Phytopharmaka bewerten und vergleichen |
24.02.1997 00:00 Uhr |
Pharmazie
"Seien
Sie kritisch!" Professor Dr. Theo Dingermann vom
Institut für Pharmazeutische Biologie, Universität
Frankfurt, appellierte an den pharmazeutischen
Sachverstand der Apotheker. Damit ließe sich die
Qualität von Phytopharmaka einschätzen. Denn längst
nicht alle pflanzlichen Präparate, die im Regal stehen,
sind uneingeschränkt zu empfehlen.
Er spreche nicht gegen, sondern sehr dezidiert
für die Phytopharmaka im Sinne des Arzneimittelgesetzes,
bezog Dingermann auf einer Fortbildungsveranstaltung der
Landesapothekerkammer Hessen Position. Das heißt: Eine
eng gefaßte Definition plus genaue Vorgabe von
Qualitätskriterien seitens des Gesetzgebers gestalteten
den Phytopharmakamarkt transparenter. Schließlich wurde
jede Maßnahme bezüglich der Qualitätssicherung zum
Positiv-Image der pflanzlichen Arzneimittel beitragen.
Das Dilemma: Alle Phytopharmaka werden nach den
jeweiligen Drogen eingeteilt. Dabei ist die Droge nur der
Rohstoff, und der Extrakt ist der eigentliche Wirkstoff.
Es kommt also auf einen ganz bestimmten Pflanzenteil an.
Den bestimmten Extrakt aus einer Arzneipflanze gibt es
nicht. Abhängig vom Pflanzenteil und Lösungsmittel
stellt jeder nach einem eigenen Verfahren hergestellte
Extrakt einen gesonderten Wirkstoff dar. Will man einen
pflanzlichen Wirkstoff beurteilen, müssen Pflanzenteil,
Lösungsmittel und Herstellungsverfahren bekannt sein.
Essentielle Kenngröße der Deklaration ist das native
Drogen/Extraktverhältnis (DEV): Es beschreibt die Masse
der eingesetzten Droge in Relation zur Masse des nativen,
getrockneten Extraktes. Ist der Zähler größer als der
Nenner, hat man einen Trockenextrakt, umgekehrt einen
Flüssigextrakt. Das DEV hängt stark vom
Extraktionsmittel ab. Nur Arzneimittel mit ähnlichem DEV
lassen sich miteinander vergleichen, da der Wirkstoff mit
demselben Lösungsmittel ausgezogen wurde. Als
Negativbeispiel nannte Dingermann die
Urticaria-Präparate: "Da wird mit allem extrahiert,
was das Regal zu bieten hat." Deshalb werde eine
vergleichende Bewertung wie "da ist mehr drin als im
anderen" unmöglich. Das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte läßt jedoch nach Menge
pro Dosis zu, und die stimme nach Dingermanns Worten bei
Brennesselpräparaten meistens.
DEV und Standardbereiche für Leitsubstanzen wahren
Chargenkonformität. Ein Sonderfall der Standardisierung
ist die Normierung: Sind wirksamkeitsbestimmende
Komponenten bekannt, wird der Extrakt auf diese normiert.
Aber nur in den wenigsten Fällen weiß man definitiv,
welche Substanz oder Substanzgruppe die Wirkung
hervorruft. Bekannt sind beispielsweise Aescin,
Silymarin, Sennoside, Kavapyrone.
Für die Beurteilung von Phytopharmaka sind die
Monographien der Kommission E des ehemaligen BGA
unerläßlich. Sie bewerten die pharmazeutische
Wirksamkeit der Drogen und geben für die positiv
bewerteten Drogen wirksame Tagesdosen an. Mit Ausnahme
von drei Monographien handelt es sich allerdings
ausschließlich um Drogenmonographien. Es wurde demnach
der Rohstoff und nicht der Wirkstoff bewertet. Leider
gibt es dazu keine Alternative.
Um trotzdem Extrakte mit Hilfe der
Kommission-E-Monographien bewerten zu können, müssen
die Drogenmengen errechnet werden, die dem Extrakt
entsprechen. Dann vergleicht man die deklarierte
Tagesdosis mit der in der Monographie angegebenen
wirksamen Tagesdosis. Viele Präparate sind unterdosiert.
Bei (nach-) zugelassenen Mono-Phytopharmaka stimmt die
Tagesdosis. Dagegen sind nach den Worten Dingermanns alle
Kombinationspräparate pro Droge unterdosiert. Merke:
Für die Qualitätsbeurteilung muß die Tagesdosis in
Gramm und der Preis pro Milliliter berechnet werden.
Der Phytopharmakamarkt ist alles andere als
übersichtlich. Die Produktpalette hat alles zu bieten:
Arzneimittel mit Zulassung (§ 21 AMG), Arzneimittel mit
Nachzulassung (§ 105 AMG), Arzneimittel im
Nachzulassungsverfahren (§ 105 AMG), Arzneimittel zur
traditionellen Anwendung (§ 109 a AMG) und Arzneimittel
mit Verzicht auf Nachzulassung bis zum 31. Dezember 2004
(sogenannte 2005-Präparate).
Arzneimittel, die sich im Nachzulassungsverfahren
befinden, sind momentan benachteiligt. Man kann sie nicht
von 2005-Präparaten unterscheiden, die keine spezielle
Kennzeichnung brauchen. Dingermann bewertete die
Entscheidung Seehofers, die Kommission E einzustampfen,
als großen Fehler. Die Kommission E erarbeitet jetzt
keine Monographien mehr, sondern ist an der Nachzulassung
beteiligt.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Frankfurt
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