Pharmazie
Am 31. Oktober 1923 berichtete die Pharmazeutische Zeitung über die
Einführung des ersten Insulin-Präparates in Deutschland. 75 Jahre später
befindet sich das erste gentechnisch hergestellte Insulinanalogon mit der
Bezeichnung HOE 901 in der klinischen Prüfung. Die neue Zubereitung sei
ein aussichtsreicher Kandidat für ein 24 Stunden wirksames Basalinsulin,
hieß es auf einer Pressekonferenz anläßlich des Insulin-Jubiläums in
Frankfurt.
Inzwischen können mit Hilfe der Gentechnologie modifizierte Insuline auf einfachem
Weg hergestellt werden. In diesem Forschungssegment arbeite man bei Hoechst
Marion Roussel (HMR) speziell an länger wirksamen Insulinen, berichtete Dr. Lutz
Hellwig, Produktmanager Diabetes bei HMR. Das biosynthetisch hergestellte HOE
901 weist drei Unterschiede gegenüber Humaninsulin auf: In der A-Kette ersetzt
Asparagin an Position 21 das Glycin und die B-Kette ist durch zwei Arginin-Reste
verlängert.
Die neue Insulin-Zubereitung liegt bei pH 4 als klare Lösung vor. Weil keine
Verzögerungsbestandteile zugesetzt sind, muß der Diabetiker das Präparat vor der
Applikation nicht schütteln, so Hellwig. Nach Injektion ins Gewebe bilde HOE 901
aufgrund der pH-Verschiebung eine Kristallstruktur. Diese Kristalle lösten sich dann
langsam auf. "Die gleichmäßige, flache Wirkung hält bei einmaliger Gabe 24 Stunden
an und es treten keine Überlappungsphänomene auf", sagte Hellwig. Außerdem
gebe es Anzeichen für weniger Hypoglykämien, vor allem in der Nacht. Mit der
Markteinführung von HOE 901 rechnet HMR im Jahr 2000.
Nach Meinung von Professor Dr. Rüdiger Landgraf vom Diabetes-Zentrum der
Universität München verhindern mangelnde Ausbildung und Training des
Therapeuten sowie fehlerhafte oder nicht durchgeführte Schulung der Patienten eine
optimale Insulinbehandlung. Das gelte insbesondere für das Gros der
insulinbedürftigen Typ-2-Diabtiker. "Das beste Insulin kann nicht optimal wirken,
wenn Arzt und Patient nicht geschult sind." Die Diabetiker müßten neben einer
peniblen Selbstkontrolle ständig ihre Blutzuckerwerte messen. Schließlich seien die
defekten ß-Zellen nicht nur Insulinproduktions- und Sekretionsort, sondern auch der
Traubenzuckermeßfühler. Seiner Meinung nach werden kontinuierliche
Blutglucosemeßsysteme die Insulintherapie revolutionieren. Sie stellten das
entscheidende Element bei der Verwirklichung künstlicher ß-Zellen dar.
Die Stoffwechselforschung soll bei HMR auch in Zukunft vorangetrieben werden.
Neben der Entwicklung von gentechnisch hergestellten Insulinen versuche man die
periphere Insulinresistenz in Muskel- und Fettzellen zu überwinden, sagte Professor
Dr. Werner Kramer, Leiter der Abteilung Stoffwechselforschung.
Phosphoinositoglykan-Moleküle seien als Mediatoren der Insulinwirkung isoliert und
ihre Struktur aufgeklärt worden. Diese Verbindungen wirkten im Gegensatz zu
Insulin auch an resistenten Zellen insulinmimetisch.
Neuer Enzyminhibitor
Beim Typ-2-Diabetes ist die Glucoseproduktion in der Leber pathologisch erhöht.
Das Enzym Glucose-6-phosphatase katalysiert die Bildung von Glucose aus
Glucose-6-phosphat. Der phoshorylierte Zucker entsteht aus Glycogen oder per
Gluconeogenese. HMR-Forscher isolierten die Phospathase und klärten ihre
Struktur auf. Neben unspezifischen Komponenten enthalte das Enzym auch einen
hochspezifischen Glucose-6-phosphat-Transporter, so Kramer. Inzwischen habe
man eine Verbindung synthetisiert, die sehr effektiv das
Glucose-6-phosphatase-System hemme. Im Tierversuch an Ratten hätten die
Forscher die Wirksamkeit bewiesen. Nur die Wirkdauer müsse noch verbessert
werden.
PZ-Artikel von Ulrich Brunner, Frankfurt
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