tartrat- oder
Nikotin-Polycarbomer-Einläufe, könnten in Zukunft vielleicht die
Remissionsrate und die Lebensqualität bei Colitis ulcerosa-Patienten
verbessern. Der genaue Effekt bleibe aber noch abzuwarten, sagte
Privatdozent Dr. Thilo Andus vom Klinikum der Universität Regensburg bei
einer Pressekonferenz der Gastro-Liga am 11. März in Frankfurt am Main.
Die Hypothese, daß Rauchen auch positive Effekte haben kann, ist nicht ganz von
der Hand zu weisen, zumindest nicht, was die chronisch entzündliche Erkrankung
des Dickdarms, die Colitis ulcerosa, angeht. Raucher erkranken offenbar nur etwa
halb so häufig an dieser mit blutigen Durchfällen, Bauchschmerzen, oft auch Anämie,
Fieber und Gewichtsverlust einhergehenden chronischen Enddarmentzündung, die
sich meist bereits zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr manifestiert.
Positive Effekte auf Colitis ulcerosa beschränkt
Darüber hinaus habe man beobachtet, daß Personen, die das Rauchen aufgeben,
überdurchschnittlich häufig an Colitis ulcerosa erkranken, berichtete Andus. Um dem
ganzen die Krone aufzusetzen, müssen dem Nikotin fröhnende Colitis-Patienten
offenbar auch seltener wegen akuter Krankheitsschübe stationär eingewiesen
werden und haben weniger darmbezogene Beschwerden als ihre nichtrauchenden
Leidensgenossen. Diese Beobachtungen gelten jedoch nicht für Morbus Crohn, die
zweite häufige chronisch entzündliche Darmerkrankung. Sie kommt bei Rauchern
sogar vermehrt vor.
Wie die positiven Auswirkungen des Nikotins bei Colitis ulcerosa zustande
kommen, sei noch nicht geklärt, betonte der Mediziner. Man vermutet, daß es zu
einer Hemmung entzündungsfördernder Leukotriene und zu einer Verstärkung der
schützenden Schleimschicht im Darm kommt. Da der Rat zum Rauchen wegen der
allseits bekannten Risiken für Herz, Kreislauf und Lunge und der drastisch
reduzierten Lebenserwartung (leichtes Rauchen 3 Jahre, mäßig 5 Jahre, stark 8
Jahre) medizinisch nicht vertretbar ist, wurden andere Applikationsformen für
Nikotin bei Colitis ulcerosa-Patienten untersucht.
Wirksamer als Placebo, aber unterlegen gegenüber Standardtherapie
Andus berichtete von einer placebokontrollierten, randomisierten Doppelblindstudie
von 1994, in die Patienten mit leichter bis mäßig stark entzündlicher Colitis ulcerosa
einbezogen waren. Bei denjenigen, die täglich etwa 15 mg Nikotin in Form von
Nikotinpflastern zuführten, lag die Remissionsrate signifikant höher als in der
Placebogruppe (49 Prozent Remissionen versus 24 Prozent); entsprechend höher
lag jedoch auch die Nebenwirkungsrate, wobei Übelkeit, Kopfschmerzen und
Schlafstörungen im Vordergrund standen (66 Prozent Nebenwirkungen unter Verum
versus 30 Prozent unter Placebo).
Gegenüber einer Standardtherapie mit Prednisolon sei die Nikotinbehandlung
weniger effizient und verursache mehr Nebenwirkungen, faßte der Mediziner die
Ergebnisse einer weiteren Studie zusammen. Unter 15 bis 25 mg Nikotin
transdermal täglich kam es bei weniger als einem Drittel der Patienten zur Remission,
unter Prednisolon lag die Remissionsrate bei knapp 60 Prozent. Keine
nennenswerten Effekte konnte Andus vom Nikotineinsatz zur Rezidivprophylaxe
berichten. Die Wirkung der Nikotinpflaster lag hier in der Größenordnung von
Placebo, die Nebenwirkungen des Verums überwogen deutlich.
Nikotin-Einläufe als neue Perspektive
Mögliche Therapiefortschritte erhoffen Fachleute und Patienten jetzt von einer neuen
Applikationsform in Form von Nikotin-Tartrat- beziehungsweise
Nikotin-Polycarbomer-Einläufen. Aus dieser Darreichungsform könne das Nikotin
lokal an der Darmschleimhaut wirken, berichtete Andus von ersten Untersuchungen.
Die systemische Bioverfügbarkeit sei aber durch Metabolisierung des Nikotins zu
Cotinin bei der Leberpassage deutlich reduziert (auf 15 bis 25 Prozent).
In einer Pilotstudie an Patienten mit mäßig aktiver Colitis ulcerosa habe sich sich eine
gute Wirksamkeit und Verträglichkeit der Einläufe gezeigt. Eine klinische Besserung
konnte bei über 60 Prozent der Patienten erzielt werden, bei weniger als 20 Prozent
ließ sich Nikotin im Blut nachweisen; die Nebenwirkungsrate lag allerdings dennoch
bei über 40 Prozent. Um die Effekte der neuen Darreichungsform endgültig
beurteilen zu können, seien weitere kontrollierte Studien abzuwarten, so Andus
abschließend.
PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Frankfurt am Main
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