Pharmazie
Früher setzte die Diagnose Osteoporose mindestens eine atraumatische
Wirbelfraktur voraus. Nach aktueller Definition ist entscheidendes
Kriterium eine signifikant verminderte Knochenmasse mit verschlechterter
Knochengewebsarchitektur und erhöhtem Bruchrisiko bei minimalem
Trauma.
Die Folgen dieses Begriffswandels: Diagnoseverfahren, die neben der
Knochendichte auch die Knochenqualität ermitteln können, gewinnen an Bedeutung.
Außerdem empfehlen Orthopäden neue Strategien für die medikamentöse
Behandlung.
Ausreichende Calcium- und Vitamin-D-Zufuhr, Bewegung sowie Gymnastik mit
Sturzprophylaxe bilden die Basis der Osteroporosetherapie. Zusätzlich stehen
osteoanabole Fluoride und antiresorptiv wirksame Arzneistoffe wie die
Biphosphonate Etidronat und Alendronat sowie Estrogene, Calcitonine und
Calciumsalze zur Verfügung.
Bisher erhalten Patienten, bei denen aufgrund von Lebensalter und Pathogenese ein
erhöhter Knochenumbau anzunehmen ist, Antiresorptiva. Sie lassen die
Knochendichte leicht ansteigen, bis nach spätestens einem Jahr ein Plateau erreicht
ist. Patienten mit vermutlich geringem Knochenumbau erhalten Fluoride, vor allem
wenn ein starker osteoanaboler Effekt erforderlich ist. Fluoride wirken langanhaltend
osteoblastenstimulierend.
Große internationale Studien bringen diese Therapieempfehlungen ins Wanken:
Beide Substanzgruppen erzielten unabhängig von Knochenumbau, Lebensalter und
Pathogenese bei allen Osteoporoseformen Therapieerfolge. Deshalb soll die
Entscheidung "Wann Biphosphonate, wann Fluoride" nach Meinung von Professor
Dr. Johann Ringe vom Klinikum Leverkusen durch den individuellen Befund des
Patienten bestimmt werden. Wobei die Erfahrung des Arztes und ökonomische
Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Zugelassen sind Biphosphonate zur Behandlung
postmenopausaler Osteoporose, Fluoride für die Therapie aller Osteoporoseformen.
"Klinische Parameter erleichtern die Entscheidung", sagte Ringe während eines von
Opfermann-Arzneimittel veranstalteten Workshops in Baden-Baden. Eine
Antiresorptiva-Therapie mit Biphosphonaten mit anschließender Fluoridbehandlung
sei sinnvoll bei Patienten mit hohem Knochenumbau wie jüngeren postmenopausalen
Frauen oder während einer hochdosierten Corticoidbehandlung. Zehn bis fünfzehn
Jahre nach der Menopause sowie während einer niedrig dosierten Corticoidtherapie
oder nach Absetzen einer Corticoidtherapie ist ein gemäßigter Knochenumbau zu
erwarten. Diese Patienten sollten nach seinen Worten drei bis fünf Jahren
Fluoridpräparat und anschließend Calcium und Vitamin-D einnehmen. Bei manifester
Osteoporose mit sehr niedrigen Knochendichtewerten konnten 10 bis 20mg
Fluoridionen täglich das Frakturrisiko senken. Allerdings hätten bei älteren Patienten
mit manifester Osteoporose und mehreren Frakturen auch Biphosphonate positive
Effekte gezeigt, schränkte Ringe ein.
Frühe Fluoridgabe sinnvoll
Studien belegen: Eine Fluorid-Frühtherapie kann bei postmenopausaler, männlicher
und sekundärer Osteoporose nach Corticoidbehandlung oder Transplantation
Osteoporose-Manifestationen mit Frakturen vermeiden. 10 bis 20mg bioverfügbares
Fluorid für maximal drei Jahre lassen die Knochendichte der Lendenwirbelsäule im
Jahr um 4 bis 6 Prozent ansteigen, während an peripheren Meßorten kaum
Veränderungen entstehen, Frakturen kommen seltener vor. Da Monofluorphosphat
fast vollständig bioverfügbar ist, kann es niedriger dosiert werden als Natriumfluorid.
Empfehlenswert ist eine Kombination mit Calciumsalzen, um die neugebildete
Knochenmatrix zu mineralisieren. Ältere Patienten profitieren möglicherweise von
zusätzlich 500 bis 1000 I.E. Vitamin D pro Tag.
"Keinesfalls sollte die Fluoridfrühtherapie mit der Sexualhormonsubstitution
konkurrierien." sagte Ringe weiter. Vorteile bietet die frühe Fluoridgabe vor allem,
wenn bereits eine signifikante Osteopenie vorliegt, weiterhin für ältere Frauen, bei
denen der positive Estrogeneffekt auf das Skelett nachläßt, für Patientinnen mit
Kontraindikationen oder geringer Compliance für Hormonpräparate sowie für
Männer mit Osteopenie oder Osteoporose im Stadium 1.
Knochendichtebestimung unverzichtbar
Die routinemäßige Messung biochemischer Marker des Knochenumbaus eignet sich
wegen begrenzter Empfindlichkeit und Spezifität sowie hoher Kosten nicht für die
Osteoporosediagnostik in der Praxis. Hier ermöglicht ein Stufenschema, das
Anamnese, körperliche Untersuchung, Röntgenaufnahmen, Laboruntersuchungen
umfaßt, die Diagnosefindung.
Die Osteodensitometrie ist in den letzten Jahren allerdings in Verruf geraten: Zu viele
Geräteanschaffungen, leichtfertige Indikationsstellung und zu häufige
Kontrolluntersuchungen ließen die Kosten explodieren. Heute übernehmen die
Krankenkassen die Kosten für eine Knochendichtebestimmung nur bei wenigen
Indikationen. Der Radiologe Professor Dr. Dieter Felsenberg betrachtet sie jedoch
als unverzichtbar. "Die Osteodensitometrie ermöglicht als einzige Methode, das
Frakturrisiko einzuschätzen, da die Knochendichte mit dem Bruchrisiko korreliert",
erläuterte er.
PZ-Artikel von Birgit Strohmaier, Passau
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