Pharmazie
Fast jedes dritte Neugeborene in Deutschland leidet an Neurodermitis
Tendenz steigend. Überschießende Reaktionen des Immunsystems auf
unterschiedlichste körperfremde Substanzen häufen sich. Experten gehen
inzwischen davon aus, daß bis zu 12 Prozent der Bevölkerung auch auf
gewisse Nahrungsmittel mit Unverträglichkeiten reagieren. Über diese
Intoleranzen berichtete Dr. Ulrich Amon, Hersbruck, in Meran.
Die Ernährungsgewohnheiten der Deutschen haben sich in den letzten Jahrzehnten
grundlegend geändert. Nach Meinung Amons, liegen die Ursachen für immer mehr
allergische Reaktionen aber auch anderswo: Säuglinge wachsen unter immer
hygienischeren Verhältnissen auf, frühkindliche Infekte, die das Immunsystem
stärken, werden damit seltener. Kleinkinder erkranken kaum noch an
Wurminfektionen und Mütter stillen ihre Schützlinge immer seltener.
Daneben sind auch unsere Wohnungen stärker durch sogenannte
Innenraumallergene belastet. Der Umweltbelastung, die immer wieder mit Allergien
in Zusammenhang gebracht wird, maß der Referent keine so große Bedeutung bei.
Studie hätten gezeigt, daß im stark luftverschmutzten Bitterfeld bis zur Wende
weniger Kinder an Allergien litten als heute. Inzwischen sei die Qualität der Luft
jedoch viel besser geworden.
Nahrungsmittelallergien sind häufig mit atopischen Dispositionen gekoppelt.
Dermatitis, allergisches Asthma bronchiale und Rhinokonjunktivitis treten vermehrt
auf. Von den echten Nahrungsmittelallergien grenzte Amon pseudoallergische
Reaktionen auf Gewürze, säurehaltige Lebensmittel aber auch Nahrungszusatzstoffe
wie Konservierungsmittel, Farbstoffe und Glutamat sowie biogene Amine (unter
anderem Histamin und Tyramin)ab. Verschiedenste klinische Symptome treten auf.
Oft beobachte man Hautreaktionen, aber auch die Mundschleimhaut,
Magen-Darm-Trakt sowie die Atemwege könnten betroffen sein. Mitunter gipfele
die Allergie in einem anaphylaktischen Schock. Der Körper reagiere meist schnell
nach dem Verzehr der Lebensmittel, in Einzelfällen aber auch erst nach sechs bis
acht Stunden. Gerade diese Spätphasen-Reaktionen seien bedrohlich, weil Patienten
dann schon wieder zu Hause sind, meinte Amon.
30 Prozent aller Säuglinge und Kleinkinder mit atopischer Dermatits vertragen
bestimmte Nahrung nicht. Meist handelt es sich dabei um Milch-, Ei- und
Sojaprodukte. Kreuzallergien spielen dagegen bei erwachsenen Pollenallergikern
eine Rolle. Zu den häufigsten Kreuzreaktionen kommt es zwischen Äpfeln und
Birkenpollen, Nüssen und Haselnußpollen sowie Sellerie und Beifußpollen. Die
Epitope sind dabei verwandt oder identisch.
Eindeutige Diagnose wichtig
Hinsichtlich der Therapie ist eine exakte Diagnostik wichtig, sagte Amon. Erste
wichtige Hinweise ergebe die genaue Anamnese der Ernährungsgewohnheiten.
Zusätzlich könnten eine Eliminationsdiät, IgE-Bestimmungen und Hauttestungen mit
Lebensmitteln Aufschluß geben. "Komplexe Nahrungsmittelallergien können aber
nicht anhand eines banalen Hauttest zwischen Tür und Angel bestimmt werden",
sagte Amon. Da brauche man viel mehr Zeit, außerdem sei die Zusammensetzung
der Allergene zu komplex. Er empfahl den sogenannten Prick-to-Prick-Test, bei
dem Nadeln zunächst in frische Nahrungsmittel und dann in die Haut gestochen
werden. Eine doppelblinde placebokontrollierte Nahrungsmittelkontrolle sei der
Goldstandard der Diagnose.
Symptomfreiheit, Toleranz und damit bessere Lebensqualität stellen nach Meinung
Amons die Therapieziele dar. Diät oder Karenz seien nicht immer praktikabel. Oft
ernährten sich die Betroffenen dann zu einseitig, vermindertes Wachstum und
Gewichtsverluste seien die Folge. Nach drei Jahren Karenz vertragen aber wieder
80 Prozent der Kinder die verantwortlichen Lebensmittel, so der Referent.
Zusätzlich hätten sich verschiedene Medikamente in der Therapie bewährt. Amon
nannte Cromoglicinsäure und schnell wirksame H1-Blocker wie Citirizin, Mizolastin,
Fexofenadin und Lorantadin.
PZ-Artikel von Ulrich Brunner, Meran
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