Pharmazie
Primär- und Sekundärprävention bei atherosklerotischen Erkrankungen
was ist gesichert, was spekulativ? Grundlagenforschung und viele
klinische Studien haben in den letzten Jahren mehr Licht in das Dunkel der
veränderten Gefäße gebracht.
Wenn eine Atherosklerose klinisch manifest wird, haben sich die Blutgefäße bereits
erheblich und teilweise irreversibel morphologisch verändert. Die ersten Ansätze
(fatty streaks) findet man oft schon ab dem 20. Lebensjahr. Doch es gibt viele
Ansätze, in das multifaktorielle Geschehen einzugreifen, auch im Sinne der
Prävention, betonte der Kölner Pharmakologe, Professor Dr. Wolfgang Klaus, bei
einem Presseseminar der Firma Bayer in Konstanz.
Doppelstrategie mit Vitamin E und ASS
Das wichtigste lipophile Antioxidans im menschlichen Körper, das D-alpha- oder
RRR-alpha-Tocopherol, wirkt als Radikalfänger und vermindert die
Lipidperoxidation in Monozyten sowie die Anhaftung dieser Zellen an das Endothel.
Doch das Molekül kann mehr. Es beeinflußt die Proteinkinase C und hemmt damit
die Proliferation glatter Gefäßmuskelzellen. Professor Dr. Henning Schröder aus
Halle schreibt dem Tocopherol eine Botenstoff- und Sensorfunktion für oxidative
Prozesse zu.
In zwei großen fragebogengestützten Studien an Gesunden konnte Vitamin E, nicht
aber Multivitamine das relative Risiko für eine koronare Herzkrankheit senken.
Notwendig ist jedoch eine Langzeitanwendung, da Effekte frühestens nach einem bis
zwei Jahren deutlich werden. Schröder: "Eine Vitamin-E-Kur ist sinnlos."
Klare Daten zur Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen und Krebs
soll die Womens Health Study an etwa 40000 postmenopausalen
Krankenschwestern liefern. Sie nehmen jeden zweiten Tag 600 IE Vitamin E und
100 mg ASS. Die Ergebnisse, die nach der Jahrtausendwende erwartet werden,
sollen klären, ob die Supplementierung mit Vitamin E auf breiter Basis
empfehlenswert ist. Die Dosisuntergrenze liegt wahrscheinlich bei 100 IE.; als
Tagesdosis empfiehlt Schröder 200 bis 400 IE D-a-Tocopherol. Bei höherer
Dosierung wird auch mehr Substanz ausgeschieden.
Wahrscheinlich wirkt die Kombination von Vitamin E mit ASS additiv bis
überadditiv. Nach neuesten Erkenntnissen aktiviert die Säure den endogenen
Oxidationsschutz, indem sie die Ferritin-Synthese anregt, sagte Privatdozent Dr.
Rainer Böger aus Hannover. Der Nutzen von ASS in der Primärprävention ist für
Männer mit hohem Herzinfarktrisiko belegt. Allerdings gibt es auch Vorbehalte, weil
man Hirnblutungen, vor allem bei Hypertonikern, fürchtet.
Böger resümierte zwei Studien, die in diesem Jahr neue Erkenntnisse lieferten. In der
Thrombosis Prevention Trial, an der knapp 5500 Männer mit hohem KHK-Risiko
teilnahmen, reduzierte ASS das Herzinfarktrisiko um 20 Prozent, ohne das
Blutungsrisiko signifikant zu erhöhen. In der Hypertension Optimal Trial mit fast
19000 Hypertonikern zeigte sich, daß auch gut eingestellte Hochdruckpatienten von
Acetylsalicylsäure profitieren. Das Herzinfarktrisiko sank, ohne daß das Risiko von
Hirnblutungen stieg.
Instabile Plaques platzen leicht
Die Erfolge der Cholesterolsynthese-(CSE)-Hemmer haben zu einem Umdenken in
der KHK-Therapie geführt, berichtete Professor Dr. Dirk Müller-Wieland. Die
Prognose eines KHK-Patienten orientierte sich früher am Stenosegrad der Gefäße.
Doch viel wichtiger scheint die Zahl und Struktur oder Verletzbarkeit der Plaques zu
sein. Instabile Plaques haben einen großen lipidreichen Kern und eine dünne fibröse
Kappe. Diese reißt leicht ein und kann einen akuten thrombogenen Prozeß bis hin zu
instabiler Angina pectoris oder Herzinfarkt auslösen. CSE-Hemmer scheinen die
Plaques zu stabilisieren, deren lipidreichen Kern zu reduzieren und die endotheliale
Funktion zu verbessern.
Da CSE-Hemmer die Koronarletalität und die Gesamtsterblichkeit hochsignifikant
senken können, sollten alle Patienten mit KHK diese Arzneistoffe bekommen,
unterstrich Müller-Wieland aus Konstanz. Gleichermaßen gefährdet seien
Typ-II-Diabetiker. Deren LDL-Cholesterol sollte unter 100 mg/dl gesenkt werden.
Ob die Kombination von CSE-Hemmer (Cerivastatin) und einem
Calcium-Antagonisten (Nifedipin) Vorteile bei der endothelialen Dysfunktion bringt,
werden die prospektiv angelegten ENCORE-I- und -II-Studien zeigen. Studie I
prüft die Schnelleffekte der Medikation auf das Endothel bei 400 KHK-Patienten
nach Ballondilatation. Die zweite Studie ist auf zwei Jahre angelegt und soll die
Progression der Atherosklerose an 200 KHK-Patienten nach Dilatation erfassen.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, Konstanz
© 1997 GOVI-Verlag
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