Pharmazie
Mehr als die Hälfte aller Deutschen hat regelmäßig oder gelegentlich
Kopfschmerzen. Bei der Behandlung des Spannungskopfschmerzes stehen
rezeptfreie Medikamente im Vordergrund. Vor der Abgabe eines
Präparates sollte der Apotheker in jedem Fall klären, daß die Schmerzen
nicht das Symptom einer schweren Erkrankung sind, riet Profesor Dr.
Albrecht Ziegler, Pharmakologe an der Universität Kiel, auf dem
Fortbildungskongreß der Bundesapothekerkammer in Westerland.
Liege der Verdacht vor, daß der Kopfschmerz durch eine andere Krankheit
ausgelöst wurde, müsse der Patient unbedingt zum Arzt geschickt werden. Im
Prinzip seien Arzneimittel bei Spannungskopfschmerz nicht die Therapie der Wahl,
vor allem wenn er chronisch auftrete. Eine Verhaltenstherapie habe häufig eine
ebenso gute Wirkung wie Arzneimittel, aber keine Nebenwirkungen. Bei
chronischen Kopfschmerzen müsse auch berücksichtigt werden, daß die
regelmäßige Einnahme vieler Schmerzmittel selbst Kopfschmerzen auslöse.
Wenn Arzneimittel gegen Spannungkopfschmerz eingesetzt werden sollen, seien die
Cyclooxigenase(COX)-Hemmer wohl die wirksamsten Medikamente. Studien
deuteten darauf hin, daß Ibuprofen oder ASS die Schmerzen zuverlässiger
beseitigen als Paracetamol. Wenn ein Patient Probleme mit dem Magen habe, sollte
auf den Einsatz der COX-Hemmer allerdings verzichtet werden, führte Ziegler aus.
Bei der Abgabe von Paracetamol dürfe der Apotheker nicht vergessen, auf die
starke Hepatotoxizität bei Überdosierung hinzuweisen.
Wenn Paracetamol und COX-Hemmer versagen, stehen auch trizyklische
Antidepressiva für die Therapie zur Verfügung. In erster Linie werde aus dieser
Substanzklasse Amitryptilin verordnet, so Ziegler. Das Medikament ist jedoch nicht
nur ein Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, sondern blockiert
auch alpha1-, Acetylcholin- und Histaminrezeptoren. Diese Interaktionen lösen die
Nebenwirkungen (unter anderem Schwindel, Benommenheit, Obstipation und
Mundtrockenheit) aus.
Migräne: Aus Kostengründen oft nicht das beste Medikament
Nach den Empfehlungen der Deutschen Migränegesellschaft und der Internationalen
Kopfschmerzgesellschaft sind bei Migräne Acetylsalicylsäure und Paracetamol
Mittel der ersten Wahl. Da bei einem Migräneanfall die Peristaltik im oberen
Gastrointestinaltrakt beeinträchtigt und somit die Resorption der Arzneistoffe
behindert werde, sei es sinnvoll, zehn Minuten vor der Einnahme der Analgetika ein
auch prokinetisch wirksames Antiemetikum (Domperidon oder Metoclopramid)
einzunehmen, rät Ziegler. Er präferiert Domperidon, da es deutlich weniger
Nebenwirkungen habe als Metoclopramid. Leider sei es jedoch teurer und werde
deshalb oft nicht verordnet. Ähnlich verhalte es sich mit den beiden
5HT1D(Serotonin)-Agonisten Ergotamin und Sumatriptan. Auch hier werden die
preiswerteren Substanzen Ergotamin und Dihydroergotamin dem innovativen
Sumatriptan aus Kostengründen vorgezogen. Das Secale-Alkaloid Ergotamin hat
nämlich neben seiner agonistischen Wirkung an den 5HT1D-Rezeptoren auch eine
hohe Affinität zu zwei weiteren Serotonin-Rezeptoren (1A und 2) sowie zu
Dopamin- und Noradrenalinrezeptoren.
Diese bedinge eine Zahl von Nebenwirkungen, kritisierte Ziegler. Besonders
bedenklich sei der langanhaltende Effekt von Ergotamin, der nicht über die
Rezeptorbindung verursacht wird, sondern auf eine Schädigung des Gefäßendothels
zurückzuführen ist, wie Ziegler in Tierversuchen nachgewiesen hat. Die Schädigung
des Gefäßendothels, in dem der Vasodilatator Stickstoffmonoxid (NO) synthetisiert
wird, führe zu einer langfristigen Erhöhung des Blutdrucks. Zieglers Fazit: "Ergotamin
ist ein 'dirty Drug'". Um Schädigungen am Gefäßendothel zu vermeiden, sollte die
Substanz nicht häufiger als zweimal pro Monat eingesetzt werden.
Dagegen greift Sumatriptan selektiv am 5HT1D-Rezeptor an, hinzu kommt lediglich
eine geringe Affinität zu den 1A-Rezeptoren. Bekannte Nebenwirkungen sind
Schmerzen an der Einstichstelle und ein Gefühl der Enge über der Brust.
Bildgebende Verfahren und das Belastungs-EKG lieferten aber keine Hinweise auf
eine tatsächliche Verengung der Gefäße. Möglicherweise sei diese Empfindung mit
einer Stimulierung der Ösophagusperistaltik zu erklären. Trotzdem müsse dieses
Phänomen ernstgenommen werden, da es den Patienten psychisch belaste.
Ziegler erwartet für dieses und das kommende Jahr eine Vielzahl neuer Triptane. Mit
Zolmitriptan und Naratriptan sind zwei bereits auf dem Markt. Nach Einschätzung
des Pharmakologen handelt es sich dabei vorwiegend um "me-too"-Präparate. Es
zeichne sich bislang nicht ab, "daß einer der neuen Wirkstoffe prinzipielle Vorteile
gegenüber Sumatriptan hat".
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Westerland
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