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Biotin hilft nur den Nägeln

Datum 07.09.1998  00:00 Uhr

- Pharmazie

Govi-Verlag

Biotin hilft nur den Nägeln

Der therapeutische Nutzen von Biotin bei reduzierter Nagelqualität, unabhängig von einem Biotinmangel, gilt als gesichert. Der Effekt des Vitamins bei Keratinisierungsstörungen der Haut und beim Haarausfall ist dagegen bisher nicht belegt, da keinerlei Untersuchungen vorliegen, die strengen wissenschaftlichen Kriterien standhalten.

Biotin hat für den Menschen essentiellen Charakter und kann somit als Vitamin angesehen werden. Für Biotin werden in der Literatur als Synonyme Vitamin H, Hautvitamin, Coenzym R und antiseborrhoisches Vitamin verwendet. Chemisch handelt es sich um ein bizyklisches Harnstoffderivat mit einem Imidazolidon- und einem Thiophan-Ring. Biotin dient verschiedenen Enzymen als prosthetische Gruppe bei Carboxylierungsreaktionen und spielt dadurch eine essentielle Rolle bei der Glukoneogenese, der Lipogenese, der Fettsäuresynthese, im Propionatmetabolismus und beim Abbau von Leucin. Es stimuliert die Differenzierung der epidermalen Zellen, so daß eine Wirkung auf die Keratinstrukturen von Haut, Haaren und Nägeln angenommen werden kann.

Bakterien, Pilzen, höhere Pflanzen und tierisches Gewebe - vor allem Leber und Niere - enthalten Biotin. Lebensmittel, die das Vitamin enthalten, sind: Eidotter, Hefe, Sojabohnen, Erdnüsse, Haferflocken, Sardinen, Blumenkohl und Linsen. Die Resorption von freiem Biotin erfolgt bereits im oberen Dünndarm, von dort verteilt es sich auf alle Organe. Dabei passiert das Molekül die Dünndarmwand unverändert. Die Aufnahme erfolgt in Abhängigkeit von der Konzentration durch Diffusion und durch aktiven Transport.

Klinische Effekte von Biotin sind aus der Tiermedizin bestens bekannt. Beim Huhn äußert sich Biotinmangel durch Schäden an Haut und Krallen. Beim Schwein treten Dermatitis, Verlust der Borsten, Klauenrisse und brüchige Hufen auf. Pferde zeigen bei Biotinmangel Hufhorndefekte, die sich durch sprödes, bröckelndes Horn, Ausbrüche am Tragrand und Hufdeformationen darstellen. Nach einer Biotintherapie über 9 bis 12 Monaten mit 5 mg pro 150 kg Körpergewicht täglich zeigten 63 Prozent aller behandelten Pferde eine völlige Heilung. Dabei zeigte sich, daß Biotin keinen Einfluß auf die Quantität der Epidermiszellen, sondern nur auf deren Qualität ausübt. Übertragen auf den Menschen, sind Effekte von Biotin bei Keratinisierungsstörungen der Haut, Haare und Nägel möglich.

Biotin bei der Behandlung von Hautkrankheiten

Mitteilungen über den Effekt von Biotin bei Hautkrankheiten finden sich in der Literatur nur spärlich. Kontrollierte Studien liegen nicht vor. Im Vordergrund der Beobachtungen steht das seborrhoische Ekzem. Man geht davon aus, bei 80 Prozent der Patienten mit Seborrhoe einen erniedrigten Biotinspiegel vorzufinden, der auf einen multiplen Carboxylase-Mangel zurückzuführen ist. Eigene Untersuchungen sprechen eher gegen diese Annahme. In einem gemischten Kollektiv von 60 Seborrhoikern und Sebostatikern fanden wir in keinem Fall einen pathologisch erniedrigten Biotinspiegel im Plasma. Messaritakis hat 25 Kinder mit seborrhoischer Dermatitis mit 5 mg Biotin pro Tag behandelt und gibt klinische Besserung an. Es wird hervorgehoben, daß während einer bis auf 27 Monate ausgedehnten Nachbeobachtungszeit keine Rezidive aufgetreten sind.

Allerdings ist die kindliche seborrhoische Dermatitis eine Erkrankung Neugeborener in den ersten drei Lebensmonaten. Da kontrollierte Studien zum Effekt von Biotin bei schuppenden Hauterkrankungen bisher fehlen, bleibt die Frage nach dem therapeutischen Nutzen von Biotin vorerst offen.

Zum Einfluß von Biotin bei Haarkrankheiten finden sich in der Literatur einzelne kasuistische Berichte. Calvieri weist auf einen Fall von Biotinidase-Mangel hin, der sich an den Haaren als Trichorrhexis nodosa äußerte. Unter Biotin-Therapie bildeten sich die pathologischen Veränderungen an den Haaren vollständig zurück. Charles beschreibt den Fall einer Alopezie bei einem zehn Monate alten Jungen mit Biotinidase-Mangel, die sich nach Biotingabe besserte.

Unabhängig von Biotinmangel empfiehlt Floersheim die Behandlung von Haarausfall mit Biotin. Bei der Untersuchung von 65 Frauen und 28 Männern mit Haarausfall wird eine deutliche Besserung in 64 Prozent der Fälle angegeben. Jedoch weist die Studie von Floersheim erhebliche methodische Mängel auf, die letztlich eine wissenschaftlich validierte Aussage nicht zulassen.

In die Untersuchung wurden Patienten aufgenommen, die wegen des Symptoms Haarausfall und/oder verminderter Haarqualität eine hautärztliche Praxis aufgesucht hatten. Eine strenge Unterscheidung verschiedener Formen von Haarausfall wurde beim Einschluß der Probanden nicht gemacht. Floersheim diagnostizierte vorwiegend ein androgenetisches Effluvium. Bei einzelnen Fällen war die Alopezie nach Angaben des Autors nicht eindeutig klassifizierbar oder mit Diagnosen wie Alopecia areata beziehungsweise Pseudopelade Brocq assoziiert. Die Inhomogenität des Kollektives ist bei einer Therapiestudie nicht akzeptabel, da den einzelnen Formen des Haarausfalles unterschiedliche pathogenetische Ursachen zugrunde liegen.

Ein weiterer gravierender methodischer Mangel bei der obengenannten Studie liegt in der Tatsache, daß die Diagnose des Haarausfalles nur anhand anamnestischer Angaben der Probanden gestellt wurde. Die klinische Verdachtsdiagnose wurde nicht im Trichogramm überprüft.

Genauso unzulänglich wurden die klinischen Effekte nach Einnahme von Biotin dokumentiert. Als Therapieerfolg wurde lediglich die positive Wertung durch den Probanden im Ja/Nein-Verfahren gewertet. Selbsteinschätzungen durch den Betroffenen sind erfahrungsgemäß sehr unzuverlässig und sollten zumindest im Kollektivvergleich durch Gabe von Placebo kontrolliert werden.

Ein zusätzlicher Mangel der Untersuchung von Floersheim liegt darin, daß im Kollektiv der 93 eingeschlossenen Personen mit Haarausfall zehn Probanden zusätzlich zum Biotin Präparate verwendeten, von denen ein positiver Effekt auf das Haarwachstum zu erwarten ist. Im einzelnen handelte es sich um Crinohermal® FEM, Triaktivin®, Pentadecan® und Diane®. Einige verwendeten sogar mehrere der genannten Präparate gleichzeitig.

Biotin und Nagelqualität

Anders als bei der Behandlung von Hautproblemen und von Haarausfall kann der therapeutische Nutzen der oralen Gabe von Biotin bei reduzierter Nagelqualität als gesichert betrachtet werden. Sebastian befand in einer offenen klinischen Studie Biotin als effektiv. Wir konnten bei 60 Probanden in einer randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Studie anhand meßtechnischer und klinischer Parameter eine Wirkung von 2,5 mg Biotin täglich bei spröden und brüchigen Fingernägeln nachweisen. Als Parameter für die Beurteilung der Nagelqualität dienten neben dem Quellverhalten des Nagels auf Natronlauge die klinische Beurteilung durch den Arzt und den Probanden.

Das Quellverhalten von Nagelkeratin auf Natronlauge gilt als sensibler Parameter für die Nagelqualität. Dieses Verfahren hat sich bei klinischen Untersuchungen bewährt.

Das mit Biotin behandelte Kollektiv hebt sich nicht nur durch das verbesserte Quellverhalten des Nagels ab. Auch die Probanden selbst und die mit Placebo behandelte Gruppe beurteilten den Effekt positiv. Erwähnenswert ist, daß der positive Einfluß von Biotin nicht an einen Mangel gebunden ist. Bei keinem unserer Probanden konnte trotz reduzierter Nagelqualität ein Biotin-Defizit festgestellt werden. Damit unterstreichen unsere Untersuchungen die Beobachtung von Sebastian und Bartel, die zu ähnlichem Ergebnis bei einer reinen klinischen Beobachtung kamen.

PZ-Artikel von Wolfgang Gehring, , Bietigheim
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