Pharmazie
Rheumatherapie: Enttäuschung
fehl am Platz
"Es tut sich was in der
antirheumatischen Therapie." Dieser optimistische
Ausblick von Professor Dr. Albrecht Ziegler vom Institut
für Pharmakologie der Universität Kiel scheint auf den
ersten Blick verwunderlich. Schließlich ist die Ursache
der meisten rheumatischen Erkrankungen nach wie vor
unbekannt, und "das Antirheumatikum", das
sowohl die Symptome als auch die Progression der
Krankheit wirksam bekämpft, muß noch gefunden werden.
Eine Kausaltherapie ist bis heute nicht in
Sicht, die Behandlung beschränkt sich auf den Einsatz
von Akuttherapeutika (NSAR, Glucocorticoide) zur Schmerz-
und Entzündungslinderung und auf die Gabe von
Basistherapeutika, die Krankheitsschübe und die
Gelenkzerstörung verlangsamen beziehungsweise
abschwächen sollen. Also doch alles beim Alten? Laut
Ziegler kann davon nicht die Rede sein. Immerhin sei es
gelungen, die vorhandenen Ansätze zu modifizieren und
dadurch vor allem ihr Nebenwirkungsprofil zu verbessern.
Er machte dies am Beispiel der nichtsteroidalen
Antirheumatika (NSAR) deutlich, bekannt für ihr
schleimhautschädigendes Potential im Magen-Darm-Trakt.
Es sei eine Neubewertung des Risikos einer Schädigung
des Magens notwendig, betone er im Oktober beim
Interpharm-Fortbildungskongreß in Leipzig. Da inzwischen
bekannt sei, daß nicht alle NSAR gleich
schleimhautschädigend wirken, könne man durch Auswahl
des geeigneten Wirkstoffs die Gefahr durchaus reduzieren.
So scheinen beispielsweise Substanzen wie Nabumeton
besser verträglich zu sein; das Keton wird erst im
Körper zur wirksamen Säure verstoffwechselt, so daß
man sich eine geringere Schleimhautreizung erhofft. Im
übrigen sei auch für Acetylsalicylsäure (ASS)
inzwischen gezeigt, daß die Magenunverträglichkeit
geringer ist als ursprünglich angenommen, betonte
Ziegler. Eine Risikoverminderung der NSAR sei weiterhin
möglich durch die kombinierte Anwendung mit
schleimhautschützenden Substanzen, zum Beispiel dem
Prostaglandin Misoprostol. Und auch die Entwicklung der
COX-II-selektiven NSAR wie Meloxicam verspreche ein
reduziertes Magen-Risiko, so Ziegler weiter.
Neuere Erkenntnisse deuten laut Ziegler außerdem auf
einen möglicherweise erweiterten Wirkmechanismus der
NSAR hin. Bislang war man davon ausgegangen, daß sie
ausschließlich über COX-Hemmung wirken. Inzwischen habe
man jedoch festgestellt, daß bei einigen NSAR nur
jeweils ein Enantiomer diesen Mechanismus aufweise, ein
analgetischer Effekt sei jedoch bei beiden zu beobachten
gewesen. Die genauen Zusammenhänge müßten aber noch
geklärt werden.
Der zweite Pfeiler der Akuttherapie ist die Behandlung
mit Glucocorticoiden. Ihre guten antiphlogistischen
Effekte seien seit langem unbestritten (allerdings auch
ihre Nebenwirkungen wie etwa das Cushing-Syndrom).
Neuerdings gebe es jedoch Hinweise, daß eine Therapie
mit niedrigdosierten Glucocorticoiden die Progredienz der
Gelenkzerstörung verlangsamen könnte.
Auf dem Gebiet der Basistherapeutika unterscheidet man
die Slow acting antirheumatic drugs (SAARD) und die
Disease modyfying antirheumatic drugs (DMARD), erinnerte
Ziegler. In den letzten Jahren hätten sich insbesondere
die "Substanzen der Wahl" geändert. Während
in den 80er Jahren noch Chloroquin und Goldpräparate auf
Position 1 der Verordnungsliste standen, seien es heute
Methotrexat und auch Sulfasalazin. Der Wirkmechanismus
des Sulfonamids bei dieser Indikation sei allerdings noch
nicht klar, man wisse nicht, ob das ganze Molekül für
die Effekte verantwortlich sei oder nur eine
Teilkomponente (wie bei Colitis ulcerosa).
Vorsicht bei Eingriffen in das Immunsystem
Mit Skepsis beurteilt Ziegler die Entwicklung von
Cytokin-Antagonisten und löslichen Cytokin-Rezeptoren.
Die auch als "Biologics" bezeichneten Proteine
sollen als kausaler Ansatz die bei
entzündlich-rheumatischen Erkrankungen beteiligten
Cytokine (zum Beispiel Tumornekrosefaktor a) abfangen und
damit die Entzündungsreaktion blockieren. Dieser Ansatz
berge vor allem zwei Probleme: Durch die längerfristige
Proteinzufuhr bestehe die Gefahr der Antikörperbildung
im Organismus, eine Dauertherapie mit
Cytokin-Antagonisten oder -Rezeptoren erscheine daher
wenig praktikabel. Darüber hinaus könne ein isolierter
Eingriff in bestimmte Einzelkomponenten des komplexen
Immunsystems mit nicht kalkulierbaren Folgen verbunden
sein, gab er zu bedenken. "Zukunftsträchtiger"
ist aus seiner Sicht in jedem Fall die Entwicklung
chemisch definierter Arzneistoffe mit gezieltem Eingriff
in das Immungeschehen bei Rheuma.
PZ-Artikel von Bettina Schwarz, Leipzig
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de