Pharmazie
Der Apothekerverband Nierdersachsen hat ein Modell entwickelt, wie
Apotheker gemeinsam mit Ärzten das Arzneimittelbudget steuern können:
Die Ärzte werden aktuell über den Stand der Budgetausschöpfung
informiert, wodurch ein angstgesteuertes irrationales Verordnungsverhalten
vermieden werden soll.
"Der Apotheker muß sich noch mehr in das Gesundheitswesen einmischen", forderte
Heinz-Günter Wolf, Vorsitzender des Niedersächsischen Apothekerverbandes, auf
dem Fortbildungskongreß der Bundesapothekerkammer (BAK) in Westerland.
Wenn sich die Apotheker in Zurückhaltung übten, liefen sie Gefahr, schrittweise aus
der Arzneimittelversorgung herausgedrängt zu werden. Die heute bekannten
Modellversuche hätten eines gemeinsam: Sie laufen ohne Apotheker, obwohl sie sein
Arbeitsfeld tangieren. Und auch das Ziel sei bei allen Modellen gleich: Sparen auf
Kosten anderer.
Die Zahlen aus dem ersten Halbjahr 1997 deuteten darauf hin, daß bis zum
Jahresende in zahlreichen KV-Bezirken das Budget überschritten werde. Lediglich
in 6 von 24 Gebieten lägen die Verordnungen im vorgeschriebenen Budgetrahmen,
so Wolf. Verschärft werde die Situation dadurch, daß Ärzte und Krankenkassen in
einigen KV-Bezirken Budgetunterschreitungen vereinbart hätten, um
Überschreitungen aus den vergangenen Jahren zu kompensieren und Regresse zu
vermeiden. Die prekäre Situation verunsichere viele Ärzte und führe zu einem
irrationalen Verordnungsverhalten. Dies wolle der Apothekerverband
Niedersachsen verhindern, indem er die Ärzte monatlich über ihre individuellen
Verordnungen informiert, erläuterte Wolf weiter. Denjenigen Ärzten, die auf eine
Wirtschaftlichkeitsprüfung zusteuern, sollen Apotheker ihres Vertrauens Wege
aufgezeigt werden, wie die Arzneimittel ökonomischer und gleichzeitig effizienter
eingesetzt werden können.
Im einzelnen sieht das Niedersachsen-Modelll vor, daß die Apotheker über das
Norddeutsche Apotheken-Rechenzentrum (NARZ) fachgruppenspezifische
Monatsdaten über die verordneten Arzneimittel an die Ärzteschaft liefern. Zusätzlich
erhalten die einzelnen Ärzte Monatsauswertungen, in denen Brutto- und Nettowerte
ihrer Verordnungen aufgelistet sind.
Mit dem Einverständnis des betreffenden Arztes kann auch eine Apotheke Daten
über die ärztlichen Verordnungen beim NARZ anfordern. Der Apotheker erhält
allerdings nur die Daten über die Verordnungen in seiner Apotheke. Nach Wolfs
Einschätzung sind für eine Analyse des Verordnungsverhaltens und ein fundiertes
Beratungsgespräch mit dem Arzt 20 bis 30 Prozent der Rezepte einer Praxis
ausreichend. In vielen Großstadtapotheken werde wohl auch dieser Wert nicht
erreicht, räumte Wolf ein. Er sehe jedoch keinen Grund dafür, warum dieses
ungelöste Problem verhindern solle, das Niedersachsen-Modell dort anzuwenden,
wo es funktionieren kann.
Neben der Vereinbarung über die Datenlieferung an Ärzte sieht das
Niedersachsen-Modell auch eine Vereinbarung über die Aut-idem-Substitution in
der Apotheke vor. So sollen mit den Krankenkassen Regelungen zur
Aut-idem-Auswahl getroffen werden. Das vom Apothekerverband Niedersachsen
vorbereitete Vertragswerk sieht vor, daß Apothekern mindestens fünf Medikamente
aus jeder Festbetragsgruppe zur Auswahl stehen und zusätzlich alle Medikamente,
deren Preis im unteren Drittel der Festbetragsgruppe liegt. Der Apotheker
verpflichtet sich, kein teureres Medikament abzugeben, als der Arzt verordnet hat,
es sei denn, der Preis des verordneten Medikamentes liegt im unteren Viertel der
Festbetragsgruppe. Wolf betonte, daß sein Verband keine Aut-idem-Quote
anstrebe. "Aut idem muß das Resultat eines vertrauensbildenden Prozesses zwischen
Ärzten und Apothekern sein."
Keine Regeln ohne Ausnahmen
Wichtig seien die ebenfalls vom Apothekerverband geforderten
Ausnahmeregelungen im angestrebten Vertragswerk, nach denen der Apotheker aus
pharmazeutischen Erwägungen auch andere Medikamente abgeben darf, etwa wenn
Complianceprobleme zu erwarten seien oder wenn der Apotheker qualitative
Bedenken gegen eines oder mehrere Präparate habe. Letzteres hält Wolf für
selbstverständlich, denn als Heilberufler sei der Apotheker grundsätzlich dazu
verpflichtet, auf eine angemessene Qualität der Therapie zu achten. Diese
Ausnahmeregelungen treffen bei den Krankenkassen bislang auf wenig Sympathie.
Wolf will hier jedoch in keinem Fall nachgeben: "Wir werden keinen Vertrag ohne
die Ausnahmeregelungen unterschreiben."
Die in den vergangenen Wochen geübte Kritik an seinen Vorschlägen kann Wolf
nicht nachvollziehen. Sein Verband bewege sich hier im Rahmen der These 1 des
ABDA-Konzeptes (Verbesserung der Qualität und Sicherheit durch
Arzneimittelauswahl) von 1993 und der Petersberger DAV-Empfehlung
(Aufforderung an die Landesorganisationen, sich in das Budget- und
Richtgrößenmanagement einzubringen).
Wolf hält ein stärkeres Engagement des Berufsstandes bei wirtschaftlichen Fragen
für unabdingbar. "Pharmazeutische Mitgestaltung ist nur möglich, wenn wir
pharmazeutische Mitverantwortung übernehmen." Das Ziel des Niedersachsen
-Modells sei die Institutionalisierung der Rolle des Apothekers. Auch wenn, wie er
einräumt, noch nicht alle Detailfragen zur Aufbereitung und Analyse von
Verordnungsdaten geklärt seien, sollten die Apotheker jetzt ihr Wissen dafür
einsetzen, den Budgetrahmen auf qualitativ hohem Niveau einzuhalten. Passivität sei
in der augenblicklichen Situation gefährlich, denn auch andere seien daran
interessiert, den Arzt in seinem Verordnungsverhalten zu beraten. Wolf: "Wenn wir
nichts tun, bedeutet das nicht, daß sich nichts verändert."
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Westerland
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