Zytotoxische Naturstoffe läuten Apoptose ein |
23.10.2000 00:00 Uhr |
Es ist ein Traum für die Medizin dieses Jahrhunderts: den Krebs besiegen. Ein besseres Verständnis der genetischen Prägung und Pathophysiologie des Krebses sowie der molekularen Eingriffe zytotoxischer Wirkstoffe könnte den Weg zu diesem Ziel ebnen. Professor Dr. Angelika Vollmar, München, stellte beim Internationalen Phytomedizin-Kongress in München aktuelle Forschungsansätze vor.
Viele Jahre lang fesselte das abnorme Zellwachstum das Interesse der Forscher. Doch auch wenn Zellen ihren eigenen programmierten Tod nicht mehr erleiden können, gerät die Zellhomöostase aus den Fugen. Außer durch Nekrose, einen ungeordneten und von Entzündungen begleiteten Vorgang, sterben Zellen natürlicherweise in einem "gut organisierten, stillen und sauberen Todesprozess", erklärte Vollmar.
Typisch für die Apoptose: Die Zelle schrumpft, das Chromatin im Zellkern kondensiert, Zellmembran und -organellen bleiben intakt. Das umgebende Gewebe leitet die Phagozytose ein, ohne dass Entzündungsfaktoren im Spiel sind. "Die Apoptose ist ein zentraler Vorgang in der Physiologie und Pathosphysiologie des Körpers und daher eines der wichtigsten Forschungsziele der letzten Jahre", sagte die Pharmazeutische Biologin, die selbst an zytotoxischen Naturstoffen forscht.
Vielfältige Mechanismen lösen die Apoptose aus. Beteiligt sind immer Effektor-Caspasen, die die Degradation der DNA im Zellkern anstoßen. Diese Enzyme werden aktiviert durch so genannte Todesrezeptoren in der Zellmembran oder über die Mitochondrien.
Ein wichtiges Beispiel ist der Fas-Rezeptor. Wird er durch Liganden aktiviert, trimerisiert er und formt mit weiteren Proteinen einen "death inducing signalling complex", der intrazellulär eine Signalkaskade anstößt. Aus Procaspase-8 wird Caspase-8 freigesetzt, die wiederum Caspase-3 aktiviert, die dann "Todessubstrate" freisetzt. Ist der Fas-Rezeptor defekt oder sind die Caspasen mutiert, verliert die Zelle die Fähigkeit zur Apoptose.
Doch die Apoptose kann auch über eine Aktivierung der Mitochondrien in Gang gesetzt werden. Bricht das Potenzial der Mitochondrienmembran zusammen, gelangen Faktoren wie Cytochrom C ins Zytosol. Über mehrere Stufen entsteht jetzt ein Apoptosom-Komplex, der wiederum Caspase-3 aktiviert, die den programmierten Zelltod einläutet. Als Regulatoren fungieren unter anderem Proteine der Bcl-Familie, die in die Mitochondrienmembran eingelagert sind. "Familienmitglieder" wie Bcl-2 oder Bcl-xL inhibieren Stoffe wie Bax, Bak oder Bid, die die Apoptose fördern. Werden in einer Zelle die Bcl-Proteine überexprimiert, nehmen Inhibitoren wie Bcl-2 überhand: Die Apoptose findet nicht mehr statt.
Eine ganze Reihe von Naturstoffen greift in die Apoptose ein. Vollmar nannte eine Auswahl: Betulinumsäure, Mistellektin, Helenalin, Epigallocatechin, Resveratrol, Curcumin, Genistein oder Boswelliasäuren. Diese Pflanzeninhaltsstoffe können die Apoptose auf vielerlei Wegen auslösen.
Der Eiben-Wirkstoff Paclitaxel blockiert bekanntlich den Zellzyklus in der Mitosephase die Zelle stirbt ab. Darüber hinaus induziert Paclitaxel den Zelltod durch Aktivierung einer Kinase (JNK), die Bcl-2 phosphoryliert und damit inaktiviert. Ist der Apoptose-Inhibitor kalt gestellt, kann der Zelltod ablaufen. Wichtig: Taxol bewirkt dies nur in Zellen, die sich in der Mitosephase befinden.
Doxorubicin interferiert nicht nur mit der DNA, sondern erhöht auch dosisabhängig die Konzentration des Fas-Rezeptors. Natürlich kann dieser Mechanismus nur in Zellen mit intaktem Fas-Rezeptor greifen. Mistellektin-1 spaltet die Procaspase-8 zu Caspase-8 und löst damit die Apoptose aus.
An den Mitochondrien greift Betulinumsäure an. Zumindest in vitro regt der Naturstoff die Mitochondrien zur Freisetzung von apoptogenen Faktoren an. Dieser Ansatz erscheint besonders wichtig bei Tumorzellen, die sowohl einen Defekt im Fas-Rezeptor als auch bei den Bcl-Proteinen haben.
Vollmars eigener Arbeitskreis untersucht die Effekte von Ajoen, einem Disulfid aus Knoblauch. Inkubiert man Leukämiezellen mit Ajoen (20 µM, 20 Stunden), bricht das Membranpotenzial der Mitochondrien zusammen, berichtete die Professorin. Die Freisetzung von Cytochrom C ins Zytosol konnte sie über Western-Blot-Analysen nachweisen. Die morphologischen Veränderungen wie die Kondensation des Kernchromatins kann man im Mikroskop verfolgen: Der Forscher wird Zeuge des Zellsterbens.
Der Zulauf war enorm: Mehr als 600 Wissenschaftler aus aller Welt kamen vom 11. bis 13.
Oktober zum dritten Internationalen Phytomedizin-Kongress nach München. Schwerpunktthemen
waren klinische Wirksamkeitsnachweise, die für etliche Phytopharmaka in kontrollierten
Doppelblindstudien erbracht wurden, die Entwicklung neuer Phytotherapeutika aus
Arzneipflanzen aus anderen Kulturkreisen und die Entwicklung molekularbiologischer
Methoden zum Massen-Screening von Heilpflanzen. Etwa 90 Prozent der Phytopharmaka, die in
den letzten zehn Jahren als Arzneimittel auf den Markt kamen, stammen aus deutscher
Firmen- und Hochschulforschung, betonte Tagungspräsident Professor Dr. Hildebert Wagner
bei der Eröffnungspressekonferenz. Gleiches gelte für Standardisierungsverfahren und
Pharmakokinetik-Studien. Auch in anderen Ländern würden diese Standards als Vorbild bei
der Entwicklung rationaler Phytopharmaka anerkannt.
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