Pharmazie
Lange reichte das Spektrum der Antibiotika aus. Doch die Meldungen
über multiresistente Keime nehmen zu. Statt sich auf den Lorbeeren der
vergangenen Jahrzehnte auszuruhen, sind dringend neue Ideen gefragt. An
einem neuen Hoffnungsträger arbeiten die Wissenschaftler der Universität
Bonn. Mersacidin, ein Peptid aus der Gruppe der Typ-B-Lantibiotika, ist im
Tierversuch mindestens so effektiv gegen multiresistente Staphylokokken
wie Vancomycin.
Lantibiotika sind Peptide, die von verschiedenen Bakterienstämmen produziert
werden. Namensgeber dieser Gruppe ist die Aminosäure Lanthionin, die nach
Synthese der Eiweißkette durch Verknüpfung zweier Alaninmoleküle entsteht. Diese
posttranslationale Umwandlung ist für alle Lantibiotika charakteristisch. Ein ganzer
Satz teilweise sehr spezifischer Enzyme modifiziert viele Aminosäuren des
Präpeptids durch Dehydrierung, Bildung von Thioethern oder Proteolyse.
Die fertigen Peptide werden je nach ihrer Struktur in zwei Gruppen eingeteilt:
Lantibiotika vom Typ A sind langkettig und gering verbrückt. Bekanntester Vertreter
ist Nisin, ein Konservierungsmittel. Es wird von Laktokokken produziert und schon
seit Jahrzehnten in der Milchwirtschaft eingesetzt. In Deutschland allerdings werde
Nisin als Antibiotikum eingestuft, der Einsatz in der Lebensmittelindustrie sei
verboten, erklärte Professor Dr. Hans-Georg Sahl vom Institut für Medizinische
Mikrobiologie und Immunologie der Universität Bonn. Nisin bildet Poren in der
Zellmembran. Die Zellwand kann keine Ionen- oder Metaboliten-Gradienten mehr
aufrechterhalten.
Lantibiotika von Typ B falten sich stärker zusammen, sie sind dichter und kugeliger.
Hauptvertreter ist Mersacidin, das von Bacillus-Stämmen produziert wird.
Mersacidin bildet keine Poren, sondern verringert die Dicke der Zellwand oder löst
sie ganz auf. Es hemmt die Peptidoglykansynthese, indem es den Einbau von
Glucose und D-Alanin in die Zellwand verhindert.
Mersacidin wirkt gegen multi- und methicillinresistente Stämme von Staphylokokkus
aureus. An Ratten und Mäusen wirkte Mersacidin sogar effektiver als Vancomycin.
Sahl: "Es gibt zwar Toxizitätsstudien, am Menschen wurde die Wirkung bisher
jedoch nicht untersucht." Der Wissenschaftler glaubt aber, daß das Protein als
Medikament gut geeignet wäre. Es habe keine antigene Komponente, sei sehr stabil
gegen Proteasen und bilde auch keine Kreuzresistenzen mit Vancomycin oder
Lantibiotika wie Nisin. Da es fast ausschließlich gegen Staphylokokken wirke,
werde die natürliche Bakterienflora wenig beeinträchtigt.
Dennoch ist Mersacidin für die Firmen zur Zeit nur bedingt interessant. Sahl
formulierte das so: "Mersacidin bringt Probleme, weil das Spektrum so eng ist, daß
die Entwicklungskosten nur schlecht wieder eingespielt werden können." Die Bonner
Wissenschaftler gehen daher einen anderen Weg. Sie modifizieren das Molekül, um
das Wirkungsspektrum zu erweitern. Da es sich um ein Protein handelt, entstehen
neue Varianten direkt durch gezielte Mutagenese. Das spare den Weg der
chemischen Modifikation, sagte Sahl. Wünschenswert wäre zum Beispiel, zusätzlich
eine Wirkung gegen Enterokokken zu erreichen. Auch unter diesen Bakterien finden
sich einige Problemkeime der Infektiologen.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Eschborn
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