Pharmazie
Am 15. Juli erhielt ein neuer Thrombozyten-Funktionsbemmer die
Zulassung der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA. Clopidogrel ist
indiziert zur Sekundärprophylaxe bei Patienten mit symptomatischer
Atherosklerose, sprich: nach ischämischem Schlaganfall, Herzinfarkt oder
bei nachgewiesener peripherer arterieller Verschlußkrankheit (pAVK).
Der Effekt des Thienopyridins, das strukturell stark dem Ticlopidin ähnelt, wurde
1996 in der CAPRIE-Studie gezeigtr. Das Kürzel steht für "Clopidogrel versus
Aspirin in Patients at Risk of Ischaemic Events". 19.185 Teilnehmer mit Herzinfarkt,
ischämischem Schlaganfall oder symptomatischer pAVK erhielten entweder 75 mg
Clopidogrel oder 325 mg Acetylsalicylsäure (ASS) über durchschnittlich 1,9 Jahre.
Primäre Endpunkte der Phase-III-Studie waren ischämischer Insult, Herzinfarkt
oder Tod durch ein vaskuläres Ereignis.
Clopidogrel reduzierte das relative Risiko um 8,7 Prozent über die für ASS
anerkannten 25 Prozent hinaus, resümierte Professor Dr. Curt Diehm vom
Akademischen Lehrkrankenhaus der Universität Heidelberg bei der
Einführungspressekonferenz Ende Juli in München (Iscover
®, Bristol-Myers
Squibb, und Plavix
®, Sanofi). Pro 1000 Patientenjahre verhinderten ASS 19 und
Clopidogrel 24 ischämische Ereignisse. Der geringe, aber statistisch signifikante
Unterschied zugunsten von Clopidogrel war vor allem auf die Patienten
zurückzuführen, die aufgrund einer pAVK an der Studie teilnahmen.
Beide Arzneistoffe waren gut verträglich, jedoch traten Blutungen unter ASS
häufiger auf, obwohl Patienten mit Unverträglichkeit ausgeschlossen waren.
Neutropenien, die bei Einnahme von Ticlopidin anfangs regelmäßige
Blutbildkontrollen erfordern, waren unter Clopidogrel nicht häufiger als unter ASS.
ADP-Rezeptor wird irreversibel blockiert
Clopidogrel ist ein Prodrug. Erst seit kurzem ist der aktive Metabolit bekannt. Das
Thiol-Derivat hemmt die Bindung von Adenosindiphosphat (ADP) an membranäre
Thrombozytenrezeptoren und damit die ADP-vermittelte Aktivierung des
GPIIb/IIIa-Rezeptors, der über Fibrinogenbrücken dann die
Thrombozytenvernetzung (Aggregation) in Gang setzt.
Dabei wird von den drei derzeit bekannten Rezeptortypen vermutlich nur ein
P
2Y-Subtyp blockiert, erläuterte Dr. Wolfgang Zierhut von Bristol-Myers Squibb.
Die ADP-induzierte Aggregation wird daher nicht vollständig, sondern zu maximal
40 bis 60 Prozent gehemmt. Die Adhäsion von Blutplättchen an geschädigtes
Endothel wird kaum beeinflußt. Clopidogrel reagiert weder mit der Cyclooxigenase
noch mit der Thromboxan-Synthetase.
Da die Rezeptormodifikation irreversibel ist, dauert es nach Absetzen der
Medikation, zum Beispiel vor einer Operation, fünf bis sieben Tage bis zur
Wiederherstellung der Thrombozytenfunktion. Eine rasche Normalisierung der
Blutungszeit ist nur durch Plättcheninfusion möglich.
Die Wirkung wird weder durch Geschlecht, Alter oder Nahrungsaufnahme
beeinflußt, erklärte Zierhut. Es bestehe keine klinisch signifikante Wechselwirkung
mit Digoxin, Cimetidin, Nifedipin, Atenolol, Phenobarbital und Antacida. Der
Arzneistoff wird zu etwa 50 Prozent resorbiert, rasch in der Leber metabolisiert und
via Leber und Niere ausgeschieden.
Abgrenzung noch unklar
Noch nicht endgültig geklärt ist die Abgrenzung der drei
Thrombozytenfunktionshemmer. Es gibt derzeit keine Studie, die Ticlopidin und
Clopidogrel vergleicht. Dennoch sieht Professor Dr. Karl Einhäupl von der
Neurologischen Klinik der Humboldt-Universität Berlin Vorteile für den neuen Stoff,
da er das Blutbild nicht verändert und weniger gastrointestinale Blutungen auslöst.
Bei Sekundärversagen oder Kontraindikationen gegenüber ASS würde er daher
Clopidogrel einsetzen.
Patienten mit generalisierter Atherosklerose profitieren nach Aussage des
Kardiologen Privatdozent Dr. Harald Darius, Universität Mainz, besonders von dem
neuen Stoff. Als positiv wertete er, daß der Nutzen von Clopidogrel bei
atherosklerotischen Veränderungen in allen Gefäßbereichen - Gehirn, Herz und
peripher - nachgewiesen sei.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, München
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