Pharmazie
Ein ideales Antihypertensivum sollte den Blutdruck über 24 Stunden
senken, möglichst nicht kumulieren und weitgehend nebenwirkungsfrei sein.
Diesen Forderungen scheinen die Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten
nahezu gerecht zu werden. Ein neuer Vertreter aus der Reihe dieser auch
als AT1-Blocker bezeichneten Substanzen ist Irbesartan, das vor kurzem
europaweit die Zulassung zur Behandlung der Hypertonie erhielt.
Neu in der Therapie der Hypertonie ist mit Einführung der AT1-Blocker die
Möglichkeit einer wirksamen Blutdruckreduktion ohne Nebenwirkungen. Der Grund
dafür dürfte die hochselektive Bindung an den Angiotensin-Rezeptorsubtyp AT1
sein, womit verhindert wird, daß Angiotensin II seine pathophysiologische Wirkung
über diesen Rezeptor vermitteln kann.
Wie Professor Dr. Thomas Unger, Kiel, auf einem Satellitensymposium im Rahmen
des XIX. Kongresses der European Society of Cardiology in Stockholm erläuterte,
besitzen die AT1-Blocker die gleiche hämodynamische Wirkung wie die
ACE-Hemmer. Sie weisen jedoch einige Vorteile gegenüber diesen altbewährten
Substanzen auf:
O Im Gegensatz zu den ACE-Hemmern erhöhen AT1-Blocker nicht die
Bradykinin-Konzentration, was als Ursache für den typischen trockenen
ACE-Hemmer-Husten angesehen wird.
O Die AT1-Blocker hemmen auch das über ACE-unabhängige Synthesewege
gebildete Angiotensin II (zum Beispiel das über das Chymase synthetisierte),
welches unter ACE-Hemmertherapie unvermindert wirken kann.
O Die Blockade des AT1-Rezeptors geht aber auch nicht ganz spurlos vorbei. Ist
der Rezeptor besetzt, erhöht sich die Plasmakonzentration von Angiotensin II. Auch
dies wertete Unger als Vorteil, da nun Angiotensin II an einen anderen Rezeptor
vermehrt binden kann: den AT2-Rezeptor. Die Bindung von Angiotensin II an AT2
wirkt nämlich antagonistisch zur Bindung an den AT1-Rezeptor. Die erhöhte
AT2-vermittelte Aktivität von Angiotensin II könnte somit laut Unger die Wirkung
der AT1-Rezeptorblockade verstärken und für eine zusätzliche Vasodilatation
sorgen.
Besonderheiten des neuen Blutdrucksenkers
Irbesartan ist ein neuer Vertreter unter den AT1-Blockern, der gemeinsam von
Bristol-Myers Squibb und Sanofi entwickelt wurde (Karven, Aprovel). Unter den
Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten besitzt der Neuling die höchste, von der
Nahrungsaufnahme unabhängige Bioverfügbarkeit (60 bis 80 Prozent) sowie die
längste Halbwertszeit (11 bis 15 h) und kann daher als einmal tägliche Dosis
gegeben werden. Auch ist die Proteinbindung von Irbesartan unter den "Sartanen"
am niedrigsten. Laut L. M. Ruilope, Madrid, ist daher die Wahrscheinlichkeit
klinisch relevanter Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten geringer. Wie
Ruilope berichtete, wird Irbesartan auch von sehr hohen Angiotensinkonzentrationen
nicht vom Rezeptor verdrängt, da es sich um eine nicht-kompetitive Hemmung
handelt.
Bezüglich Nebenwirkungen gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen
Placebo und Irbesartan, wie mehrere placebokontrollierte Studien belegen.
Bemerkenswert sei außerdem die langfristige Wirksamkeit einer Monotherapie mit
Irbesartan. So konnte bei 69 Prozent von insgesamt 171 Patienten mit einem
durchschnittlichen diastolischen Blutdruck von 102 nach einer Therapiedauer von
zwölf Monaten der diastolische Blutdruck auf Werte unter 90 mmHg gesenkt
werden.
Irbesartan im Vergleich: besser verträglich
In Vergleichsstudien erwies sich Irbesartan als mindestens genauso effektiv wie
Atenolol, Amlodipin und Enalapril. Auffallend in allen Vergleichsstudien war jedoch
die wesentlich bessere Verträglichkeit des Angiotensin-II-Antagonisten. In der
Vergleichsstudie mit Amlodipin wurde deutlich, daß Irbesartan auch einen
renoprotektiven Effekt besitzt.
Kardioprotektive Wirkung nachgewiesen
Eine antihypertensive Therapie beginnt zwar mit der Reduktion des Bluthochdrucks.
Von einem modernen Antihypertensivum wird beute allerdings auch gefordert, daß
es kardioprotektiv ist. Da die Bindung von Angiotensin II an den AT1-Rezeptor
nicht nur vasokonstriktorisch wirkt, sondern auch wachstumsstimulierende Effekte
an Herz, Niere und Blutgefäßen in Gang setzt, sollte eine Blockade der
Angiotensinwirkung genau wie eine Reduktion der Angiotensin-II-Konzentration
(wie unter ACE-Hemmer-Therapie) eine Schutzfunktion haben.
Daß dies tatsächlich der Fall ist, hat die Vergleichsstudie mit Atenolol gezeigt: Nach
einer Therapiedauer von 48 Wochen konnte unter Irbesartan im Durchschnitt die
linksventrikuläre Masse stärker als unter Atenolol reduziert werden. Eine Regression
der Linksherzhypertrophie war laut H. Pouleur, Princeton/USA, unter Therapie mit
dem AT1-Blocker auch schneller zu erzielen. Dieses Ergebnis kam nicht durch eine
stärkere Blutdrucksenkung in der Irbesartangruppe zustande und muß daher auf
anderen Mechanismen beruhen.
PZ-Artikel von Anita Schweiger, Stockholm
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