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HIV-Therapie lässt Fette wandern

08.11.1999  00:00 Uhr

- Pharmazie Govi-Verlag LIPODYSTROPHIE

HIV-Therapie lässt Fette wandern

von Ulrich Brunner, Eschborn

Nicht nur unzumutbare Tablettenmengen vereiteln mitunter den Erfolg einer antiretroviralen Therapie. HIV-Patienten leiden häufig auch unter Fettstoffwechselstörungen. Was Experten als Lipodystrophie bezeichnen, wird von Ärzten oft erst zu spät wahrgenommen.

Die guten Erfolge der HAART (Highly active antiretroviral therapy) werden durch eine hohe Inzidenz der Nebenwirkungen getrübt. Neben Durchfall, Übelkeit, Erbrechen sowie Nierenfunktionsstörungen und Makrozytose beeinträchtigen vor allem komplizierte Einnahmeschemata und zu große Kapseln die Compliance. Während eines Expertentreffens Ende Oktober in Lissabon diskutierten Wissenschaftler einen weiteren unerwünschten Effekt der antiretroviralen Therapie: die Lipodystrophie.

1998 beschrieb ein australischer Mediziner erstmals dieses Krankheitsbild. Er stellte fest, dass sich das Fettgewebe von HIV-Patienten, die Proteasehemmer einnahmen, umverteilte. Bei der Lipodystrophie sinkt der Anteil des Fettgewebes in Gesicht und Extremitäten. Die Patienten haben eingefallene Wangen und ihre Venen treten an Armen und Beinen deutlich hervor. Andererseits reichert sich das Fett vermehrt am Bauch und im Nacken an. Bei Frauen vergrößern sich zudem die Brüste.

Wahrscheinlich lösen sowohl die Proteasehemmer als auch Reverse-Transkriptasehemmer die unerwünschte Fettumverteilung aus. Professor Dr. Frank-Detlef Goebel aus München fand in eigenen Untersuchungen bei behandelten HIV-Patienten erhöhte Triglycerid- und Cholesterolspiegel.

Proteasehemmer blockieren Adipozyten

Eine Erklärung, wie Proteasehemmer (PI) den Fettstoffwechsel stören, lieferte bis dato ein Wissenschaftlerteam um Andrew Carr von der University of New South Wales in Sydney, Australien. Die HIV-1-Protease, Angriffsort der Proteasehemmer, weise eine zu 60 Prozent homologe Aminosäuresequenz zu den zwei körpereigenen Proteinen CRABP-1 und LRP auf, die in den Lipid- und Kohlenhydratstoffwechsel involviert sind, so die Forscher.

CRABP-1 (cytoplasmic retinoic-acid binding protein type 1) ist an der Differenzierung von Adipozyten in der Peripherie beteiligt. Wird diese durch Proteasehemmer gestört, kann Fett in den Extremitäten nicht mehr gespeichert werden.

Bindet der Proteasehemmer an LRP (lipoprotein-receptor-related protein) verhindert er den Abbau von Chylomikronen und Triglyceriden in der Leber. Es kommt zur Hyperlipidämie und das Fett lagert sich am Körperrumpf ab.

NRTI blockiert Enzyme in den Mitochondrien

Nach Meinung des holländischen Forschers Kees Brinkman fehlen für Carrs Hypothese jedoch weitere Beweise. Zudem erkläre die These nicht, warum auch Patienten an Lipodystrophie leiden, die nie mit Proteasehemmern behandelt wurden.

Brinkmann führt die Dystrophie auf die toxische Wirkung der nukleosidischen Reverse-Transkripasehemmer (NRTI) auf die am Fettabbau beteiligten Mitochondrien zurück. Seiner Meinung nach hemmen NRTIs die DNA-Polymerase vom Typ g in den Zellorganellen. In intakten Mitochondrien katalysiert die g-Polymerase die Replikation der mitochondrialen DNA (mDNA). Diese kodiert für wichtige Proteine in der Atmungskette. Wird die Atmungskette gestört, kann auch Fett nicht reibungslos abgebaut werden. Brinkman und sein Team schließen allerdings nicht aus, dass eventuell auch Proteasehemmer diesen Effekt verstärken.

In einem begleitenden Kommentar warnt Carr jedoch davor, NRTIs voreilig abzusetzen. Dafür seien die Untersuchungsergebnisse noch zu vorläufig. Die Hypothese müsste durch biochemische und molekularbiologische Arbeiten noch untermauert werden.

Nachdem Wissenschaftler seinerseits die Lipodystrophie den Proteasehemmer zuschrieben, stoppten zahlreiche HIV-Patienten mit entsprechenden Symptomen die PI-Therapie. Diese Entscheidung könnte aufgrund der neuen Ergebnisse voreilig gewesen sein. Inzwischen laufen mehrere klinische Studien, die die unerwünschten Wirkungen eines antiretroviralen Regimes ohne Proteasehemmer genauer untersuchen. Dann könnten Wissenschaftler gezielt Arzneistoffe entwickeln, die den unangenehmen Fetttransfer im Körper nicht begünstigen.

Literatur:

  1. Carr, A., et al., Pathogenesis of HIV-1-protease inhibitor associated peripheral lipodystrophy, hyperlipidaemia, and insulin resistance. Lancet 352 (1998) 1881 - 1883.
  2. Brinkman, K., et al., Mitochondrial toxicity by nucleoside-analogue reverse-transcriptase inhibitors is a key factor in the pathogenesis of antiretroviral-therapy-related lipodystrophy. Lancet 354 (1999) 1112 - 1115.
  3. Morris A.A.M., Carr, A., et al., HIV nucleoside analogues: new adverse effects on mitochondria? Lancet 354 (1999) 1046 - 1047.
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