Pharmazie
Magistralrezepturen sind aus den deutschen Apotheken nicht
wegzudenken. Darin waren sich sowohl Podium als auch die Zuhörer nach
einer Diskussion während des Expopharm-Kongresses am Sonntag, den 4.
Oktober im Münchner Kongreßzentrum einig. Dermatologen sollten jedoch
möglichst nur standardisierte und bewährte Rezepturen verordnen.
Fast 40 Prozent aller verordneten Arzneimittel werden in der Apotheke hergestellt;
bei den Externa sind es sogar 47,5 Prozent, berichtete PD Dr. Wolfgang Gehring,
Karlsruhe. Durch Inkompatibilitäten, die meist aus Rezeptur- und Herstellungsfehlern
resultieren, seien die Zubereitungen jedoch in eine kontroverse Diskussion geraten.
Apotheken sind besonders bei Rezepturen, die Tretinoin, Erythromycin und
Harnstoff enthalten, gefordert. Hier muß immer mit Stabilitätsschwierigkeiten
gerechnet werden.
Nach Meinung Gehrings sind Magistralrezepturen oftmals auch im Hinblick auf
Wirkstofffreigabe und penetration nicht wissenschaftlich abgesichert. Der Referent
warnte vor bedenklichen Inhaltsstoffen. Zum Beispiel Fabry-Spiritus enthalte Phenol
und Resorcin, die beide toxisch sind. Auch in Solutio Castellani sei Resorcin und
Chlorocresol verarbeitet.
"Es geht aber auch ohne bedenkliche Rezepturen", betonte Gehring.
Castellani-Lösung könne durch ethanolische Fuchsinlösung NRF oder eine
Mischung aus Chlorhexidingluconat (20 Prozent) und Ethanol (70 Prozent) ersetzt
werden.
Magistralrezepturen haben seiner Meinung nach auch Vorteile: Für manche
Therapiekonzepte gibt es häufig keine Fertigarzneimittel. Es fehle beispielsweise eine
lückenlose Dosierungsskala von Dithranol- oder Tetracyclin-Zubereitungen. Auch
die Wahl einer geeigneten Grundlage könne maßgeblich den Erfolg der Medikation
beeinflussen. Das Samenöl der Nachtkerze wird bei Neurodermitis atopica
eingesetzt. Gehring: Unsere Studienergebnisse belegen, daß das Öl besonders in
einer W/O-Emulsion nach längerer Anwendung positive Effekte zeigt."
Antibiotika durch Antiseptika ersetzen
Große Probleme bereiten den Dermatologen Antibiotika-Resistenzen. Bei
Akne-Patienten zeigten sich schon beim Erstkontakt 100prozentige Resistenzen
gegen Metronidazol. Nach einer achtwöchigen Therapie mit Erythromycin ließe auch
dessen Wirksamkeit deutlich nach. Antiseptika wie Triclosan seien deshalb eine
wichtige Alternative. "Es ist uns wichtig, immer mehr Antiseptika einzusetzen und so
Antibiotika einzusparen."
Gehrings klares Votum für Magistralrezepturen: Dermatologen sollten sichere
Rezepturen, zum Beispiel aus dem NRF, verordnen, auf bedenkliche Inhaltsstoffe
verzichten und Arzneistoffe einsetzen, deren Wirksamkeit belegt ist.
"Kein Argument ist derzeit so real, daß es geeignet wäre, ernsthaft am
Grundkonsens über die Notwendigkeit der dermatologischen Rezeptur zu zweifeln",
sagte auch Dr. Holger Reimann, Leiter Abteilung DAC/NRF im Govi-Verlag. Beide
Berufsgruppen, Dermatologen und Apotheker, müßten jedoch fortwährend die
fachliche Basis an den medizinischen Fortschritt und die GMP anpassen. Er
wünschte sich von den Hautärzten mehr Sensibiltät für galenische Probleme und
forderte auch die Pharmaindustrie auf, bei der Entwicklung neuer Rezepturen
mitzuarbeiten. Schließlich profitierten auch die Hersteller von bewährten und
etablierten Magistralrezepturen.
Magistralrezepturen hätten in Deutschland Tradition. Die Apotheker sollten darauf
nicht verzichten und dadurch eventuell Märkte verlieren. Schließlich beweise der
Pharmazeut so auch seine Kompetenz. "Wir stehen in Deutschland gut da, das muß
so bleiben."
In der anschließende Podiumsdiskussion berichtete Dr. Joachim von Essen,
niedergelassener Dermatologe aus Hamburg, von seiner guten Zusammenarbeit mit
Apothekern. Er habe in der Hansestadt eine Arbeitsgruppe gegründet. Hautärzte
könnten so ihre traditionellen Rezepturen auf Plausibilität prüfen lassen und mit ihren
Apothekern nach sinnvollen Alternativen suchen. "Ich kann jedem Dermatologen nur
raten, sich mit seinem örtlichen Apotheker an einen Tisch zu setzen."
Gerhard Reichert, Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbands, sagte, daß es
für die Apotheker nicht rentabel sei, Rezepturen herzustellen. Die Kosten würden
lange nicht gedeckt. Deshalb sei der Nachbau von Fertigarzneimitteln unsinnig. Auf
die Herstellung von Magistralrezepturen sollte dennoch keine Apotheke verzichten.
Von einer teilweise schlechten Geschäftspraxis in der Industrie sprach Dr. Hans
Walter Reinhardt, Stiefel, Offenbach. Die Pharmazeutischen Hersteller
überschwemmten die Dermatologen mit Rezepturvorschlägen, um ihre Produkte
verordnungsfähig zu machen. Dabei gingen viele Betriebe zu lasch mit dem Begriff
Stabilität um, gäben mitunter Ergebnisse auf der Zubereitung an, die nicht genau
geprüft seien. Bei den Apotheken fehle manchmal die nötige Sorgfalt.
Dr. Christian Pflugshaupt, Egerkingen, Schweiz, sagte, die Industrie sei gefordert,
moderne geeignete Vehikel zu entwickeln. Gerade in der Therapie der Akne und
Neurodermitis könne man auf Magistralrezepturen nicht verzichten. "Wenn es ein
passendes Fertigarzneimittel gibt, dann nehmen sie es bitte. Fehlt es, ist die Rezeptur
unersetzlich."
PZ-Artikel von Ulrich Brunner, München
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