Pharmazie
Kegelschnecken sind Räuber. Die meisten Arten der Gattung Conus
lauern in den Korallenriffen des Indopazifiks und attackieren ihre Opfer,
kleine Fische, mit giftigen Harpunen. Die Beute wird von Krämpfen
geschüttelt und sinkt dann gelähmt zu Boden. Die Nervengifte dieser
heimtückischen Unterwasserjäger, kleine Eiweißmoleküle aus 20 bis 30
Aminosäuren, beschäftigen seit einigen Jahren auch die pharmazeutische
Industrie.
Es war ein Außenseiter, die Neurex Corporation, der sich von den neuen
Conotoxinen wirtschaftlichen Erfolg versprach. Das kalifornische
Biotechnologieunternehmen hoffte auf neue Schmerzmittel. Auch Medikamente, die
die Nervenzellen bei Schlaganfällen oder Schädel-Hirn-Traumen vor dem Untergang
schützen, schienen möglich.
Die Forschung an den Schneckengiften beginnt sich nun auszuzahlen: Auch wenn
noch immer Verluste im zweistelligen Millionenbereich anfallen, Neurex ist
mittlerweile arriviert und hat einen Börsenwert von etwa 700 Millionen US-Dollar.
Die Fusion mit der irischen Pharmagruppe Elan, einem Spezialisten für innovative
Arzneiformen, soll die Märkte außerhalb Amerikas erschließen helfen. Das
Unternehmen bringt einen Wirkstoff mit in die Ehe, der die Behandlung schwerer
Schmerzzustände revolutionieren könnte. Ziconotide oder SNX-111, ein Peptid aus
24 Aminosäuren, blockiert gezielt eine bestimmte Gruppe von Calciumkanälen, die
nur in Nervenzellen vorkommen. Die Schmerzbotschaft erreicht das Gehirn nicht.
Vor allem Krebspatienten im Endstadium könnte der Schmerzblocker aus dem Gift
der Kegelschnecke Conus magus noch lebenswerte Monate schenken. Sie wären
nicht mehr auf hohe Opiatdosen angewiesen, die die Kranken oft in einen
Dämmerzustand sinken lassen. Auch Patienten, die manchmal ohne ersichtlichen
Grund an chronischen Schmerzen leiden und in speziellen Schmerzambulanzen häufig
vergeblich Rat und Hilfe suchen, bekämen eine neue Chance auf eine lebenswerte
Zukunft.
"100- bis 1000fach wirksamer als Morphin", befand "Der Spiegel" und führte das
neue Medikament als Beispiel an für innovative Heilmittel aus dem kaum erforschten
Genreservoir der Ozeane. Tatsache ist, Ziconotide hat in einer kürzlich
abgeschlossenen klinischen Studie an 111 Patienten, zumeist Krebskranken mit
schwer beherrschbaren Schmerzen, seine Wirksamkeit bewiesen. Auch wenn
Opiate versagt hatten, das Mittel half. Allerdings, trotz überzeugender
Wirksamkeits- und Verträglichkeitsvorteile: Ziconotide wird die ungeliebten
Opiatanalgetika nicht ersetzten können, denn die Therapie ist aufwendig und teuer.
Der Peptidwirkstoff kann nicht oral verabreicht werden. Erst die intrathekale
Anwendung direkt am Rückenmark gewährleistet die optimale Wirkung. Neurex
baut deshalb auf ein Bündnis mit dem Medizingerätehersteller Medtronic. Der liefert
ein implantierbares Pumpensystem, das eine komfortable Anwendung von
Ziconotide ermöglicht.
Dauerschmerzen bei Neuropathien, etwa ein anhaltendes Brennen in Armen und
Beinen, das durch nichts zu vertreiben ist, sind offenbar ein weiterer Markt für das
Schneckentoxin, jedenfalls nach den Zwischenergebnissen einer zweiten Studie an
bisher 250 Patienten. Paul Goddard, Vorstand von Neurex, hofft darauf, Ziconotide
spätestens Mitte 1999 vermarkten zu können. Im Wege eines Einzelimports stünde
das Präparat dann auch deutschen Schmerzpatienten zur Verfügung.
PZ-Artikel von Win Chit Oo, Martin Baumgärtner, Erlangen
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